Finanzverwaltung äußert sich zu Vorabverständigungsverfahren

Die Finanzverwaltung ändert ihren Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) und äußert sich darin erstmals zu der mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) eingeführten Regelung für bi- und multilaterale Vorabverständigungsverfahren (§ 89a AO). Die bislang hierzu bestehenden praktischen Anwendungsfragen werden damit jedoch nur teilweise geklärt. 

Mit dem AbzStEntModG (BGBl. I 2021, S. 1259) hat der Gesetzgeber im Jahr 2021 mit § 89a AO erstmalig eine eigenständige Regelung für bi- und multilaterale Vorabverständigungsverfahren (APA-Verfahren) geschaffen. Demnach kann zur Vermeidung der Doppelbesteuerung das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) auf Antrag eines Abkommensberechtigten (Antragsteller) ein zwischenstaatliches Verfahren über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalten für einen bestimmten Geltungszeitraum, der in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten soll, mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates einleiten (Vorabverständigungsverfahren, sog. Advance Pricing Agreement; APA-Verfahren). Im Gegensatz zur früheren gesetzlichen Regelung (vgl. § 178a AO a.F.), sind solche Vorabverständigungsverfahren nicht mehr auf Fragen der Einkunftsabgrenzung im Sinne des Art. 9 bzw. 7 DBA-MA beschränkt, sondern können jegliche Fragen des Doppelbesteuerungsabkommens umfassen, z.B. Fragen im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbesteuerung nach Art. 19 DBA-MA für Zwecke des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber, sofern in diesen Fällen nach dem Recht anderer beteiligter Staaten Vorabverständigungsverfahren möglich sind. 

Zahlreiche praktische Fragen der Neuregelung blieben jedoch offen. Die Praxis war daher gespannt auf die entsprechende Aktualisierung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO). Diese hat das BMF nun mit Schreiben vom 26.06.2024 veröffentlicht.

Der neue AEAO enthält Ausführungen zur Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens, zum Inhalt und zum Umfang des Antrags, zum Abschluss und zur Beendigung des Verfahrens sowie Ausführungen zur Bindungswirkung, zum Geltungszeitraum und zu den Gebühren. Dabei entsprechen die Regelungen weitestgehend der bisherigen Verwaltungspraxis. 

Hervorzuheben sind insbesondere die folgenden Punkte: 

Bereits im früheren und nun durch den neuen AEAO aufgehobenen APA-Merkblatt 2006 (vgl. BMF-Schreiben vom 05.10.2006, BStBl. I S. 594) hatte das BMF klargestellt, dass für Verrechnungspreisfragen im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen zu DBA-Staaten einseitige, d.h. unilaterale verbindliche Auskünfte (§ 89 AO) in der Regel nicht in Frage kommen. An dieser Position hält das BMF fest. Einseitige Auskünfte sollen auch dann nicht möglich sein, wenn der andere Staat das Vorabverständigungsverfahren ablehnt. Verbindliche Zusagen nach einer Außenprüfung (§ 204 AO) sind u.E. hiervon nicht umfasst. Hiervon unabhängig ist insbesondere zweifelhaft, ob die Steuerpflichtigen auf das gebührenpflichtige APA-Verfahren verwiesen werden können, wenn sie eigentlich einen Anspruch auf eine gebührenfreie verbindliche Zusage (§ 204 AO) bzw. Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) haben.   

Seit Einführung des § 89a AO war offen, ob bzw. in welcher Höhe die nach § 89a AO zu entrichtenden Gebühren bei gleichgelagerten Sachverhalten festzusetzen sind, sofern mehrere deutsche und/oder ausländische Steuerpflichtige betroffen sind. Vor Einführung des § 89a AO hatte das BZSt zumindest in Organschaftsfällen die entsprechenden Antragsgebühren bei gleichgelagerten Sachverhalten nur einfach festgesetzt. Obwohl der Wortlaut des § 89a AO u.E. auch eine weniger strikte Auslegung zuließe, führt das BMF im neuen AEAO nun aus, dass die Gebühren für das Vorabverständigungsverfahren nun in jedem Fall mehrfach festzusetzen sind, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt steuerlich nicht nur einheitlich beurteilt werden kann, selbst wenn die Steuerpflichtigen gleiche Geschäftsbeziehungen zu einer nahestehenden Person im anderen Staat unterhalten. Hier hätte man sich eine kulantere Vorgabe des BMF gewünscht, denn schließlich liegt es in der Praxis so, dass solche Fälle häufig in einem einheitlichen Verfahren gebündelt, beurteilt und verhandelt werden, so dass für das BZSt nicht zwingend ein höherer Verwaltungsaufwand anfällt. 

Im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut, aber angesichts des auf Kooperation angelegten Verfahrens zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigen in der Rigorosität zumindest befremdlich, weist das BMF auch auf die Bedeutung der fristgerechten Gebührenfestsetzung für die Einleitung des Vorabverständigungsverfahrens hin. Sofern die Gebühr innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Festsetzung nicht entrichtet wird, erfolgt in der Regel eine Ablehnung des APA-Verfahrens. Trotz Ablehnung des Antrags ist die nicht entrichtete Gebühr zu zahlen. Immerhin soll in begründeten Ausnahmefällen eine Fristverlängerung gewährt werden. 

