
Kapitel 1
Dekarbonisierung: Das Ende von Kohle, Öl und Gas
Um den Klimawandel aufzuhalten, reicht es nicht, die Kohlendioxidemissionen zu begrenzen. Wir müssen sie sogar umkehren.
Dürren und Waldbrände, Stürme, der Anstieg des Meeresspiegels: Die Folgen des Klimawandels werden immer spürbarer und erhöhen den Druck auf die Staatengemeinschaft, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen haben sich die Vertragsstaaten dazu bekannt und verpflichtet, ihren Beitrag zur Einhaltung des Klimaziels zu leisten und durch nationale Gesetzgebung zu gewährleisten. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft – genauer: das Ende der Nutzung fossiler Energien und die grüne Transformation der Wirtschaft – das Gebot der Stunde.
CO2-Emissionen: erst senken, dann umkehren
War die erste industrielle Revolution noch von fossilen Brennstoffen getrieben, stehen nun Volkswirtschaften und damit Unternehmen weltweit vor der Aufgabe, ihren Kohlendioxidausstoß kurzfristig zu senken und bis 2050 etwa in Deutschland vollständig klimaneutral zu produzieren. Diese Transformation basiert auf der Umstellung der Erzeugung auf erneuerbare Energien (Wasser, Wind und Sonne), dem Einsatz von grünem Wasserstoff zur klimaneutralen Produktion in der Industrie, negativen Emissionen (NETs) und der Steigerung der Energieeffizienz. Hinzu kommt Carbon Capture and Storage (CCS), also die großtechnische Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund.
Für das 1,5-Grad-Ziel reicht Klimaneutralität aber nicht aus. Daher gehen einige Unternehmen noch einen Schritt weiter: Mithilfe von Technologie und natürlicher CO2-Senken wollen sie CO2-negativ werden, also mehr Kohlendioxid entfernen, als sie ausstoßen. Mit vielfältigen Maßnahmen (z. B. Aufforstung) soll der Atmosphäre CO2 entzogen werden.
Kohlenstoff steckt in vielen Produkten und Materialien – von Getränken bis hin zu Chemikalien, Diamanten, Kunststoffen, Baumaterialien, Düngemitteln und Kraftstoffen. Fast der gesamte Kohlenstoff wird aus Erdöl oder Erdgas raffiniert. Würde er gegen recycelten oder aus der Luft gewonnenen Kohlenstoff eingetauscht, könnten die globalen Emissionen schon um bis zu 10 Prozent sinken.
Technische Lösungen im Kampf gegen Kohlendioxid
Firmen wie Carbon Engineering aus Kanada oder Climeworks aus der Schweiz filtern Kohlendioxid mit chemischen Absorbern direkt aus der Luft, um es dann als Dünger oder synthetischen Kraftstoff wiederzuverwenden oder zu speichern. Der Prozess ist zwar energieintensiv, doch dafür gibt es Lösungsansätze: Das US-amerikanische Unternehmen Global Thermostat etwa nutzt industrielle Abwärme zur Energieproduktion. Die Salzgitter AG geht noch weiter und testet, wie sich bei der Stahlproduktion Kohle durch Erdgas und Wasserstoff ersetzen lässt. Bis zu 95 Prozent des heute anfallenden CO2 könnten damit von Anfang an vermieden werden. Stahlkonzerne in Deutschland wie auch im europäischen Ausland setzen auf die Nutzung von grünem Wasserstoff für eine klimaneutrale Stahlerzeugung.
Es kommen neue Technologien zum Einsatz, die hochkonzentrierte Treibhausgase aus den Abfällen großer Emittenten wie Kraftwerke, Gießereien oder Chemiefabriken einfangen. Die Firma Lanzatech aus den USA tut dies mit Synbio-Bakterien, die CO2 in Kraftstoff und Chemikalien umwandeln. Die speziell kultivierten Mikroben von NovoNutrients wachsen auf CO2-Abfällen und werden zu Futtermitteln für die Aquakultur.
Rund 11 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes entstehen in der Bauindustrie. Zement ist nach Wasser die am zweithäufigsten verbrauchte Ressource der Welt und sehr kohlenstoffintensiv: Jedes produzierte Kilogramm erzeugt ebenso viel CO2. CCS spielt gerade in der Zementindustrie eine große Rolle, denn ein Absenken der CO2-Emissionen auf null ist hier (noch) nicht möglich. Unternehmen arbeiten auch an anderen Lösungen und stellen zum Beispiel Beton her, der Kohlenstoff bindet. Eine Alternative zu Beton- und Stahlbaustoffen ist Holz, sofern es aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt.
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Dekarbonisierung
900 Mio.ungenutzte Hektar Land weltweit ließen sich in Wald umwandeln.
Kohlenstoff kann zudem auch auf herkömmliche Weise durch Aufforstung oder durch regenerative Landwirtschaft gespeichert werden. Einer Studie der ETH Zürich zufolge ließen sich weltweit 900 Millionen Hektar – eine Fläche so groß wie die USA –, die nicht von Menschen bewohnt oder bewirtschaftet werden, in Wald umwandeln. Die heranwachsenden Bäume könnten zwei Drittel des seit der industriellen Revolution freigesetzten Kohlenstoffs speichern.
Dekarbonisierung: das Minus als Ziel
Bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel sollten Unternehmen vorangehen. Das fordern nicht nur immer mehr Investoren, sondern auch die junge Generation. Und es ist noch mehr möglich, als „nur“ klimaneutral zu sein: Microsoft beispielsweise will bis 2030 CO2-negativ werden und den gesamten Kohlenstoff entfernen, den es seit seiner Gründung emittiert hat.
Ob technologischer Fortschritt, gesellschaftliche Verantwortung oder Erschließung neuer Möglichkeiten durch die grüne Transformation – eine rasche Dekarbonisierung ist alternativlos und entscheidet über die Zukunft von Unternehmen. Wer künftig wachsen und gedeihen will, kann das nur noch klimaneutral – oder gar nicht.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Welchen Weg gehen Sie, um Ihre CO2-Emissionen nicht nur zu senken, sondern mittelfristig vollständig zu vermeiden?
