15 Minuten Lesezeit 20 Juli 2022
Nahaufnahme einer Person, die ein Glas mit Sojafleisch hält

Warum fleischlos essen glücklich macht und mehr als nur ein Trend ist

Von Thassilo Krupke

Senior Manager Strategy & Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Fokussiert auf Transformationsprojekte, umsetzungsorientiert, verheiratet, drei Kinder und lebt in Frankfurt.

15 Minuten Lesezeit 20 Juli 2022

Unternehmen, die Fleischersatzprodukte anbieten, verzeichnen hohe Wachstumsraten in einem dynamischen Marktsegment.

Überblick
  • Alternative, fleischlose Produkte auf der Basis verschiedener Proteine werden die Fleischindustrie grundlegend verändern.
  • In diesem Wettbewerb konkurrieren FMCG-Unternehmen, Veggie-Spezialisten, traditionelle Fleischproduzenten und Eigenmarkenhersteller um Marktanteile.
  • Die aktuellen Alternativprodukte werden schon bald zum festen Bestandteil der neuen Normalität.

Alternative Proteine erfreuen sich steigender Beliebtheit und werden die Fleisch- und Milchindustrie grundlegend verändern. Während der Markt für Milchersatzprodukte aufgrund zunehmender Laktoseintoleranz, entschiedenen Verzichts auf Milchprodukte und technologisch-basierter Produktvielfalt bereits in den vergangenen Jahren starke Zuwächse verzeichnen konnte, ist der Trend zu Fleischersatzprodukten noch recht jung. Nach Ansicht zahlreicher Expertinnen und Experten macht die erfolgreiche Vermarktung alternativer Milchprodukte, die in puncto Produktentwicklung und Sortimentsvielfalt weit vorne liegen, deutlich, welches Marktpotenzial die Herstellung von Fleischersatzprodukten birgt.

Deshalb sollten die Akteure entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette ihre Produktstrategien überprüfen und den Einstieg in das Segment Fleischersatzprodukte in Betracht ziehen, um von dem Trend profitieren zu können. Um sich in Zukunft einen Teil des Profits zu sichern, wird es zentral sein, das Kundenverhalten und die den verschiedenen Märkten und Vertriebskanälen zugrunde liegende Dynamik zu verstehen. Auf dieser Basis gilt es, eine geeignete Strategie zu entwickeln, um bestimmte Fleischprodukte durch innovative Erzeugnisse, die auf alternativen Proteinquellen basieren, zu ersetzen. 

Marktprognose zum Fleischkonsum nach Arten
Ausblick zum Marktanteil alternativer Proteine

Weniger Fleisch, mehr Wachstum: Die Alternative wird zur neuen Normalität

Mit rund 99 Prozent stellen Alternativen auf pflanzlicher Basis den größten Anteil an Fleischersatzprodukten. Andere Produkte wie etwa aus Insekten hergestelltes Fleisch werden nur in geringem Umfang vermarktet, während sich In-vitro-Fleisch (auch „kultiviertes Fleisch“ oder „Laborfleisch“) noch im Forschungs- bzw. in wenigen Ländern in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befindet. Experten zufolge ist eine Massenmarktkommerzialisierung von kultiviertem Fleisch nicht vor Ende des Jahrzehnts zu erwarten. Grund hierfür sind Hürden aufgrund der Verbraucherakzeptanz und hohen Entwicklungs- und Produktionskosten, was sich auf die Preise niederschlägt. Dennoch arbeiten verschiedene Start-up-Unternehmen intensiv an dieser Alternative, die auch für größere Akteure interessant ist und finanziert wird. Eine kürzlich von EY-Parthenon durchgeführte Analyse des weltweiten Marktes für pflanzliche Fleischersatzprodukte hat für das Jahr 2021 eine geschätzte Marktgröße von 4,9 Milliarden US-Dollar (zu Herstellerpreisen) ergeben (< 1,0 Prozent des gesamten Fleischmarktes), die sich Erwartungen zufolge bis zum Jahr 2025 in etwa verdoppeln wird. Europa (insbesondere Deutschland und das Vereinigte Königreich) bildet derzeit den größten Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte (zu Herstellerpreisen), gefolgt von Nordamerika und Asien. Der US-Markt dürfte jedoch bis zum Jahr 2025 mit Europa gleichziehen. Im weiteren Verlauf des Artikels fokussieren wir uns auf pflanzlichen Fleischersatz als größten Markt.

