5 Minuten Lesezeit 8 Juni 2020
Stadtblick durch eine Glaskugel

„Handel, Hotels und Gastronomie sind das Lebenselixier unserer Städte“

Von EY Deutschland

Building a better working world

5 Minuten Lesezeit 8 Juni 2020

Wie übersteht die Immobilienbranche die Corona-Krise? ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner über Maßnahmen der Politik und Zukunftsaussichten.

Die Auswirkungen der Corona-Krise wirbeln auch die Immobilienwirtschaft durcheinander: Die Beliebtheit von Logistikimmobilien steigt, Investoren schätzen vor allem deren stabile Entwicklung. Hotels, Restaurants und Läden öffnen nach wochenlangem Shutdown wieder, doch Gäste und Kunden reagieren noch zurückhaltend – so liegt beispielsweise die Passantenfrequenz in Einkaufscentern bislang bei etwa 50 Prozent der Vor-Corona-Zeit. Die Preise auf dem Markt für Wohnimmobilien werden sinken – allerdings hauptsächlich in Metropolen; gleichzeitig steigt für viele Deutsche die Bedeutung von Wohneigentum.

Im Gespräch erläutert Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), warum die Politik den Gesundheitsschutz richtigerweise an erster Stelle gerückt hat und welche Maßnahmen die Immobilienwirtschaft wieder in Schwung bringen.

EY: Herr Dr. Mattner, hat die Immobilienbranche bisher Erfahrungen mit derartigen Schocks?

Dr. Andreas Mattner: Bislang haben sich eher Wirtschafts- und Finanzkrisen auch auf die Immobilienwirtschaft ausgewirkt. Mit globalen Krisen wie der Corona-Pandemie sind sicher die wenigsten in Berührung gekommen. 

Wie wurden diese Schocks bewältigt und was hilft jetzt am meisten, um Resilienz aufzubauen?

Die Immobilienwirtschaft hat sich in den Zeiten der Finanzkrise 2008/2009 als Stabilitätsanker der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet, damals waren wir der viel zitierte sichere Hafen. Die Situation heute ist eine andere. Denn der Shutdown, der notwendig war, um den Gesundheitsschutz zu gewährleisten, hat direkte Konsequenzen für Zehntausende Unternehmen aus den Kernbereichen der Immobilienwirtschaft, vor allem für Handel, Hotellerie und Gastronomie.

Solche Krisen können auch in Zukunft immer wieder vorkommen, erst recht in unserer globalisierten Welt.
Dr. Andreas Mattner
Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA)

COVID-19 hat die Branche gelähmt – sie war also gar nicht in der Lage, als stabiler Anker zu fungieren. Umso mehr müssen wir jetzt alle Kraft aufbringen, diese Bereiche wieder zum Laufen zu bringen. Handel, Hotels und Gastronomie sind das Lebenselixier unserer Städte. Eigentümer und Vermieter haben ebenso wie die Mieter finanzielle Verpflichtungen gegenüber Banken und Versicherungen. Und ab da wird es systemrelevant. Solche Krisen können auch in Zukunft immer wieder vorkommen, erst recht in unserer globalisierten Welt. 

Welches Unternehmen wird diese Krise besser meistern, welches weniger gut?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Ein großes Unternehmen hat vielleicht mehr Rücklagen für solche Krisen, ist aber umso mehr vom Shutdown betroffen, weil seine länderübergreifenden Lieferketten nicht mehr funktionieren. Ein kleines Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad ist vielleicht flexibler, hat aber ein Geschäftsmodell, das von geöffneten Geschäften abhängig ist. Fest steht aber: Jedes Unternehmen wird – mal mehr, mal weniger – die Auswirkungen der Corona-Krise spüren. 

  • Zur Person: Dr. Andreas Mattner

    Die Stimme der Immobilienwirtschaft:

    Dr. Andreas Mattner ist seit 2009 Präsident des ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss) sowie Präsidiumsmitglied im Bundesverband der deutschen Industrie. In seiner hauptamtlichen Funktion ist er Geschäftsführer der ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, der er seit 1993 angehört. Mattner studierte Rechts- und Politikwissenschaften an der Wilhelms-Universität Münster, arbeitete und promovierte als Jurist an der Universität und als Dozent an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW. Von 1991 bis 2008 war er Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Mattner fungierte in diversen Aufsichtsräten der Hamburger Hochbahn, Bilfinger, DSK und BIG Bau sowie aktuell bei der EUREF AG und der Hamborner Reit. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Lebendige Stadt und Board Director der R20 Organisation.

Was sollte die Politik tun, um zu unterstützen?

Wir fühlen uns dem Gemeinwohl verpflichtet. Das bedeutet, es muss einen Dreiklang aus Mietern, Vermietern und Gesellschaft geben. Genau da setzt unser Mietenhilfsprogramm an. Die Gesellschaft möchte funktionierende Innenstädte und Einkaufserlebnisse. Das bieten die Ladenbesitzer in ihren Geschäften, die sie meist von einem Vermieter mieten.