- Wie können Ihre Investition in Klimaneutralität neue Wertschöpfung für Ihr Unternehmen generieren?
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Kapitel 2
Kalter Krieg 2.0: Welche Risiken Unternehmen drohen
Fake News, Cybercrime, digitaler Populismus: Weltweit tobt ein Kampf um die Marktführerschaft und technologische Infrastruktur der Zukunft
Das Internet hat ein neues Feld der digitalen Informationskriegsführung eröffnet. Dort wütet ein Kampf um „Alternative Facts“ und „Fake News“, ein Wettstreit der „Likes“ und „Dislikes“, die mehr und mehr als Mittel der Politik eingesetzt werden.
Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft, Märkten und Technologien. Protektionismus und staatliche Eingriffe sind Normalität geworden. Ob Strafzölle oder schwarze Listen für Unternehmen, ob Cyberangriffe oder Desinformationskampagnen – auch international tätige, mit globalen Lieferketten verflochtene deutsche Unternehmen können in den Strudel solcher Auseinandersetzungen hineingeraten
Der technoökonomische Kalte Krieg
Derzeit entsteht die Infrastruktur für Technologien, die unser Leben für Jahrzehnte prägen werden. Paradebeispiel ist der Aufbau der 5G-Netze. Wer frühzeitig Standards setzt, dominiert langfristig. Staaten greifen in diesen Wettbewerb zugunsten heimischer Player immer massiver ein, auch aus Furcht vor Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen.
- Mit der Initiative „Made in China 2025“ will die Volksrepublik Marktführer in bestimmten Technologiesektoren werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will China unter anderem den Zugang für ausländische Unternehmen beschränken.
- Im Streit um die technologische Vorherrschaft schneiden die USA China von der Versorgung mit Schlüsseltechnologien wie Computerchips ab.
- Ähnliche Ziele verfolgt Indien mit dem Programm „Make in India“: Indische Unternehmen sollen mehr vor Ort fertigen, weniger importieren, dafür mehr innovative Produkte, vor allem für die Industrie, exportieren.
- Mit Steuererleichterungen und einem einfacheren Zugang zu Krediten bietet Taiwans Regierung heimischen Unternehmen Anreize, ihre Fertigung aus China zurückzuverlagern.
Beseitigt die EU Flickenteppiche und einigt sich auf ein einheitliches Vorgehen beim 5G-Ausbau, entsteht Raum für neue europäische Player.
Nicht immer steckt bloßer Protektionismus dahinter. Auch nationale Sicherheit, Industriespionage oder Menschenrechte spielen eine Rolle. Die Folge: Ausländische Unternehmen, Plattformen oder Personen können rasch ins Visier staatlicher Organisationen geraten.
- Etliche Länder schließen das Unternehmen Huawei wegen Sicherheitsbedenken vom 5G-Ausbau aus oder legen die Hürden sehr hoch.
- Die US-Regierung hat damit gedroht, die aus China stammende Social-Media-Plattform TikTok verbieten.
- Chinesische und amerikanische Medienunternehmen werden zum Spielball der Auseinandersetzung zwischen ihren Regierungen.
- Russland verbietet den Verkauf von Computern und Smartphones, auf denen keine russische Software vorinstalliert ist.
Europa muss handeln
In dieser veränderten Welt kann auch Europa schnell zum Schlachtfeld technoökonomischer Auseinandersetzungen werden. Insbesondere die Abhängigkeit von amerikanischen IT-Konzernen könnte sich als Achillesferse für europäische Institutionen wie auch für private Unternehmen herausstellen. Vorstellbar wäre etwa, dass die USA im Zuge eines Streits um russische Energielieferungen das Europa- oder Deutschlandgeschäft ihrer Digitalkonzerne einschränken. Per Verordnung könnte Washington den Zugriff auf cloudbasierte Dienste bekannter Branchengrößen erschweren – mit massiven Folgen.
Digitale Souveränität
Die EU hat erkannt, wie schwierig die Abhängigkeit von einzelnen IT-Anbietern sein kann. Die aktuelle Strategie zielt darauf ab, Europas digitale Souveränität zu stärken und sich als EU einheitlich aufzustellen. Eines der Schlüsselprojekte ist die von Deutschland und Frankreich geförderte Initiative GAIA-X. Ziel ist eine vertrauenswürdige und sichere Cloud-Infrastruktur für Europa.
Auch im Bereich der kritischen Infrastrukturen bestimmen die EU-Staaten die Regeln neu. Als Lebensadern einer modernen Gesellschaft gelten längst nicht mehr nur Wasserversorgung, Strom- und Datennetze; auch für die Lebensmittelversorgung, den Gesundheits-, Transport- oder Finanzsektor gilt: Eine Beeinträchtigung hätte schwerwiegendste Folgen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Entsprechend steigen etwa bei der IT-Sicherheit die Anforderungen an jene Unternehmen, die in diesen Sektoren tätig sind. Sie müssen mit immer strengeren Zertifizierungen und Auflagen rechnen.
Für Unternehmen kommt es in diesem sich verändernden Umfeld darauf an, Risiken auszuschalten und neue Chancen zu ergreifen:
- eigene Schwachstellen beheben, Abhängigkeiten reduzieren
- strengeren Standards und Zertifizierungen entsprechen
- neue Geschäftsmöglichkeiten identifizieren und in Lücken stoßen, wenn Anbieter von außen wegfallen
Beseitigt die EU Flickenteppiche und einigt sich etwa auf ein einheitliches Vorgehen beim 5G-Ausbau, entsteht Raum für neue europäische Player.
Unsichtbare Bedrohung
Wenn Krieg die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, wie es der preußische General Carl von Clausewitz formulierte, gilt das erst recht für den neuen, technoökonomischen Kalten Krieg. Er ist eine permanente Auseinandersetzung, die im Verborgenen geführt wird. Eine Waffe sind Cyberangriffe, eine andere Desinformation.
