Ausgangssituation und aktuelle Entwicklungen
Der Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 hat auch erhebliche Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Viele handelsrechtliche Abschlüsse und Lageberichte des zurückliegenden Geschäftsjahres sind bis dato noch nicht (abschließend) aufgestellt, geprüft und/oder festgestellt bzw. gebilligt. Insofern stellt sich unmittelbar die Frage, ob und inwiefern sich die aktuellen Geschehnisse auf die handelsrechtliche Rechnungslegung für gerade erst beendete Geschäftsjahre auswirken.
In seinem Fachlichen Hinweis beantwortet das IDW u.a. Fragestellungen in Bezug auf die Rechnungslegung mit Abschlussstichtag 31. Dezember 2021. Die darin gemachten Aussagen gelten u.E. grds. analog für Jahres-/Konzernabschlüsse sowie (Konzern-)Lageberichte mit Abschlussstichtag vor dem 24. Februar 2022.
Der Fachliche Hinweis enthält folgende Kernaussagen:
- Die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen des Krieges sind für Abschlüsse mit einem Abschlussstichtag vor dem 24. Februar 2022 als wertbegründend einzustufen. Daher sind die bilanziellen Konsequenzen bzgl. Ansatz und Bewertung aufgrund des Stichtagsprinzips grundsätzlich erst in der (Konzern-)Bilanz bzw. GuV von Konzern-/Jahresabschlüssen mit einem Abschlussstichtag nach dem 23. Februar 2022 zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt lediglich in den Fällen, in denen aufgrund der Auswirkungen des Krieges die Annahme der Fortführung der Unternehmenstätigkeit nicht mehr aufrechterhalten werden kann (Ausnahme vom Stichtagsprinzip).
- Ob der Kriegsausbruch und die damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen für das jeweilige Unternehmen ein „Vorgang von besonderer Bedeutung“ ist, über den das Unternehmen im Rahmen der Nachtragsberichterstattung im (Konzern-)Anhang zu berichten hat, ist für den jeweiligen Einzelfall gesondert zu prüfen. Falls es aufgrund von Berichterstattungspflichten sowohl im Anhang als auch im Lagebericht zu Doppelungen kommt, ist es zulässig, im Nachtragsbericht auf den Lagebericht bzw. (umgekehrt) im Lagebericht auf den Nachtragsbericht zu verweisen. Die Verweise müssen eindeutig und klar erkennbar sein.
- Aufgrund der expliziten gesetzlichen Befreiungsmöglichkeiten für kleine Kapitalgesellschaften und Kleinstkapitalgesellschaften von der Nachtrags- bzw. Lageberichterstattung gemäß § 288 Abs. 1 Nr. 1 HGB bzw. § 264 Abs. 1 Satz 4 1. Halbsatz HGB ist für jene Gesellschaften auch keine entsprechende Berichterstattung (bspw. unter der Bilanz) erforderlich.
- Bestehen allerdings wesentliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit Ereignissen und Gegebenheiten, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können (sog. bestandsgefährdende Risiken), muss das bilanzierende Unternehmen darüber im Anhang bzw. bei (zulässigem) Entfall eines Anhangs unter der Bilanz berichten. Dies gilt auch für kleine Kapitalgesellschaften und Kleinstkapitalgesellschaften.
- Der Ausbruch des Ukraine-Krieges wird sich in vielen Fällen in den (Konzern-)Lageberichten für am 31. Dezember 2021 endende Geschäftsjahre zumindest in den Risikoberichten niederschlagen. Sofern das Management infolge der aktuellen Ereignisse bereits eine geänderte Erwartung zu den prognostizierten Leistungsindikatoren hat, ist diese im Prognosebericht zu berücksichtigen. Wenn für ein Unternehmen eine außergewöhnlich hohe Unsicherheit hinsichtlich der Zukunftsaussichten aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen besteht und eine wesentliche Beeinträchtigung der Prognosefähigkeit des Unternehmens/Konzerns vorliegt, ist es ausreichend, wenn im Prognosebericht (anstelle von mindestens qualifiziert-komparativen Prognosen) nur komparative Prognosen oder verschiedene Zukunftsszenarien (unter Angabe der jeweiligen Annahmen) zu den wesentlichen Leistungsindikatoren angegeben werden. Ein pauschaler Verweis auf den Ukraine-Krieg und dessen Folgen allein reicht indes nicht aus. Zudem ist ein vollständiger Verzicht auf eine Prognoseberichterstattung unzulässig.
- Wenn infolge des Ausbruchs des Ukraine-Krieges sog. Reporting Packages von ukrainischen, russischen oder belarussischen Tochterunternehmen nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung an das Mutterunternehmen geliefert werden können, kann eine unangemessene Verzögerung i.S.d. § 296 Abs. 1 Nr. 2 HGB vorliegen, mit der Folge, dass das Tochterunternehmen nicht im Wege der Vollkonsolidierung in den Konzernabschluss einbezogen werden braucht. Solchenfalls ist zu prüfen, ob die Beteiligung an dem betreffenden Tochterunternehmen im Konzernabschluss mit ihrem Equity-Wert nach § 312 HGB zu bewerten ist bzw. mit ihren (fortgeführten) Anschaffungskosten anzusetzen ist. Der Verzicht auf die Vollkonsolidierung gilt jedoch nicht, wenn eine geeignete Hochrechnung von bereits vorliegenden Finanzinformationen möglich ist oder vorläufige Zahlen vorliegen, die ggf. mit vertretbarem Aufwand punktuell angepasst werden können. Eine zulässige Inanspruchnahme des Vollkonsolidierungswahlrechts ist nach § 296 Abs. 3 HGB im Konzernanhang zu begründen.
Ausblick
Darüber hinaus können sich durch die Russland-Ukraine-Krise auch Konsequenzen in Bezug auf die Rechnungslegung für die am oder nach dem 24. Februar 2022 endenden Geschäftsjahre ergeben. Betroffene Unternehmen haben daher für Abschlüsse mit diesen Stichtagen u.a. zu würdigen, ob infolge des Ukraine-Krieges bspw. Abschreibungen bzw. Wertminderungen von Vermögensgegenständen vorzunehmen oder Rückstellungen (z.B. wegen Vertragsstrafen) zu bilden sind. Das IDW hat angekündigt, seinen Fachlichen Hinweis hinsichtlich der diesbzgl. auftretenden Fragen fortlaufend zu aktualisieren.
IG/CO