3 Minuten Lesezeit 18 August 2020
Verschiedene Varianten der Zusammenarbeit zwischen Wohnungs- und Energiewirtschaft

Wie private Ladesäulen die Wohnungswirtschaft revolutionieren

Autoren
Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.

Oliver Schweizer

Partner, Real Estate, Hospitality & Construction, EY Real Estate GmbH | Deutschland

Immobilien-Professional mit Schwerpunkt Transformation, Transaktion und Strategie; Freizeit bestimmt von der Familie mit zwei Söhnen; Hobbys: Skifahren, Architektur und Automobile.

3 Minuten Lesezeit 18 August 2020

Die Elektromobilität wird immer stärker ausgebaut. Das erfordert auch vermehrt private Ladesäulen in den Beständen der Wohnungswirtschaft.

Der Ausbau der Elektromobilität spielt sich nicht nur im öffentlichen Raum ab, er berührt auch ein wichtiges Wachstumsfeld an der Schnittstelle zwischen Energie- und Wohnungswirtschaft. Denn die öffentliche Ladeinfrastruktur wird nicht ausreichen, um die ambitionierten Ausbauziele zu erreichen. Daher kommt der privaten Ladeinfrastruktur eine große Bedeutung zu.

Die großen Bestände der Wohnungswirtschaft werden in den nächsten Jahren erheblich in Richtung Elektromobilität aufgerüstet werden müssen, da ein Großteil der Ladevorgänge zu Hause oder bei der Arbeit stattfinden wird. Für die Wohnungswirtschaft kann das Bereitstellen privater Ladesäulen eine wichtige Ergänzung ihres Angebots sein. In geeigneten Liegenschaften, insbesondere den höherwertigen, wird eine Ladeinfrastruktur die Attraktivität für Mieter und damit den Objektwert steigern. Zudem gibt es über die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie (bzw. deren Umsetzungen in nationales Recht) die Verpflichtung zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Wohn- und Nichtwohngebäuden.

Private Ladeinfrastruktur

64 %

der Befragten verkaufen und installieren auch private Ladeinfrastruktur – Tendenz steigend.

Die EY & BDEW Stadtwerkestudie 2020 zeigt, dass weit über die Hälfte der Befragten bereits am Ausbau lokal emissionsfreier Mobilität beteiligt sind – das Thema steht weit oben auf der Agenda vieler Kommunen. Je nach Geschäftsmodell oder Dienstleistung haben 60 bis 80 Prozent der Befragten hier bereits Angebote am Markt. Knapp 20 Prozent der Befragten planen deutlich mehr Aktivitäten in den nächsten Jahren. Die Stadtwerke, meist in enger Verbindung zur Kommune, haben bereits in den letzten Jahren den öffentlichen Auftrag übernommen, die öffentliche Ladeinfrastruktur auszubauen: 79 Prozent der Befragten, für die E-Mobilität hoch auf der Agenda steht, betreiben öffentliche Ladesäulen, 64 Prozent verkaufen und installieren auch private Ladeinfrastruktur, Tendenz steigend.

Das „private Laden“ erfordert die Einbindung diverser Gewerke: Flächen bereitstellen, Ladesäulen installieren, Stromlieferung sowie Abrechnung und praktische Prozesse wie das Lademanagement organisieren, Lademöglichkeiten bewerben, Service und Wartung anbieten. Wir schätzen die Marktlage so ein, dass diese Gewerke in ihren jeweiligen Kombinationen noch nicht eindeutig an Unternehmen bestimmter Branchen vergeben sind. In dieser Aufbauphase besteht noch viel Spielraum, neue Geschäftsmodelle – auch gemeinsam mit Partnern – zu entwickeln.