So soll in den vergangenen Jahren eine Hackergruppe („Winnti“) Cyberangriffe gegen deutsche Unternehmen, darunter sechs DAX-Konzerne, unternommen haben. IT-Sicherheitsexperten sprechen gar von einer digitalen Söldnertruppe. Ihr Ziel: Industriespionage. Den Angreifern geht es um Geschäftsgeheimnisse, Organigramme bestimmter Firmenteile und Informationen über die IT-Systeme.
Das Ziel von Desinformationskampagnen hingegen sind nicht Geld, Infrastruktur oder Daten, sondern die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Informationen im Internet werden immer öfter manipulativ, halbwahr oder als Propagandamaßnahme eingesetzt. Seit dem Cambridge-Analytica-Skandal im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 diskutieren die USA über Wahlmanipulation durch Online-Werbung. Dass deren Bekämpfung in sozialen Netzwerken auch im diesjährigen Wahlkampf ein ernstes Problem ist, belegen zahlreiche Medienberichte über Falschinformationen und Negative Campaigning im Zusammenhang mit den aktuellen US-Wahlen.
Reputation schützen
Cyberangriffe und Desinformationskampagnen sind asymmetrische Methoden, die sich kaum zurückverfolgen lassen. Mit wenig Aufwand können sie großen Schaden anrichten. Nie war es heute so leicht, Personen und Unternehmen in Misskredit zu bringen.
Cybersicherheit ist für Wirtschaft und Politik so wichtig wie nie zuvor. Unternehmen wie auch Institutionen müssen nicht nur ihre Systeme und Daten vor Angriffen schützen, sondern auch ihre Reputation und Integrität – denn Desinformationskampagnen entstehen außerhalb der eigenen Einflusssphäre, in sozialen Netzwerken und befeuert durch den Einsatz von Bots.
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Damit Gerüchte nicht den Ruf zerstören oder den Aktienkurs abstürzen lassen, sollten Unternehmen präventiv Reputationsmanagement betreiben, Angriffe frühzeitig erkennen und schnell reagieren. In Zeiten asymmetrischer Auseinandersetzungen und Konflikte sollte das Krisenmanagement auf alles vorbereitet sein.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Wie gut sind Sie auf die Cyber-Risiken der Zukunft vorbereitet?
- Kann eine effektive Simulation und Übung Sie besser auf künftige Risiken vorbereiten?
- Sind Sie auf Auswirkungen und mögliche Strafen vorbereitet, die den Datentransfer zu amerikanischen Cloud-Anbietern betreffen könnten?
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Kapitel 3
Verhaltensökonomie: Wie menschliches Handeln zur Ware wird
Durch unser Verhalten entstehen wertvolle Daten. Unternehmen und Regierungen machen sie sich mit immer ausgefeilteren Methoden zunutze.
Einige Bewegungsdaten hier, ein Gesundheits-Scoring dort: In immer mehr Ländern erfasst der Staat immer mehr Daten. Was geschieht mit ihnen? Werden sie dafür genutzt, uns zu bevormunden, uns zu überwachen oder um uns zu einem erfüllteren Leben zu verhelfen? Eine globale Antwort auf diese Frage gibt es nicht – auch weil in Europa der individuelle Datenschutz wichtiger ist als in den USA und Asien.
Sicher ist aber: Die Zukunft hat längst begonnen. Menschliches Verhalten wird zu einer Ware – und genauso wie Kundendaten vermessen, standardisiert und gehandelt. Weil es gleichzeitig riesige Fortschritte in der Verhaltensökonomie und der emotionalen KI gibt, ist es für Unternehmen und Regierungen leichter denn je, menschliches Handeln zu beeinflussen. Dieses Ziel hat es vor allem in der Wirtschaft schon immer gegeben, doch die Werkzeuge dafür werden immer ausgefeilter.
Auf dem Weg zum „Internet des Verhaltens“
Es ist offensichtlich, dass unser Leben exponentiell mehr Daten generiert als früher. Das „Internet der Computer“ hat sich zu einem „Internet der Dinge“ (IoT) entwickelt, in dem smarte Geräte in Echtzeit Daten über ihre Umgebung sammeln. Jetzt zeigt sich der nächste Schritt – weg vom „Internet der Dinge“, hin zum „Internet des Verhaltens“. Viele Menschen geben in Suchmaschinen mehr über geheime Wünsche und Ängste preis, als sie es sich in einem persönlichen Gespräch trauen würden. Smartphones und soziale Netzwerke enthalten mehr Informationen über unser Verhalten, unsere Vorlieben und Launen, als es vielen Nutzern bewusst ist.
Immer mehr Menschen erkennen, dass sie für monetär kostenlose Services mit ihren Verbraucherdaten zahlen.
Eine neue Technologiegeneration wird noch einmal sehr viel mehr Daten produzieren: Sprachsysteme ersetzen Tippen und Klicken als wichtigste Interaktionswege mit Technik. Doch speichern die ständig lauschenden Geräte nicht auch mehr Daten über die Anwender? Gesichtserkennung erlaubt das einfache Einchecken am Flughafen oder im Hotel – aber werden die dafür nötigen Kameras möglicherweise auch Bewegungsprofile von Menschen erfassen, die einfach nur vorbeispazieren?
Immer mehr Menschen erkennen, dass sie für monetär kostenlose Services mit ihren Verbraucherdaten zahlen. Der „Techlash“, die kritische Gegenreaktion inklusive Unbehagen und Furcht gegenüber der Technik, nimmt zu. Im Jahr 2019 hatte laut einer EY-Analyse erstmals die Mehrheit der Medienberichte diesbezüglich einen negativen Grundton. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zeigt, wie auch der Gesetzgeber versucht zu reagieren.