Letztlich sitzen alle im selben Boot. Wenn die Kunden den Geschäften fernbleiben oder fernbleiben müssen, dann fehlen dem Mieter die Einnahmen, mit denen er die Miete bezahlt, die der Vermieter in Teilen benötigt, um seinen Verpflichtungen gegenüber Banken nachzukommen.

Das Mietenhilfsprogramm sieht vor, dass der Vermieter dem Mieter bis zu 50 Prozent der Miete erlässt; die öffentliche Hand wiederum unterstützt den Vermieter durch die Übernahme von 50 Prozent dieser Mietreduktion. Die Belastungen für Mieter und Vermieter können so erheblich reduziert werden. Der Mieter zahlt lediglich mindestens 50 Prozent der Miete, der Vermieter verzichtet auf bis zu 25 Prozent der Miete und erhält durch die staatliche Unterstützung mindestens 75 Prozent der ursprünglichen Miete. Das würde einen großen Teil der negativen Effekte abfedern.

Aber es geht noch um mehr. Wenn wir aus der Krise herauskommen wollen, müssen sich alle Akteure an einen Tisch setzen. Daher haben wir eine Begleitkommission vorgeschlagen, die darüber berät, wie die verschiedenen Segmente auf vernünftige und verantwortungsvolle Weise wieder in den Normalbetrieb gelangen. Neben Virologen und Vertretern des Sachverständigenrats der Bundesregierung gehören auch Immobilienverbände an diesen Tisch, die ihren Schwerpunkt im Bereich der Wirtschaftsimmobilien haben und die möglichen negativen Konsequenzen etwaiger Maßnahmen zur Sprache bringen.

Nicht zuletzt müssen wir gemeinsam mit der Politik Maßnahmen entwickeln, mit denen wir einerseits die Corona-Krise meistern und die Konjunktur ankurbeln, andererseits aber auch die Meta-Themen weiter bespielen, die die Krise überdauern werden. Das beste Beispiel dafür ist der Klimaschutz. Dieser ist ein geeignetes Mittel, die Konjunktur in Deutschland wieder hochzufahren. Gerade die entsprechenden Maßnahmen im Klimaschutz – zum Beispiel die Förderung der energetischen Gebäudesanierung oder der Abbau von steuerlichen Hemmnissen bei der erneuerbaren Energieerzeugung an Gebäuden und in Quartieren – könnten zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in zahlreichen Bereichen unserer Wirtschaft führen.

Es war gut zu sehen, dass die Politik in Krisenzeiten schnelle Entscheidungen in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen herbeiführen kann.
Dr. Andreas Mattner
Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA)

Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern da?

Angesichts der relativ geringen Infektionszahlen und Sterberaten im weltweiten Vergleich muss man festhalten, dass der harte Shutdown das Ziel des Gesundheitsschutzes erreicht hat. Die Politik hat schnell und an vielen Stellen richtig auf die Corona-Pandemie reagiert. Es war gut zu sehen, dass die Politik in Krisen schnelle Entscheidungen in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen herbeiführen kann. In anderen Ländern kann man beobachten, dass dies dort nicht der Fall war.

Stehen wir vor einem Zeitalter der Deglobalisierung, eines Kapitalismus 2.0, oder wird es zu keiner nachhaltigen Systemveränderung kommen?

Zweifelsohne wird die Corona-Krise zu einem Umdenken in manchen Bereichen führen, insbesondere beim Thema Hygiene und Gesundheitsschutz. Ich gehe auch davon aus, dass wir noch lange mit Masken in den Supermarkt gehen und die Nachwirkungen noch mehrere Jahre spüren werden. Diese Veränderungen werden uns im Alltag begegnen – beim Einkauf, bei der Hotelübernachtung, beim Treffen mit Freunden im Biergarten.

Eine Deglobalisierung sehe ich nicht, zumal auch hier Pandemien nicht ausgeschlossen werden können. Die Wirtschaft ist so eng miteinander verwoben und die Globalisierung hat durch den weltweiten Handel den materiellen Wohlstand der Menschen stark erhöht. Frühere Entwicklungsländer sind heute wichtige Handelspartner, andere Länder erhöhen den möglichen Absatzmarkt. Zudem ist Deutschland als Exportnation auf die Globalisierung angewiesen. Es wäre unklug, dieses Rad zurückzudrehen. Vielmehr müssen wir uns mit den reellen Gefahren auseinandersetzen, die die Globalisierung mit sich bringt.

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Fazit

Dr. Andreas Mattner ist Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), dem Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. Die Corona-Krise trifft die Branche hart – Mieter können ihre Mieten nicht begleichen, Vermieter in der Folge ihre Verbindlichkeiten bei Banken nicht halten. Im Interview erläutert Mattner, warum eine Deglobalisierung nicht die Lösung ist und wie die Politik Mietern, Vermietern und der Gesellschaft helfen kann.

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