Es ist wahrscheinlich, dass die Wohnungswirtschaft in die Pflicht genommen wird, die Initiative für den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu ergreifen – im Neubau wie im Bestand. Grundsätzlich kann sie diese Aufgabe weitgehend in Eigenregie übernehmen. In diesem Fall muss sie die einzelnen Gewerke selbst ausschreiben, auswählen, beauftragen und überwachen. Insbesondere die größeren Wohnungsbaugesellschaften werden so vorgehen.

Stadtwerke orchestrieren die Gewerke

Viele Unternehmen der Wohnungswirtschaft werden aber Partner suchen, um die Umsetzung für sie schneller und komfortabler zu realisieren. Die Energiewirtschaft kann hier eine wichtige Rolle übernehmen: Naheliegend ist, dass die Energiewirtschaft die Energielieferung und den Messstellenbetrieb (Ablesung der Verbräuche) in die Hand nimmt. Auch das Lademanagement ist nah am Kerngeschäft der Energieversorger. Als Spezialist für netzgebundene Infrastruktur kann die Energiewirtschaft aber auch weitere Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise das Projektmanagement während der gesamten Planungs- und Errichtungsphase. Die Wohnungswirtschaft kann in diesem Fall für einen ausgewiesenen Standort die gesamte Umsetzungsaufgabe an die Energiewirtschaft übergeben. So werden Stadtwerke zum Orchestrator der Gewerke im Ausbau der E-Mobilität.

In einem weiteren Schritt könnte die Energiewirtschaft als „Full-Service-Partner“ die gesamte Verantwortung für Ladestationen in den Immobilien übernehmen – einschließlich des Betriebs, der Finanzierung sowie Wartung und Service. Gegenüber den Mietern könnten entweder ihre Vermieter selbst oder die Energiewirtschaft als Dienstleister auftreten. Denkbar ist in diesem „Full-Service-Modell“ auch, dass die Wohnungswirtschaft die Parkflächen an die Energiewirtschaft verpachtet und das Energieunternehmen in voller Eigenverantwortung die Vermarktung übernimmt.

Plattformen für den Ausbau

Auch ein plattformbasiertes Geschäftsmodell ist denkbar. Die Energiewirtschaft könnte eine anbieteroffene digitale Plattform anbieten, die es Unternehmen der Wohnungswirtschaft leicht macht, sich über den Ladesäulenausbau in Immobilien zu informieren, Projektanfragen einzustellen und direkt über die Plattform Dienstleister und Partner zu beauftragen.

Möglich ist auch die Öffnung der privaten Ladeinfrastruktur für die Nutzung durch Externe. Warum nicht private Ladestationen (auf frei zugänglichen Parkplätzen vor Wohngebäuden oder in Tiefgaragen) auch für Gäste öffnen? Der Zugang und die Abrechnung könnten über eine App erfolgen. Unter der Prämisse, dass Mieter der Immobilie Priorität beim Zugang behalten, ist durch eine solche Öffnung („Airbnb für Ladesäulen“) eine deutlich bessere Auslastung der Ladesäulen möglich.

Verschiedene Varianten der Zusammenarbeit zwischen Wohnungs- und Energiewirtschaft

Fazit

Mit dem zunehmenden Ausbau der Elektromobilität kommt der privaten Ladeinfrastruktur eine besonders große Bedeutung zu. Immerhin wird ein Großteil der Ladevorgänge in Zukunft zu Hause oder bei der Arbeit stattfinden. Das stellt die Akteure vor einige Herausforderungen. In dieser Aufbauphase besteht viel Spielraum, neue Geschäftsmodelle – auch gemeinsam mit Partnern – zu entwickeln. Denkbar sind ein „Full-Service-Modell“ oder auch ein plattformbasiertes Geschäftsmodell.

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Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.

Oliver Schweizer

Partner, Real Estate, Hospitality & Construction, EY Real Estate GmbH | Deutschland

Immobilien-Professional mit Schwerpunkt Transformation, Transaktion und Strategie; Freizeit bestimmt von der Familie mit zwei Söhnen; Hobbys: Skifahren, Architektur und Automobile.