Technische Durchbrüche
Auf der Basis einer wachsenden Datenmenge machen Technologie und Wissenschaft Fortschritte und können menschliches Verhalten auf eine immer ausgeklügeltere Art beeinflussen. Verhaltensökonomie hat ein neues Verständnis menschlicher Motivationen geschaffen. Damit versuchen Unternehmen und Regierungen nun, die Menschen zu nachhaltigerem Verhalten anzuregen – damit sie sich beispielsweise gesünder ernähren, weitsichtiger bei der Altersvorsorge sind oder Ressourcen und Umwelt schonen. Eine weitere technologische Revolution ist die gefühlsbetonte Künstliche Intelligenz (KI). „Affective Computing“ ist ähnlich interdisziplinär angelegt wie die Verhaltensökonomie und führt Computerwissenschaften, Psychologie und Verhaltenswissenschaften zusammen. Das Ergebnis sind Maschinen, die menschlichem Handeln sehr nahekommen: Durch die Analyse von Augenbewegungen oder Gesichtsausdrücken erkennen sie Emotionen und können sie selbst überzeugend simulieren.
Man stelle sich einen virtuellen Verkäufer vor, der zeitgleich Augenkontakt mit Hunderten von Kunden in verschiedenen Filialen halten und sich dabei an Akzente, Sprachniveau und Tonfall anpassen kann. In Großbritannien versucht das „Behavioural Insights Team“ der Regierung, die Bürger zu mehr Spenden und Steuerehrlichkeit anzuregen, und das chinesische „Social Credit System“ geht bei der Auswertung sensibler Daten noch viele Schritte weiter.
Probleme lösen, Datenschutz respektieren
Dieser Wandel bis hin zu „Volkswirtschaften des Verhaltens“ bringt enorme Herausforderungen mit sich. Die Politik muss Regeln definieren: Schon jetzt sorgen Datenskandale sozialer Netzwerke für Aufsehen. Solche Probleme werden angesichts ständig wachsender Datenmengen deutlich zunehmen. Regierungen müssen selbst lernen, neue Technologien anzuwenden, um soziale Probleme zu lösen oder die effizientere Verwendung von Steuergeldern zu ermöglichen – während sie dabei die von ihrem Kulturkreis geforderten Datenschutzgesetze beachten.
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Die Kunden wünschen sich Technologien, die sie unterstützen, ohne gleichzeitig ihre Daten auszunutzen.
Die Veränderungen für Unternehmen könnten noch größer sein. Schon jetzt zeigt sich, dass Investitionen in die Verhaltensökonomie stetig zunehmen. Die Kunden wünschen sich Technologien, die sie unterstützen, ohne gleichzeitig ihre Daten auszunutzen. Mitarbeiter zu finden, die genau solche Technologien entwickeln und betreuen können, wird für viele Firmen der Schlüssel zum Erfolg.
Unternehmen müssen dabei nicht nur die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen globaler Märkte erfüllen; die wahre Herausforderung wird sein, an dieser „Volkswirtschaft des Verhaltens“ teilzunehmen und gleichzeitig durch hohe Transparenz das Vertrauen der Kunden zu gewinnen.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Was sind die zukünftigen Geschäftsmodelle auf der Basis von Verhaltensökonomie und emotionaler KI?
- Welche neuen Risiken bringt die Verhaltensökonomie mit sich (z. B. regulatorische Risiken, Reputationsrisiken, Marktrisiken) und wie könnten Sie diesen Risiken begegnen?
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Kapitel 4
Manipulierte Medien: Mit Echtheitssiegeln gegen Fake News
Gefälschte Bilder, Videos oder Podcasts bedrohen Unternehmen. Es ist höchste Zeit für praktische Lösungen.
Können wir dem, was wir sehen, hören und lesen, noch trauen? Nie war es einfacher, realistische Artikel, Audio- oder Videodateien über Ereignisse zu erstellen, die gar nicht stattgefunden haben. Mithilfe von Bearbeitungssoftware werden Inhalte und Zusammenhänge digital manipuliert und vorgefiltert. In Social Media geteilt, können sie sich wie Lauffeuer verbreiten und die öffentliche Meinung und das Verhalten der Menschen beeinflussen. Bisher waren Wahlkämpfe, Politiker und Prominente die Hauptziele. Jetzt werden manipulierte Medien auch für Unternehmen zum Risiko – mit fatalen Auswirkungen auf das Image, die Kunden oder den Aktienkurs.
Algorithmen können glaubwürdige Tonaufnahmen, Videos und Texte erzeugen, in denen ein beliebiger Mensch Dinge tut und sagt, die er nie getan oder gesagt hat.
Neue Cyberbedrohung für Unternehmen
Lässt man lernende Algorithmen lange genug trainieren, können sie glaubwürdige Tonaufnahmen, Videos und Texte erzeugen, in denen ein beliebiger Mensch Dinge tut und sagt, die er nie getan oder gesagt hat. Das macht Unternehmen anfällig für Betrug, Diffamierung, Erpressung und Marktmanipulation – aber auch für Vorfilterung von Nachrichten, Informationen und Co. Ein raffiniertes Deep-Fake-Video eines Konzernchefs, in dem er sagt, dass sein Unternehmen die gesetzten Ziele nicht erreiche, könnte den Aktienkurs sinken lassen. Eine gefälschte Tonaufnahme einer Führungskraft, die zugibt, Beamte bestochen zu haben, ist Futter für Erpressungen – oder auch gezielte Fake-Social-Media-Kampagnen, die zu einer Welle von Kundenreaktionen führen.
Im Frühjahr 2019 registrierte ein großer Versicherungskonzern seinen ersten sogenannten Fake-President-Fall. Bei dieser Betrugsmasche – auch als „CEO Fraud“ oder „Chefmasche“ bekannt – ahmt eine künstliche Intelligenz die Stimme eines Unternehmenschefs nach – und das in Echtzeit. Der vermeintliche Chef der deutschen Muttergesellschaft eines Energieunternehmens bat am Telefon den Geschäftsführer der britischen Niederlassung um eine dringende Überweisung an einen Lieferanten. Selbst der deutsche Akzent war glaubhaft. Das Geld ging auf das Konto der Betrüger. Der Schaden: 220.000 Euro. Der Versicherer erstattete das Geld.