Weiterhin unbefriedigend sind auch die Regelungen zur Antrags- bzw. Verfahrenssprache. Immerhin sieht der AEAO die Möglichkeit vor, dass der Antrag, insbesondere in Verrechnungspreisfällen, nur in englischer Sprache gestellt werden darf; dies setzt allerdings voraus, dass die gemeinsame Arbeitssprache der beteiligten Staaten nicht deutsch ist. Der Antragsteller ist jedoch weiterhin verpflichtet, auf Anforderung der Finanzbehörden in jeder Phase des Verfahrens von ihm eingereichte Unterlagen und Schreiben (oder ggf. Teile davon) auf eigene Kosten zu übersetzen. 

Im Rahmen des Verfahrens legt das BMF einen besonderen Fokus auf die Informationstransparenz zwischen den beteiligten Staaten. Alle Informationen, die im APA-Verfahren einer Behörde zur Verfügung gestellt werden, sollen auch der anderen zuständigen Behörde zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt auch für Informationen, die im Rahmen der sogenannten Vorab-Gespräche (sogenannte pre-filing meetings) geteilt werden. Zudem wird noch einmal klargestellt, dass die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens die gleichzeitige Durchführung einer Außenprüfung nicht behindert oder einschränkt. Sämtliche Informationen, die im Rahmen des Vorabverständigungsverfahrens erlangt werden, können im Rahmen der Außenprüfung oder auch in anderen Rechtsgebieten von der Behörde genutzt werden. Dies steht zumindest in dieser Allgemeinheit im Widerspruch zu Tz. 4.167 der OECD-Richtlinien, nach denen zumindest nicht-sachverhaltliche Informationen des Steuerpflichtigen, die Steuerverwaltungen im Rahmen des Vorabverständigungsverfahrens-Antrags erhalten haben, nicht als prüfungsrelevant behandelt werden dürfen.  

Neu sind die Ausführungen zum Verhältnis von Vorabverständigungsverfahren und koordinierten steuerlichen Außenprüfungen. Hier ist erfreulich, dass sich das BMF um eine Vereinfachung des Vorabverständigungsverfahrens für den Folgezeitraum der Prüfung bemüht, wenn für diesen Zeitraum nicht mit einer wesentlichen Änderung des Sachverhalts zu rechnen ist. 

Bedeutsam könnten auch die Ausführungen des BMF zu den Gültigkeitsbedingungen der Vorabverständigungsverfahren sein (critical assumptions). In der Praxis spielen diese häufig kaum eine Rolle. Oft wird regelmäßig allenfalls vereinbart, dass die Vorabverständigung nur so lange gültig ist, wie sich die der Vereinbarung zugrundeliegende Funktions- und Risikoverteilung zwischen den beteiligten Steuerpflichtigen nicht wesentlich ändert. Nach Auffassung des BMF könnte es sinnvoll sein, weitere Gültigkeitsbedingungen zu vereinbaren, z.B. betreffend vergleichbare Verhältnisse bezüglich Marktbedingungen, Marktanteilen, zollrechtlichen Regelungen oder Wechselkursverhältnissen. Auch Veränderungen der steuerlichen Regelungen im anderen Staat (z.B. Einführung oder Ausweitung von steuerlichen Präferenzregelungen) sollen ggf. als Gültigkeitsregelung aufgenommen werden. Es dürfte klar sein, dass die Aufnahme enger Gültigkeitsbedingungen das Ziel der Vorabverständigung – die Schaffung von Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen – konterkariert. Insoweit bleibt zu hoffen, dass in der Praxis die vom BZSt bislang pragmatische Handhabung beibehalten wird. 

Ungeklärt bleiben einige praktisch relevante Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung des Vorabverständigungsverfahrens, z.B. die Frage, ob eine Antragseinreichung in elektronischer Form ausreichend ist oder was Steuerpflichtige zu berücksichtigen haben, wenn die Verhandlungen der beteiligten Staaten lange dauern und sogar über den beantragten Zeitraum hinausgehen. Hier stellen sich Fragen der (nachträglichen) Umsetzung der Vorabverständigungslösung und deren Folgewirkungen, wenn die gefundene Vereinbarung von der vorläufigen Handhabung des Steuerpflichtigen abweicht (z.B. Zinszahlungen, Quellensteuern). In diesem Zusammenhang hätte man sich eine Aussage des BMF gewünscht, dass sich die zuständige Behörde in diesen Fällen um eine steuerneutrale Umsetzung der Vereinbarung bemüht, z.B. durch die standardmäßige Akzeptanz einer Anpassung der Verrechnungspreise im letzten Jahr der Vereinbarung (so genannter „Term Test“) oder durch Berücksichtigung der gegenläufigen Zinseffekte im Rahmen der Vorabverständigungsvereinbarung mit dem anderen Staat. Denn auch solche Effekte führen zu Doppelbesteuerung und sind bei den in der Praxis zu beobachtenden langen Verfahrensdauern ein nicht zu vernachlässigender Faktor.   

Der neue AEAO gilt erstmals – im Einklang mit der gesetzlichen Anwendungsregelung für § 89a AO - für alle APA-Verfahren und verbindliche Auskünfte, deren Anträge nach dem 08.06.2021 eingegangen sind. Das Merkblatt für bi- oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren vom 05.10.2006 wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben und ist nur noch auf Anträge anzuwenden, die bis zum 08.06.2021 eingegangen sind. 

Der Volltext des Schreibens steht Ihnen auf der Internetseite des BMF zur Verfügung.

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