Segmentierung des globalen fleischmarkte

Die hohen Wachstumsraten im Segment der Fleischersatzprodukte gehen auf die günstige Entwicklung sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite zurück. Hierfür sind verschiedene Faktoren ursächlich:

  • Nachfrageseite: Umweltschutzaspekte, Tierwohl, verstärkte Fokussierung auf Gesundheit und Wohlbefinden
  • Angebotsseite: technologischer Fortschritt, Entwicklung in Richtung Preisparität, Kapitalbeschaffung und konsequentes Markenmarketing
Wachstumstreiber für pflanzliche Fleischersatzprodukte

Auch wenn der Trend zu pflanzlichen Fleischersatzprodukten bereits vor Ausbruch von COVID-19 nach oben zeigte, leistete die Pandemie dieser Entwicklung zusätzlich Vorschub. So wurden in bestimmten Märkten (zum Beispiel Deutschland und den USA) in den Jahren 2020 und 2021 Zuwachsraten von bis zu 60 Prozent verzeichnet. Ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein sowie die Tatsache, dass pandemiebedingt häufiger zu Hause gekocht und gegessen wurde, haben die Verbraucher veranlasst, zur offenbar gesünderen Alternative zu greifen, was die Nachfrage in die Höhe getrieben hat. Langfristig kann von einem etwas moderateren, wenngleich weiterhin starken Wachstum des Marktes für Fleischersatzprodukte ausgegangen werden. Bis zu den 2030er-Jahren dürfte der derzeit geringe Anteil pflanzlicher Fleischersatzprodukte am weltweiten Fleischmarkt insgesamt auf 5 bis 10 Prozent oder sogar darüber hinaus anwachsen.

Um diese Wachstumsdynamik auf lange Sicht aufrechtzuerhalten, ist es zum einen wichtig, die Angebotsseite zu stärken. Dies beinhaltet den Aufbau einer robusten Lieferkette, die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit von pflanzlichen Fleischersatzprodukten und die Umsetzung der relevanten Vorschriften. Zum anderen ist die Nachfrage weiter anzukurbeln, zum Beispiel durch Preissenkungen, Verbesserung von Geschmack und Vielfalt sowie Steigerung der Bekanntheit und Akzeptanz auf dem internationalen Markt.

Unterschiedliche Dynamik von Märkten und Vertriebskanälen erfordert individuelle Markteintrittsstrategien

Aufgrund unterschiedlicher Marktreife und Präferenzen der Verbraucher für pflanzliche Fleischersatzprodukte kann die zugrunde liegende Dynamik der Märkte und Vertriebskanäle in den einzelnen Ländern stark variieren. In Deutschland beispielsweise wird der Markt klar vom Einzelhandel dominiert (circa 95 Prozent), während das Out-of-Home-Segment (OoH) bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Innerhalb des Einzelhandels nehmen Verbraucher- und Supermärkte mit rund 57 Prozent die führende Position ein, gefolgt von Discountern mit rund 31 Prozent. In den USA und China ist der Markt anders aufgeteilt. In den USA zeigt sich das Verhältnis zwischen Einzelhandel und OoH mit einem Anteil von rund 60 Prozent für den Einzelhandel etwas ausgewogener. In China bildet das OoH-Segment mit rund 78 Prozent den Hauptvertriebskanal für Fleischersatzprodukte, während die Absatzzahlen im E-Commerce und Einzelhandel mit der Einführung verschiedener Convenience-Produkte (zum Beispiel verzehrfertige Lebensmittel oder Gerichte zum Aufwärmen) erst jetzt langsam steigen.

Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte nach Kanälen

Auch in verschiedenen europäischen Märkten konnte das OoH-Segment in letzter Zeit erhebliche Zuwächse verzeichnen. Führende Fast-Food-Ketten nutzen die Gelegenheit und haben groß angelegte Werbekampagnen und Angebotsinitiativen für Fleischalternativen gestartet. Für sie bietet die Einführung dieser neuen Kategorie die Möglichkeit, durch die Erschließung neuer Kundengruppen weiter zu wachsen und sich so strategisch besser zu positionieren. Führende Konsumgütermarken (Fast Moving Consumer Goods, FMCG) sowie unabhängige kleinere Marken profitieren derzeit von Co-Branding-Aktivitäten mit Fast-Food-Ketten. Da das OoH-Segment jedoch sehr wettbewerbsintensiv ist und der Kostenfaktor letztendlich eine wichtige Rolle spielt, dürfte die Zusammenarbeit mit Markenproduzenten für Fast-Food-Restaurants lediglich ein erster Schritt zur Steigerung der Verbraucherwahrnehmung sein. Am Ende könnte die beste und kosteneffizienteste Lösung für Restaurants in der Eigenherstellung bestehen.

Die Dynamik im Einzelhandelssegment hängt in hohem Maße von den Listungsentscheidungen der Einzelhändler ab, die sich im Wesentlichen nach der Endverbrauchernachfrage, der Markenbekanntheit und Produktinnovationen richten. In Deutschland bieten Einzelhändler derzeit zum Beispiel bis zu zehn verschiedene Marken pflanzlicher Fleischersatzprodukte an. Zusätzlich haben alle Einzelhändler solche Produkte auch unter Eigenmarken eingeführt, um sich die positive Entwicklung in diesem Segment zunutze zu machen. Auch wenn Verbraucher bereit sind, für Fleischersatzprodukte mehr zu bezahlen als für traditionelle Fleischprodukte, wird ein generelles Preisbewusstsein voraussichtlich zu einer deutlichen Zunahme des Eigenmarkenanteils führen. Der wachsende Wettbewerb und die immer größeren Regalflächen, die für Fleischersatzprodukte vorgehalten werden, setzen führende FMCG-Hersteller und Markenproduzenten zunehmend unter Druck, noch innovativer zu werden. Zudem erfordert die größere Vielfalt an Produkten den Ausbau der Lieferkettenkapazitäten sowohl bei Markenherstellern als auch bei Einzelhändlern.

Ausgestaltung des Angebots und Sicherstellung der Positionierung

Der Markt für Fleischersatzprodukte ist durch eine große Wettbewerbsintensität und ­dichte gekennzeichnet. Um erfolgreich zu sein, müssen die Marktakteure sowohl das Verbraucherverhalten als auch die Wettbewerbsdynamik verstehen und auf dieser Grundlage ihre Positionierung finden. Die wichtigsten Kaufkriterien für Fleischersatzprodukte sind rasch aufgezählt: Die Verbraucher wünschen sich ein Geschmacks- und Frischeerlebnis sowie Produkte, die frei von künstlichen Zusatzstoffen sind. Fleischesser schätzen einen Geschmack, der dem traditioneller Fleischprodukte entspricht, während Veganer Produkte ohne tierische Inhaltsstoffe wünschen. Das Verständnis spezifischer Verbraucherpräferenzen ist eine wichtige Voraussetzung für Unternehmen, die am Markt tätig sind und sich von der Konkurrenz abheben wollen.

Die wichtigsten Kaufkriterien für Fleischersatzprodukte sind rasch aufgezählt: Die Verbraucher wünschen sich ein Geschmacks- und Frischeerlebnis sowie Produkte, die frei von künstlichen Zusatzstoffen sind.