Fraud durch gefälschte Medien gibt es auf allen Ebenen. Auf visuelle Beweise angewiesene Branchen sind besonders gefährdet. Bei Versicherungsfällen wird der Kunde etwa regelmäßig aufgefordert, Fotos von den Schäden einzureichen. Ein Einfallstor für jene, die mit gefälschten Fotos die Versicherung zu betrügen versuchen.
Steckt im Problem auch die Lösung?
Cyberangriffe sind in der Geschäftswelt nichts Neues. Phishing, Spam oder Malware plagen Unternehmen seit dem Aufkommen des Internets und haben unzählige Abwehrinstrumente hervorgebracht. Doch gegen die Risiken manipulierter Medien brauchen wir einen völlig neuen Satz von Antikörpern. Cybersicherheitsfirmen, Wissenschaftler und Regierungsbehörden arbeiten an der Authentifizierung von Videos, Fotos und Texten im Internet mithilfe verschiedener Techniken:
- Digitale Forensik: Um Fälschungen zu erkennen, sucht die Methode zum Beispiel nach Unstimmigkeiten bei Beleuchtung und Schatten in einem Bild oder nach blinkenden Mustern in einem Video.
- Digitales Wasserzeichen: Versteckte Markierungen in Bildern und Videos helfen, gefälschte Inhalte zu identifizieren. Integriert in Kameras, Lautsprecher und andere Geräte werden Aufnahmen gleich bei ihrer Erstellung automatisch gekennzeichnet.
- Hashing und Blockchain: Diese Technik geht noch einen Schritt weiter. Sie versieht Inhalte direkt bei der Erstellung mit Datum, Uhrzeit, Ort und Geräteinformationen. Eine Hash-Darstellung des Inhalts wird dann in eine öffentlich einsehbare Blockchain geschrieben. Die verketteten Datenblöcke einer Blockchain bauen aufeinander auf und protokollieren sämtliche Änderungen.
- Compliance und Integrity: Hier geht es um bessere Risikoanalysen und Aufklärung von Mitarbeitern zu Fraud-Risiken, Cybersicherheit und Integrität.
Diese vier Techniken können zwar helfen, gefälschte Informationen besser zu erkennen; doch reichen sie aus, um deren Produktion und Verbreitung einzudämmen? Und was ist mit unterschwelligen Fälschungen, bei denen reale Inhalte so miteinander verknüpft werden, dass sie einen anderen Sinn ergeben?
Technologie ist nur ein Teil der Lösung
Diejenigen, die gefälschte Medien erstellen, und jene, die versuchen, sie aufzudecken, spielen Katz und Maus. Die Techniken werden immer ausgefeilter und günstiger. Auf jede neue Erkennungsmethode folgt eine, die sie umgeht. Allein die schiere Menge an Informationen im Internet macht das Aufspüren von Fälschungen in Echtzeit zu einer Sisyphusarbeit. Und wenn die Fälschung enttarnt wird, ist der Schaden bereits angerichtet.
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Wir brauchen weltweit gültige Richtlinien für das digitale Publizieren in Social Media, die für jeden hochgeladenen Inhalt ein Echtheitssiegel verlangen.
Wir brauchen neue, weltweit gültige Richtlinien für das digitale Publizieren in Social Media, die für jeden hochgeladenen Inhalt ein Echtheitssiegel verlangen. Das setzt eine entsprechende Software für alle Aufzeichnungsgeräte voraus. Bedenken, dass ein solches System unbeabsichtigte – möglicherweise schlimmere – Konsequenzen für Datenschutz, Überwachung und die Demokratie selbst haben könnte, dürfen dabei nicht unter den Tisch gekehrt werden.
Praktische Lösungen gehen über die Technologie hinaus. Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter darin schulen, falsche Informationen zu erkennen. Kommunikations- und Marketingabteilungen benötigen Methoden, um die Herkunft und Authentizität digitaler Inhalte im Internet festzustellen. Ohne vertrauenswürdige Informationen steht die Integrität unserer modernen Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Spiel. Integrität, ehrliches Anti-Fraud- und Compliance-Management bekommen so einen ganz neuen, wertstiftenden Zweck.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Wie bereitet sich Ihr Unternehmen auf die Fraud- und Cyberrisiken von morgen vor, wie zum Beispiel aggressive Angriffe durch Deep Fakes?
- Mit welchen Risiken sind Sie in einem internationalen Umfeld konfrontiert, das intransparenter ist und weniger durch Gesetze und Normen reglementiert wird?
- Wie beeinflusst eine fragmentierte Weltordnung Ihre globale Unternehmensführung?
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Kapitel 5
Zukunft der Arbeit: Die digitale Disruption
Die Arbeitswelt von morgen wird anders, frei und flexibel – und verändert unser gesamtes Leben.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das Wort „flexibel“ für alle Lebensbereiche gilt. Die Gewichtung von Arbeit, Freizeit und Bildung wird entsprechend den sich ändernden Lebensumständen neu definiert. Anstatt im „Nine-to-five-Job“ Feierabend und Wochenende entgegenzufiebern, ist eine ausgewogene Work-Life-Balance an sieben Tagen die Woche möglich. Kontinuierliches Lernen und der „Vorruhestand“ begleiten uns durch das Leben, indem Individuen regelmäßig Zeit für Weiterbildung und längere Pausen von der Arbeit nehmen.
Zukunftsmusik? Keineswegs. Digitalisierung, Globalisierung, veränderte Anforderungen, aber auch der steigende Drang zur Selbstverwirklichung ließen in den vergangenen Jahrzehnten Zweifel an den bestehenden Arbeitsmodellen aufkommen: Sind die Normen und Überzeugungen, die großenteils während der industriellen Revolution entstanden sind, überhaupt noch zeitgemäß?
Der Trend wird immer eindeutiger: Grenzen verschieben sich, Strukturen brechen auf, in statische Systeme kommt Bewegung: Das Bild des 70-jährigen Arbeitnehmers könnte künftig so normal sein wie das des 30-jährigen Rentners. Arbeit, Freizeit, Bildung und Ruhestand werden grundlegend neu definiert.
