Unzulässige Rückwirkung bei der Tonnagebesteuerung

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1 Februar 2024
Bereich Einkommensteuer

Die Neuregelung zum Unterschiedsbetrag bei der Tonnagesteuer stellt nach der Auffassung des BFH eine echte Rückwirkung dar. Deshalb holt der BFH eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ein.

§ 52 Abs. 10 Satz 4 EStG i.d.F. des AbzStEntModG (BGBl I 2021, 1259) ordnet die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG i.d.F. des AbzStEntModG für Wirtschaftsjahre an, die nach dem 31.12.1998 beginnen. Nach § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG ist der im Rahmen der Tonnagebesteuerung für den Rechtsvorgänger festgestellte Unterschiedsbetrag beim unentgeltlichen Rechtsnachfolger zu besteuern. Diese Behandlung verankerte die vorherige Verwaltungsauffassung und -praxis im Gesetz. Der BFH hat hingegen in ständiger Rechtsprechung das Gesetz anders ausgelegt und entschieden, dass der Unterschiedsbetrag bei steuerneutralen Anteilsübertragungen zu Buchwerten nicht auf den Rechtsnachfolger des Gesellschafters übergehen soll (u.a. BFH-Urteil vom 28.11.2019, IV R 28/19).

Nun äußert sich der BFH zur Frage, ob die Neuregelung einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) darstellt. Laut BFH ist die in § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG angeordnete rückwirkende Geltung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG verfassungswidrig (Beschluss vom 19.10.2023, IV R 13/22). Die Regelung stelle im konkreten Fall (Streitjahr 2013) eine echte Rückwirkung dar, da die alte Rechtslage durch § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG konstitutiv geändert werde. So habe der Gesetzgeber in der Neuregelung angeordnet, dass der Unterschiedsbetrag im Falle einer Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Anteils eines Mitun­ternehmers an einem Betrieb zum Buchwert nach § 6 Abs. 3 EStG insoweit auf den Rechtsnachfolger übergeht und damit der anderslautenden höchstrichterlichen Gesetzesauslegung den Boden entzogen.

Laut BFH liegt keine der vom BVerfG anerkannten Fallgruppen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der echten Rückwirkung vor. Die ursprüngliche Gesetzeslage war weder unklar noch verworren. Auch sei die Fallgruppe nicht gegeben, wonach der Gesetzgeber mit der Neuregelung zulässigerweise eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben hat, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis (einheitlichen Rechtsüberzeugung) entsprochen habe. Eine einheitliche Rechtsüberzeugung liege dann nicht vor, wenn – wie im Streitfall – die Rechtsprechung einheitlich eine von der Verwaltungspraxis abweichende Rechtsauffassung vertritt (anders im BFH-Urteil vom 30.06.2022 zur Abfärbewirkung der gewerblichen Verluste, IV R 42/19, Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. 2 BvR 2113/22). Es reiche nämlich nicht aus, wenn lediglich eine Verwaltungsvorschrift existierte, die eine dem rückwirkend anzuwendenden Gesetz entsprechende Finanzverwaltungsauffassung zum Ausdruck gebracht hat. Laut BFH begründen Verwaltungsvorschriften per se keine einheitliche Rechtsüberzeugung zum Inhalt einer Norm. Vielmehr müsse die Verwaltungspraxis auch eine Zustimmung durch die Rechtsprechung erfahren haben. Für den BFH unterliegt es allein der Finanzgerichtsbarkeit zu entscheiden, ob eine Auslegung Bestand hat.

Da auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG n.F. nicht möglich sei, hat der BFH eine Vorlage an das BVerfG gerichtet, ob die Neuregelung aufgrund des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist. Vor dem BVerfG ist bereits ein Verfahren zu dieser Frage anhängig (2 BvL 5/23, Vorinstanz: FG Hamburg, Beschluss vom 24.11.2022, 6 K 68/21).

Die Entscheidung des BVerfG könnte auch vergleichbare Fälle einer Nichtanwendungsgesetzgebung betreffen, in denen streitig ist, ob eine rückwirkende Gesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt. Für den BFH ist eine rückwirkende Anpassung der Rechtslage durch den Gesetzgeber in jedem Fall als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber da­mit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.

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