7 Minuten Lesezeit 18 Februar 2020
Menschen auf einem Segelboot

„Nichts verbietet uns, ein Problem rechtzeitig anzugehen.“

Von EY Deutschland

Building a better working world

Co-Autoren
7 Minuten Lesezeit 18 Februar 2020

Noch nie hatten Unternehmen so viel Druck zur Veränderung. Erfolg hat nur, wer ständig auf Performance und das Schaffen von Werten blickt. 

Neue Player am Markt, geopolitische Risiken und die Digitalisierung: Viele Unternehmen steuern durch unsichere Zeiten. Falco Weidemeyer ist im Global Restructuring Leadership sowie Head of Reshaping Results EMEIA und hat langjährige Erfahrung in Corporate Performance, Restrukturierung und Transformation. Im Interview zeigt er, wie Unternehmen die „vier Phasen der Krise“ meistern – und warum Mut heute unverzichtbar ist.

EY: Egal ob Kalter Krieg, der Aufstieg Asiens oder das alles neu denkende Internet: Veränderung hat es immer schon gegeben – und „Disruption“ ist längst ein ziemlich abgegriffenes Schlagwort. Leben wir wirklich in so besonderen Zeiten?

Falco Weidemeyer: Das würde ich so sagen, ja. Wir erleben zum einen die Digitalisierung überall und sehen neue Geschäftsmodelle in vielen Branchen mit digitalem Hintergrund. Diese Veränderung durch das Digitale – beispielsweise durch Ridesharing-Apps im Taxi-Bereich oder durch Buchungsplattformen für Reisebüros –, sehen wir so deutlich erst seit rund einem Jahrzehnt.

Es geht zum anderen auch um das geopolitische Umfeld. Denken wir 30 Jahre zurück, dann kommen wir aus einer bipolaren, aber ziemlich stabilen Weltordnung. Heute erleben wir ein sehr diffuses Bild mit veränderten Rollen Amerikas und Chinas. Hinzu kommen Handelsauseinandersetzungen, Verunsicherungen auf ökologischer und sozialer Seite. All diese Faktoren führen dazu, dass wir heute in einem sehr disruptiven Umfeld sind und dass Geschäftsmodelle häufiger als früher bedroht werden

Wie groß ist dieses Problembewusstsein in den oft ausgereiften Märkten des Westens, beispielsweise in Deutschland, Österreich oder der Schweiz?

Das Zögern vor Veränderung ist normal – im Performance- und Restrukturierungsbereich sind Unternehmen mit dem sehr Menschlichen konfrontiert.
Falco Weidemeyer
Leiter Reshaping Results EMEIA, Mitglied des Global Restructuring Leadership Teams | Deutschland

 

Viele Unternehmen merken, dass sie einen anderen Blick auf ihre Performance brauchen. Sie müssen in einen Zustand der permanenten Anpassung kommen. Die Verbesserung der Performance muss eine prägende Management-Haltung sein, die Analysen und Anpassungen müssen viel häufiger als früher stattfinden.

Dabei reicht es nicht, Kosten und Strukturen anzupassen. Unternehmen müssen sich so aufstellen, dass sie auf Schwankungen leichter reagieren können. Sie müssen nicht nur ihren aktuellen Break-Even-Point senken, sondern auch planen, wie das beim nächsten Mal funktionieren soll. Resilienz heißt ja nicht nur, in guten Zeiten etwas für schlechte Zeiten wegzulegen, sondern es richtig zu investieren.

Gibt es Branchen, die zuletzt eine hohe Performance-Orientierung bewiesen haben?

Besonders stark betroffen von Veränderungen ist die Automobilbranche, dort besonders die Zulieferer. Aber auch der Einzelhandel und der Maschinenbau. Gerade beim Einzelhandel gibt es viele Gründe: andere Erwartungen an Vertriebskanäle, das Aufkommen des E-Commerce, veränderte Gewohnheiten und Erwartungen der Kunden.