Arbeit: Digitalisierung konsequent nutzen
In Deutschland hat der Wandel der Arbeitskultur bereits vor COVID-19 begonnen. Den Umbruch brachte jedoch erst die Corona-Krise, als viele Mitarbeiter von heute auf morgen ins Homeoffice wechselten. Das zeigt auch eine Umfrage des ifo Instituts: 55 Prozent der 800 befragten Personalleiter gaben an, dass COVID-19 den digitalen Wandel in ihren Unternehmen beschleunigt habe: Digitale Tools wurden entweder neu eingeführt (23 Prozent) oder bereits vorhandene Tools intensiver genutzt (36 Prozent). Während der Pandemie hat sich der Anteil der Beschäftigten, die von zu Hause aus gearbeitet haben, um etwa 20 Prozentpunkte auf rund 60 Prozent gesteigert. In Zukunft könnten bis zu 80 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice arbeiten.
Die Flexibilität, von zu Hause aus arbeiten zu können, und die Chance auf mehr Freizeit rufen bei vielen ein Gefühl der Begeisterung hervor. Dennoch ist es in einer zunehmend virtuellen Arbeitswelt wichtiger denn je, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und den Herausforderungen von „Remote Work“ gerecht wird – der Abgrenzung zwischen persönlichen und beruflichen Bereichen, abnehmender Motivation und dem Gefühl der Isolation.
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In der Politik kommt das Thema Viertagewoche auf. Die IG Metall schlug das Modell vor, um einen Stellenabbau in Industriebetrieben zu verhindern.
Freizeit: Wenn die Arbeit nicht mehr oberste Priorität hat
Auch die jahrhundertealte Norm des achtstündigen Arbeitstages und der Fünftagewoche verschiebt sich aufgrund des Ausmaßes des technologischen Wandels. In der Politik kommt das Thema Viertagewoche verstärkt auf. Die IG Metall dringt auf das Modell, um während der Pandemie einen Stellenabbau in Industriebetrieben zu verhindern. In der Corona-Krise gestellte Weichen könnten zu bleibenden Umstrukturierungen führen. Dafür müssen Gesellschaften, Regierungen und Einzelpersonen zunächst bestimmen, wie viel Arbeitszeit für Lebenszufriedenheit und sozialen Zusammenhalt wesentlich ist. Zudem wird auch das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens als eine potenzielle Lösung debattiert, wie Menschen in einer Welt mit weniger Arbeit ihren Lebensunterhalt finanzieren können Schon im nächsten Jahr wird in Deutschland (neben anderen europäischen Ländern) das erste Pilotprojekt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gestartet.
Ruhestand: „Unruhestand“ oder Rente mit 30?
„Unruhestand“
22%der Deutschen wollen nach dem Renteneintritt zumindest stundenweise weiterarbeiten.
Viele Menschen bleiben bis weit über das Rentenalter im Job aktiv. Laut einer Ipsos-Umfrage will mehr als jeder fünfte Deutsche nach dem Renteneintritt zumindest stundenweise arbeiten. Treiber dieses „Unruhestands“ ist nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch finanzielle Notwendigkeit.
Der Gegentrend dazu ist die FIRE-Bewegung (Financial Independence, Retire Early), die auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet. Sie wollen bescheiden leben, konsequent sparen und schon in den Dreißigern oder Vierzigern in den vorzeitigen Ruhestand gehen.
Bildung: Neue Arbeitswelten brauchen ein neues Lernen
Der Bildungssektor steht vor großen Veränderungen. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer wird künftig im Laufe seines Lebens nicht nur mehrere Jobs, sondern auch mehrere Karrieren haben. Dabei wird fachübergreifendes Wissen eine immer wichtigere Rolle spielen. Lernwege müssen sich so verändern, dass sie wortwörtlich lebenslang sind. Unternehmen spielen in diesem visionären Ökosystem des Lernens eine zentrale Rolle und Initiativen wie „Arbeit 4.0“ zielen in Deutschland bereits auf die neue Realität ab.
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Auf dem Weg in die neue Zukunft
Der Wandel unserer immer flexibler werdenden Arbeitskultur ist in vollem Gang. Es besteht jetzt die Chance, Arbeits- und Lebensstrukturen komplett neu zu erfinden – und dadurch Innovation, Produktivität und Lebensqualität zu steigern.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Wie kann Bildung neu erfunden werden, damit sie kontinuierlich, flexibel und maßgeschneidert ist?
- Wie wird die Arbeitswelt aussehen, wenn die Fünftage- und 40-Stunden-Woche der Vergangenheit angehört?
- Wie lassen sich Mitarbeitererfahrungen schaffen, die über die physischen Grenzen der Arbeitsumgebung hinausgehen?

Kapitel 6
Mikrobiome: Mikroorganismen als große Problemlöser
Die Forschung an Mikrobiomen ist noch jung, kann jedoch bedeutende Märkte erschließen und Lösungen für globale Herausforderungen liefern.
Seit 1766 hat es in Mitteleuropa keine zweijährige Sommerdürre gegeben wie die in den Jahren 2018 und 2019, stellt eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung fest. Mehr als 50 Prozent des Ackerlandes sind betroffen.
Dürren, starke Regenfälle, Überschwemmungen: Auf der ganzen Welt sind Nutzpflanzen den Folgen des Klimawandels ausgesetzt. Das ist umso gravierender, als die Landwirtschaft bis zum Jahr 2050 56 Prozent mehr Kalorien für die dann bis zu 10 Milliarden Menschen produzieren muss. Für diese Diskrepanz brauchen wir eine Lösung – und die könnte winzig klein, in der Masse aber ausgesprochen wirkungsvoll sein: Mikroorganismen.
Gerade Entwicklungsländer, die dem Klimawandel am stärksten ausgesetzt und auch am meisten von der Landwirtschaft abhängig sind, werden von Mikrobiomlösungen profitieren.