Die Vorlieben der Verbraucher und die Marktdynamik bilden außerdem die Grundlage für die Definition der Produktstrategie und die Erarbeitung eines geeigneten Vermarktungskonzepts. Bei der Ausgestaltung des Produktangebots sollten insbesondere die drei folgenden Faktoren berücksichtigt werden:

  1. Produktkategorie: Der Markt kann in verschiedene Produktkategorien unterteilt werden, die von Aufschnitt bis zu Burger Patties reichen. Um herauszufinden, auf welchen Bereich sich Unternehmen konzentrieren wollen, sollte die Dynamik der jeweiligen Kategorie analysiert und der spezifische Schwerpunkt der relevanten strategischen Gruppen ermittelt werden. In Deutschland zeigt sich bei Betrachtung der Kategorien beispielsweise die nationale Fleischtradition, da bei beliebten Produktgruppen wie Aufschnitt oder Wurst nach wie vor eindeutig die traditionellen Fleischproduzenten dominieren. Die größte Produktkategorie stellen pflanzliche Burger Patties dar, gefolgt von Strips und Nuggets.
  2. Traditionelle Produktart: Fleischersatzprodukte können unterschiedliche traditionelle Fleischsorten, zum Beispiel Rindfleisch, Schweinefleisch oder Geflügel, ersetzen. Je nachdem, welches Geschmackserlebnis nachempfunden werden soll, können Textur, Geschmacksnote oder optisches Erscheinungsbild der angebotenen Produkte variieren. Derzeit werden vor allem Rind- und Geflügelfleisch durch pflanzliche Alternativen ersetzt – Segmente, die auch die höchsten Wachstumsraten aufweisen.
  3. Proteinquelle: Bei der Produktion von Fleischersatzprodukten werden in erster Linie Soja oder Weizen verwendet, gefolgt von anderen pflanzlichen Alternativen wie beispielsweise Erbsen. Zwar stehen Soja und Weizen aufgrund von Umweltbedenken sowie der Gefahr gentechnischer Veränderungen oder allergischer Reaktionen teilweise in der Kritik; dennoch dürften sie in den kommenden Jahren die wichtigste Proteinquelle bleiben, da andere Proteinarten nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Bei der Wahl der Proteinquelle für ihre Produkte sollten Unternehmen daher mögliche Beschränkungen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite in Betracht ziehen.
Segmentierung des Marktes für pflanzliche Fleischersatz

Neben der Auswahl des Produktangebots sind die Preisstrategie, die Verpackung, das Branding und die Sortimentsvielfalt für die Positionierung des Unternehmens entscheidend. Zudem lassen sich beispielsweise durch betriebliche Faktoren (Produktionskapazität, Lieferkette), den Händlerzugang (Kontrolle und/oder Partnerschaften) sowie F&E-Investitionen Wettbewerbsvorteile erzielen. Der Beschaffung der Inhaltsstoffe kommt besondere Bedeutung zu.

Zum einen müssen die Hersteller von Fleischersatzprodukten den Produzenten ihrer Inhaltsstoffe vertrauen können. Letztere erwirtschaften nach wie vor nur einen relativ kleinen Anteil ihres Umsatzes mit Fleischersatz, weshalb das Segment auf ihrer Prioritätenliste nicht unbedingt vorrangig ist. Zwar ist die steigende Nachfrage nach pflanzlichem Fleischersatz Anreiz für die bestehenden Hersteller, ihre Portfolios zu diversifizieren, die Produktionsmengen zu erhöhen und geeignetere Varianten mit einem höheren Proteingehalt zu erzeugen – dies funktioniert jedoch nicht kurzfristig. Inzwischen könnten auch neue Anbieter dazu beitragen, die Nachfrage zu befriedigen, indem sie innovative Inhaltsstoffe auf den Markt bringen. Allerdings sind diese möglicherweise nicht für alle verfügbar, zum Beispiel wenn sich FMCG-Unternehmen durch Partnerschaften proprietären Zugang sichern. So ist Unilever eine Partnerschaft mit dem Food-Tech-Unternehmen ENOUGH eingegangen, das das ABUNDA-Mykoprotein produziert, das ursprünglich für die Unilever-Marke The Vegetarian Butcher eingesetzt werden sollte.