Es ist schon erkennbar, dass das bisherige Geschäft nicht mehr das der Zukunft sein wird. Die aktuellen Zahlen maskieren den strategischen Handlungsbedarf.
Falco Weidemeyer
Leiter Reshaping Results EMEIA, Mitglied des Global Restructuring Leadership Teams | Deutschland

Branchen, denen es zurzeit noch relativ gut geht, stehen trotzdem unter großem strategischem Handlungsbedarf. Es ist schon erkennbar, dass das bisherige Geschäft nicht mehr das der Zukunft sein wird. Die aktuellen Zahlen maskieren den strategischen Handlungsbedarf.

Die Probleme sind also komplex und oft unternehmensindividuell. Ist es möglich, ihnen mit einem einzigen geordneten System zu begegnen?

Unterschiedliche Phasen der nötigen Leistungsverbesserung brauchen unterschiedliche Ansätze und gehorchen unterschiedlichen Regeln. Man kann einen konzeptionellen Bezugsrahmen aufstellen, also ein Modell, das Vereinfachungen vornimmt. Die Krisen lassen sich grob in vier Phasen einteilen: Nach der in guten Zeiten verpassten strategischen Neuausrichtung beginnt ein Unternehmen, Ergebnis zu verlieren, damit dann auch irgendwann Liquidität – und am Ende steht eine Insolvenz. Daraus ergeben sich verschiedene Krisenstadien. Zunächst geht es um eine strategische Krisensituation, dann um eine Ertragskrisensituation, eine Liquiditätskrisensituation und schließlich um die Insolvenz.

Welche Ziele verfolgen Unternehmen in den verschiedenen Krisenstadien und wie lassen sich daraus konkrete Maßnahmen ableiten?

Grundsätzlich kann man zwei Phasen freiwilliger Veränderungen von zwei Phasen zwingend notwendiger Anpassungen unterscheiden. Am Anfang stehen nachhaltig finanzierte Unternehmen, die aber vielleicht schon nicht mehr die Profitabilität der Vergangenheit oder von anderen Unternehmen der Branche erzielen. Diese erreichen die nötigen Anpassungen mit Programmen, die einen eher geringen Ergebnishub haben, und mit bottom-up erarbeiteten Lösungen, beispielsweise zu Effizienz und Produktivität. Das bringt in der Regel eine Kosteneinsparung im einstelligen Prozentbereich.

Dann gibt es Unternehmen in der beginnenden Ertragskrise, die aber weiter gut finanziert sind. Sie sind Herr der eigenen Geschicke, haben aber ungenutztes Potenzial. So etwas passiert zum Beispiel, wenn ein neuer Gesellschafter oder Investor ins Unternehmen kommt oder Synergien gehoben werden sollen. Auch solche Methoden sind noch stark bottom-up-geprägt, es gibt aber bereits eine vorgegebene Erwartungshaltung von oben

In der folgenden Phase geht es um Corporate-Performance-Programme, die noch vom Unternehmen getrieben sind, aber schon Einsparungen von zehn bis 20 Prozent erfordern. Es gibt klare Erwartungshaltungen, die Entscheidungen sind nicht mehr in allen Fällen konsensgetrieben, manche Maßnahmen müssen im Dissens durchgeführt werden, das Unternehmen steht unter Handlungsdruck.

Die letzte Maßnahme ist das sogenannte Value Recovery, die klassische Restrukturierung. Das Unternehmen ist in einer Liquiditätskrise, manchmal droht sogar die Insolvenz. Die Kosten müssen um 20 Prozent oder mehr reduziert werden. Oder es geht sogar um die Begleitung in eine geordnete Form der Insolvenz oder des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens.

Aus Ihrer Erfahrung: Was ist das dringendste Problem, wenn ein Unternehmen über eine Beratung nachdenkt?