Enzyme freisetzen, sodass die Pflanzen leichter den Phosphor aus dem Dünger aufnehmen können. Anderen ist es gelungen, wurzelbesiedelnde Mikroben gentechnisch so zu verändern, dass deren Eigenschaften zur Fixierung von Stickstoff – einem wichtigen Nährstoff für Pflanzen – gesteigert werden konnten.
Probiotische Anwendungen wie diese steigern nicht nur die Produktivität von Nutzpflanzen, sie sparen auch Geld und sind umweltfreundlich, weil weniger synthetischer Dünger zum Einsatz kommt. Weniger Dünger bedeutet weniger Treibhausgasemissionen, eine bessere Bodenqualität und mehr Bindung von Kohlenstoff. Gerade Entwicklungsländer, die dem Klimawandel am stärksten ausgesetzt und auch am meisten von der Landwirtschaft abhängig sind, werden von Mikrobiomlösungen profitieren.
Wie Kühe klimafreundlicher werden könnten
Das gilt womöglich auch für den steigenden Bedarf an Milch und Fleisch. Wäre die globale Rinderherde ein Land, wäre sie der drittgrößte Treibhausgasemittent der Welt: Das im Darmmikrobiom von Kühen produzierte Methangas fängt 30-mal so viel Wärme ein wie CO2. Forscher haben herausgefunden, dass eine kleine Teilmenge dieses Mikrobioms die Methanemissionen und die Milchproduktivität beeinflusst. Gelänge eine gezielte, breitflächige Veränderung im Mikrobiom von Rindern, würde das Kühe effizienter und klimafreundlicher machen. Manche Tiere haben ein Mikrobiom mit niedrigem Methangehalt und hoher Milchproduktion bereits in ihrer DNA. Das Gute: Es ist vererbbar.
Mikrobiom – Mensch – Gesundheit: eine Kausalkette
Milliarden Menschen sind von mikrobiell beeinflussten Krankheiten betroffen. Dazu zählen Diabetes Typ II, Krebs, Nahrungsmittelallergien, Entzündungskrankheiten, Parkinson, Fettleibigkeit, Autismus, Depressionen und Angstzustände. Die Therapien reichen von individualisierten, auf Mikroorganismen basierenden Diäten über Präbiotika, die erwünschte Mikroben ernähren, bis hin zu Probiotika, also nützlichen, zugesetzten Mikroorganismen in der Nahrung.
In Deutschland forscht man unter anderem an Therapien zur Behandlung von Erkrankungen des Verdauungstraktes mithilfe des Mikrobioms. Ein US-amerikanisches Tochterunternehmen der Ferring Arzneimittel GmbH aus Kiel steckt derzeit in der vielversprechenden klinischen Phase III eines Mirkobiompräparates gegen CDI (Clostridioides-difficile-Infektion). Diese Antibiotika-assoziierte Diarrhoe tritt vor allem bei Krankenhauspatienten auf.
Deutsche Biotech-Unternehmen arbeiten auch an genmodifizierten Mikroorganismen zur Herstellung von Enzymen, die als Waschmittelzusätze für eine bessere Waschleistung sorgen sollen. Ein ähnlicher Ansatz wird im Bereich des „Green Mining“ verfolgt: Dabei werden Edelmetalle wie Gold oder Silber in biologischen Aufbereitungsprozessen integriert angereichert, um sie besser gewinnen zu können – alles ohne Einsatz giftiger Chemikalien.
Was Mikroorganismen mit der COVID-19-Pandemie zu tun haben
Prognosen zufolge werden im Jahr 2050 etwa 70 Prozent der Menschen in Städten leben. Auch hier spielen Mikroorganismen eine große Rolle. Jeder Raum, jedes Gebäude beherbergt ein einzigartiges Mikrobiom, das von seinen Bewohnern und deren Aktivitäten, von Heizung, Kühlung und Belüftung, Sanitäranlagen und der Außenluft bestimmt wird.
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Die COVID-19-Pandemie hat zunehmende Besorgnis über eine mögliche Präsenz des Corona-Virus im Mikrobiom unseres gebauten Umfeldes ausgelöst. Inzwischen gibt es einen RNA-basierten COVID-19-Test, mit dem Objekte wie Türgriffe, Pin Pads für bargeldlose Zahlung und Handläufe darauf geprüft werden können. Infolge der Pandemie werden wir wahrscheinlich viel mehr Einblicke in die Mikrobiome unserer Räume erlangen und besser verstehen, ob sie Gesundheitsgefahren bergen.
Es ist zu erwarten, dass die Forschung an Mikrobiomen im nächsten Jahrzehnt einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Lösung globaler Herausforderungen leisten wird. Außerdem wird sie eine größere Rolle bei Innovationen in fast jeden Industriezweig spielen.
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Wie können Innovationen aus der biochemischen „Schatztruhe“ des Mikrobioms die Produkte und Performance Ihres Unternehmens nachhaltig verbessern?
- Wie kann Ihr Innovationsmanagement von den Erkenntnissen der Mikrobiom-Forschung profitieren?
Ihr Ansprechpartner

Kapitel 7
Synthetische Biologie: Die Natur verbessert nachbauen
Veränderungen am Erbgut eines Lebewesens rufen seit jeher Skepsis hervor. Doch was, wenn sie dem Lebewesen selbst und uns Menschen helfen?
Beim Thema Genforschung denken wir in Deutschland seit Jahrzehnten an Horrorszenarien von „Designer-Babys“ und DNA-Tests bei Vorstellungsgesprächen. 80 Prozent der deutschen Verbraucher lehnen beispielsweise gentechnisch veränderte Lebensmittel ab – in den USA hingegen stehen diese seit Jahren in den Supermärkten.
Synthetische Biologie, die eine Fortsetzung der Gentechnik ist, wird zu Recht kritisch betrachtet. Doch es besteht ein Unterschied zwischen Skepsis und Angst, die häufig aus Unsicherheit und Unwissenheit resultiert. Die Synthetische Biologie ist ein hochkomplexes Wissenschaftsfeld, das Möglichkeiten zur Verbesserung unseres Lebens bietet.
