4 Minuten Lesezeit 18 August 2020
 Luftaufnahme von Sonnenkollektoren auf dem Dach.

Wie die Immobilienwirtschaft dekarbonisiert werden kann

Von Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, EY Consulting GmbH | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.

4 Minuten Lesezeit 18 August 2020

Bis 2050 müssen Gebäude „nahezu klimaneutral“ werden. Für die Stadtwerke bieten sich dadurch eine Reihe von neuen Geschäftsmodellen.

Im Klimaschutzplan 2050 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) ist das Ziel verankert, dass Gebäude bis 2050 „nahezu klimaneutral“ sein müssen. Dies stellt die Immobilienwirtschaft vor enorme Herausforderungen.

Bei Neubauten ist Klimaneutralität durchaus machbar, da das Ziel bereits in der Planungsphase vorgegeben und aktiv gesteuert werden kann. Anders sieht es bei der Mehrzahl der Gebäude aus, bei denen es sich um Altbauten handelt. Allein mit den Mitteln und Budgets der Wohnungswirtschaft wird es für diesen Gebäudetyp nicht möglich sein, das Klimaziel zu erreichen. Auch bereits erfolgte energetische Sanierungen, wie beispielsweise Wärmedämmungen, die in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Reduktion des CO2-Ausstoßes geführt haben, werden nicht ausreichen, um das Ziel „nahezu klimaneutral“ für einen Altbau zu erreichen. Mittlerweile hat sich auch herausgestellt, dass mehr Dämmen nicht automatisch mehr CO2 einsparen heißt.

Lösungen für das Altbau-Dilemma

Die Lösung dieses Problems muss somit außerhalb des Gebäudes gefunden werden. Die eine Patentlösung gibt es hier nicht – dennoch ist klar: Das Ziel ist nur mit einer optimalen Balance aus erneuerbaren Energien und Energieeffizienz erreichbar. Darüber hinaus bietet es sich für die Wohnungswirtschaft an, die Energiewirtschaft und sogar die Mieter als Partner einzubeziehen. Damit würde sie dem Ziel der Klimaneutralität näherkommen und gleichzeitig ihr operatives Kerngeschäft erweitern.

So kann eine Solaranlage die C02-Bilanz eines Hauses verbessern. Ein Stadtwerk, das diese Anlage installiert und wartet, kann hieraus ein Geschäftsmodell entwickeln. Die Finanzierung könnte neben der klassischen Bankenfinanzierung unter Einbeziehung der Mieter erfolgen. Diverse Crowdfunding-Unternehmen bieten derartige Beteiligungen bereits an.

Vorteile bieten sich auch dem Immobilieneigentümer: Neben einer Miete oder Pacht für die zur Verfügung gestellte Dachfläche verbessert sich die C02-Bilanz seiner Immobilie. Es kommt zu einer Win-win-Situation für alle Beteiligten. Plattformen bilden hier einen geeigneten Marktplatz für alle Interessierten.

Mieterstrommodelle und Quartierskonzepte

Bei den in der EY & BDEW Stadtwerkestudie 2020 befragten Unternehmen, für die Energiedienstleistungen von großer Bedeutung sind, nehmen Direktvermarktung und Mieterstrommodelle/Quartierskonzepte bereits eine wichtige Rolle ein. Insbesondere Mieterstrommodelle und Quartierskonzepte sollen in den nächsten Jahren stark ausgebaut werden. Innovative Quartierskonzepte gehören zu den interessantesten Kooperationsmöglichkeiten zwischen Energie- und Wohnungswirtschaft. Sie verfolgen das Ziel, bestmöglich auf die Bedürfnisse der Nutzer einzugehen (z. B. Komfort, digitale und persönliche Services, Image) und zugleich neueste Technologien zu nutzen (z. B. moderne, klimafreundliche Energietechnik, Elektromobilität). Energieversorger, die durch eine aktive Marktbearbeitung frühzeitig Zugang zu Projektentwicklungen erhalten, können an derartigen Projekten beteiligt werden.

Als wesentliche Motivation für den Ausbau von Energiedienstleistungen sehen die Befragten insbesondere die Bedeutung als Zukunftsmarkt und die Möglichkeit, klima- und umweltfreundliche Angebote zu fördern.

Komplex wird das Thema, wenn die Eigentümerstruktur eine große Lösung – etwa für einen ganzen Straßenzug – nicht ohne Weiteres zulässt. Auch hier bieten Plattformmodelle attraktive und vertrauenswürdige Möglichkeiten für Lösungsansätze. Alle potenziellen Anbieter und Nachfrager von Produkten, die einen Immobilieneigentümer dem Klimaziel näherbringen, werden an einem Marktplatz versammelt: der Online-Plattform. Teilnehmer mit unterschiedlichen Kernkompetenzen können hier ihr spezifisches Know-how positionieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln.

Intelligentes Energiemanagement

60 %

der befragten Energieversorger bieten solche Systeme als Element umfassender Energieautarkielösungen bereits an oder planen dies in den nächsten zwei Jahren.

Smart Metering: Intelligentes Energiemanagement

Auch der Ausbau der Angebote im Messwesen bietet neue Chancen, die Wohnungswirtschaft beim Ziel der Klimaneutralität zu unterstützen. Der Smart Meter Roll-out kommt seit der Freigabe der notwendigen Smart Meter Gateways seit Anfang 2020 langsam in Gang. Die EY & BDEW Stadtwerkestudie 2020 zeigt, dass die Einführung der neuen Technik bei den Energieversorgern bereits beginnt und dass insbesondere in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte zu erwarten sind. Für klimafreundlichere Wohnungen kann dabei besonders ein intelligentes Energiemanagement sorgen. 60 Prozent der befragten Energieversorger bieten solche Systeme als Element umfassender Energieautarkielösungen bereits an oder planen dies in den nächsten zwei Jahren. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dieser Anteil wohl auf mehr als 80 Prozent anwachsen. Abgesehen vom Energiemanagement tragen auch andere Smart-Metering-Leistungen zu umweltfreundlicherem Verbrauch bei, so etwa eine gute Verbrauchsvisualisierung oder variable Tarife.

Co-Autoren: Axel von Perfall, Jens Hansen

Fazit

Laut Klimaschutzplan 2050 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) müssen Gebäude bis 2050 „nahezu klimaneutral“ sein. Hierunter fallen auch Altbau-Wohnungen, bei denen Wärmedämmungen nicht ausreichen. Wie kann das Altbau-Dilemma gelöst werden? Fest steht: Das Ziel ist nur mit regenerativen Energien erreichbar. Dabei nehmen insbesondere innovative Quartierskonzepte eine wichtige Rolle ein.

Über diesen Artikel

Von Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, EY Consulting GmbH | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.