In den ersten beiden Krisenphasen sind es Erwartungshaltung und Selbsterkenntnis, in den beiden letzten Phasen Selbsterkenntnis, das nötige Ziel und vor allem Liquidität. Je nachdem, wie ernst die Lage ist, steht oft die Zahlungsfähigkeit im Vordergrund. Je weiter ein Unternehmen in den genannten Krisenstadien vorgerückt ist, desto entscheidender ist die Liquiditätslage, auch, weil es da dann bereits um Haftungsfragen geht.

Manchmal ist es hilfreich, den Gesprächspartner – meist der CEO, ein Vorstand oder ein wichtiger Anteilseigner – am Anfang zu fragen: Wie schlimm ist es wirklich? Viele gestehen sich den Ernst der Lage schwer ein.

Welche dieser Probleme sind spezifisch für Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz?

Die Wirtschaftsstruktur in D-A-CH ist sehr mittelständisch geprägt. Das bringt Chancen und Risiken mit sich. Der mittelständische Unternehmer, der zu seinem Unternehmen steht und sich auf einen Kurs begeben hat, verfolgt diesen mit einer Entschlossenheit, die es möglicherweise in einem Unternehmen mit anonymen Besitzern so nicht gibt. Das birgt aber die Gefahr, dass der Unternehmer besonders entschlossen auf dem falschen Weg sein kann. Man kann aber auch nicht sagen, dass die höhere Governance in großen oder börsennotierten Unternehmen immer per se schon dazu führt, dass man früher Probleme erkennt und einschreitet.

Welche Haltung sollten Vorgesetzte oder Firmenchefs als allerersten Schritt an den Tag legen?

Es hängt am Ende immer von den individuellen Entscheidern ab. Keine Unternehmensgröße, keine Organisationsform, keine Führungsorganisation verbietet es ihnen, ein Problem rechtzeitig zu erkennen und anzugehen.
Falco Weidemeyer
Leiter Reshaping Results EMEIA, Mitglied des Global Restructuring Leadership Teams | Deutschland

Es muss einen Wechsel geben, weg vom Gedanken an Performance und Restrukturierung als ultima ratio, hin zu einer ständigen Performanceorientierung.

Wir hören bei Veranstaltungen wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos ein Stichwort, das uns immer mehr beschäftigt: Mut. Bislang sind die Diskussionen um Restrukturierung oft von Angst geprägt. Im Grunde ist so eine Angsthaltung aber falsch. Es geht eher um den Mut, zu sagen: Wir sind zwar in einem volatilen Umfeld, aber ich gehe das als Entscheider jetzt an. Ich werde aktiv, statt nur darauf zu hoffen, dass die Krise an mir vorbeigeht. Wenn man diesen Mut nicht rechtzeitig aufbringt, gehen Zeit, Optionen und Substanz verloren. Diese Dinge fehlen dann, wenn man den Mitarbeitern eine Zukunftsperspektive schaffen will.

Es hängt am Ende immer von den individuellen Entscheidern ab. Keine Unternehmensgröße, keine Organisationsform, keine Führungsorganisation verbietet es ihnen, ein Problem rechtzeitig zu erkennen und anzugehen.

Fazit

In vielen Branchen drängen neue Player in den Markt und verändern etablierte Geschäftsmodelle grundlegend. Weltweit nehmen die geopolitischen Risiken in hoher Geschwindigkeit zu. In der Folge erleben viele Unternehmen unsicherere Zeiten als je zuvor. Statt jährlichen Planungs- und Anpassungsprozessen rücken Anpassung und Performance ständig in den Mittelpunkt des Unternehmensgeschehens. Egal, ob es um eine Krise beim Ertrag oder gar bei der Liquidität geht: Eine ehrliche Bestandsaufnahme, zum Krisenstadium passende Maßnahmen und Mut helfen bei der erfolgreichen Veränderung.

Über diesen Artikel

Von EY Deutschland

Building a better working world

Co-Autoren