An der Schnittstelle zwischen Biologie und Technologie bildet die Synthetische Biologie einen interdisziplinären Zweig der Life Sciences, in dem Biologen, Chemiker und Ingenieure gemeinsam forschen. Ihr Ziel: biologische Systeme im Labor so nachzubauen oder zu verändern, dass sie einen Nutzen für die Gesellschaft erbringen. Dieser kann von Therapien bis zu Treibstoff reichen.
Am bekanntesten sind die ersten Bilder von Fleisch in der Petrischale, künstlich erzeugt im Labor. Eines Tages könnten aus den Labors nicht nur Steaks kommen, sondern auch künstlich gezüchtete Lederschuhe, Autos aus Biokunststoffen, angetrieben von Biotreibstoffen, oder die tägliche Dosis eines Medikaments, das die erbliche Belastung von Alzheimer in einer Familie in Schach hält. Noch ist das Zukunftsmusik, doch die Instrumente dafür werden bereits gestimmt.
Die Synthetische Biologie bietet die Chance, Lösungen für drängende globale Herausforderungen zu finden: in der Nahrungsmittelindustrie und für die Ernährungssicherheit, zur Behandlung von (chronischen) Krankheiten oder zur Bewältigung des Klimawandels.
Den Code des Lebens lesen und neu schreiben
Vor 13 Jahren hat die erste Sequenzierung des menschlichen Genoms 3 Milliarden US-Dollar gekostet. Heute braucht es dafür gerade mal 600 US-Dollar und eine Woche Zeit. Das zeigt, mit welcher Geschwindigkeit und Kraft die Synthetische Biologie voranschreitet. Hunderte Wissenschaftler wollen mit dem Genome Project-write (GP-write), einer Fortsetzung des Human Genome Project, erreichen, dass die Synthese – also das Schreiben – menschlicher und anderer großer Genome genauso schnell, leistungsfähig und kostengünstig umsetzbar ist wie das Sequenzieren, also das Lesen.
Die Synthetische Biologie böte so die Chance, Lösungen für drängende globale Herausforderungen zu finden: in der Nahrungsmittelindustrie und für die Ernährungssicherheit, zur Behandlung von (chronischen) Krankheiten oder zur Bewältigung des Klimawandels.
Anwendungen von Medizin bis Maisanbau
Wo heute Medikamente für die Massenbehandlung von der Fabrik zum Patienten wandern, werden individualisierte Gentherapien künftig vom Patienten (zelluläres Material) zur Fabrik (Personalisierung) und zurück zum Patienten gebracht. Auch bei der Impfstoffentwicklung gegen COVID-19 spielt die synthetische Biologie ganz vorne mit; ihr Ansatz erweist sich als deutlich effizienter als der herkömmliche.
Auch für die nachhaltigere Produktion oder Verbesserung von Textilien, Lebensmitteln, Konsumgütern oder Baumaterialen kann synthetische Biologie durch die Editierung von Mikroorganismen angewandt werden. Einige Duft- und Geschmacksstoffe werden bereits auf diese Weise hergestellt, ebenso das Malariamittel Artemisinin und die meisten Insuline. Nun wird dieser Ansatz zur Herstellung von Milch- und Eiproteinen, lederähnlichen Materialien, Polymeren für Biokunststoffe, Monomeren für Biokautschuk und Treibstoff aus Industrieabgasen genutzt.
In der Nachahmung natürlicher Materialien sind einige Unternehmen bereits sehr weit: So produziert ein Münchner Unternehmen synthetische Biotech-Spinnenseide, sogenannte Seiden-Biopolymere, die über die gleichen Eigenschaften wie ihr natürliches Pendant verfügt. Die vegane Seide bietet verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Flugzeugen über Shampoo bis hin zu Brustimplantaten.
Die rasend schnellen Entwicklungsfortschritte mancher Technologien bringen oft tiefgreifende Veränderungen und dadurch potenzielle Gefahren mit sich. Darum sollte die Synthetische Biologie zwingend von einer ethischen Diskussion und Einordnung begleitet werden.
Mussten Diplom-Landwirte früher langwierige Züchtungsprogramme durchführen, können sie jetzt das Erbgut einer Pflanze mit einfachen Werkzeugen schnell bearbeiten, um Produktivität, Größe, Krankheitsresistenz, Geschmack, Aroma, Dürretoleranz und andere Eigenschaften zu optimieren. Einige Nutzpflanzen befinden sich bereits in der Entwicklung, darunter dürreresistentes Soja, koffeinfreie Kaffeebohnen und glutenarmer Weizen.
Warum eine ethische Einordnung zwingend ist
Die rasend schnellen Entwicklungsfortschritte mancher Technologien bringen oft tiefgreifende Veränderungen und dadurch potenzielle Gefahren mit sich. Darum sollte die Synthetische Biologie zwingend von einer ethischen Diskussion und Einordnung begleitet werden. Gelingt dies mit einem hohen Maß an Verantwortungsgefühl, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach bewahrheiten, was der Apple-Erfinder Steve Jobs bereits vor seinem Tod 2011 prognostizierte: „Die größten Innovationen des 21. Jahrhunderts werden aus der Schnittstelle von Biologie und Technologie hervorgehen. Hier beginnt eine neue Ära.”
Welche Fragen jetzt wichtig sind
- Welche neuen Möglichkeiten eröffnet Synthetische Biologie für Lieferketten, Materialien, Fertigung, Logistik und die Geschäftsmodelle in Ihrer Branche?
- Welche Innovationschancen bietet Synthetische Biologie in Ihrer Wertschöpfungskette?
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Fazit
Megatrends treiben die großen Wandlungsprozesse der Welt und entscheiden mit darüber, wie wir künftig leben und arbeiten werden. Sie wirken global und erfassen alle gesellschaftlichen Ebenen: Wirtschaft und Politik, Wissenschaft, Technologie und Kultur. Wir analysieren die wichtigsten Trends und zeigen auf, wie Unternehmen darauf reagieren sollten.