Zum anderen gewinnen die vorgelagerten Prozesse angesichts des wachsenden Interesses seitens der Verbraucher und gestiegener Erwartungen im Hinblick auf Lieferkettentransparenz, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit und Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Da die Hersteller von Fleischersatzprodukten unter aufmerksamer Beobachtung stehen und sicherstellen müssen, dass ihre Lieferkette diesen Erwartungen entspricht, müssen sie ihrerseits dafür Sorge tragen, dass auch die Lieferanten ihrer Inhaltsstoffe die entsprechenden Anforderungen erfüllen. Folglich haben die Produzenten von Inhaltsstoffen einen erheblichen Einfluss auf die Erfolgsaussichten und die Betätigungsfelder der Marktakteure und tragen so maßgeblich zum Wachstum des Segments bei.

Der Markt und seine Wettbewerber – wer hat welche Chancen?

Das Wettbewerbsumfeld kann in vier strategische Gruppen unterteilt werden: FMCG-Unternehmen, Veggie-Spezialisten, traditionelle Fleischproduzenten und Eigenmarkenhersteller.

Überblick über die strategischen Anbietersegmente

FMCG-Unternehmen – jetzt klug investieren

FMCG-Unternehmen, die sich am Markt etabliert haben und oft über einen internationalen Fußabdruck, umfangreiche Produktionskapazitäten, bestehende Vertriebskanäle und gesunde Finanzen verfügen, spielen am Markt für Fleischersatzprodukte eine zentrale Rolle. Durch Fusionen und Übernahmen (zum Beispiel Unilever und The Vegetarian Butcher) haben diese Unternehmen ihre Marktpräsenz gestärkt, ihre Produktionskapazitäten erhöht (zum Beispiel Investition in Höhe 100 Millionen US-Dollar eines großen Markenproduzenten in eine Fabrik zur Herstellung von pflanzlichen Fleischersatzprodukten in China im Jahr 2020) und in ihr Produktsortiment investiert (zum Beispiel Investition in Höhe von 85 Millionen US-Dollar von Unilever in ein Food Innovation Center im Jahr 2019). FMCG-Unternehmen gehen darüber hinaus strategische Partnerschaften mit Veggie-Spezialisten (zum Beispiel Joint Venture zwischen PepsiCo und Beyond Meat) und Foodservice-Unternehmen (zum Beispiel The Vegetarian Butcher und Burger King) ein, um ihre Marktpräsenz weiter auszubauen. Auch die bewährten Lieferketten, auf die sich die Unternehmen stützen können, tragen zum Wachstum bei. Diese ermöglichen es ihnen, Produktionsanpassungen schneller umzusetzen als konventionelle Proteinhersteller und somit kurzfristig auf Änderungen der Verbrauchernachfrage oder auf Kaufgewohnheiten zu reagieren.

Ungeachtet dessen sehen sich FMCG-Unternehmen mit einem harten Wettbewerb durch etablierte Veggie-Spezialisten (zum Beispiel Beyond Meat) konfrontiert, die von einem bekannten Markenimage profitieren und dafür bekannt sind, dass sie flexibler und innovativer agieren als große FMCG-Player. Zudem begrüßen und unterstützen Einzelhandelsketten die Idee, neben den etablierten FMCG-Playern auch führende Category Leader in das Anbieterspektrum aufzunehmen, um die bereits gute Verhandlungsposition der FMCG-Unternehmen nicht noch weiter zu stärken. Auch wenn FMCG-Unternehmen die Marktkonsolidierung weiter vorantreiben werden, wird der Markt mittelfristig doch sehr wettbewerbsintensiv und fragmentiert bleiben.

Veggie-Spezialisten – wachsen, verkaufen oder untergehen?

Veggie-Spezialisten bilden eine fragmentierte Gruppe von Unternehmen, die von Start-ups bis zu etablierten Nischenanbietern für vegane Lebensmittel reicht. Sie bieten in der Regel pflanzliche Fleischersatzprodukte und/oder Produkte aus der Veggie-Kategorie an, sind innovativ und verfügen über attraktive Leistungsversprechen. Während diese Unternehmen in der Vergangenheit die Wachstumstreiber für das Segment Fleischersatzprodukte waren, ringen kleinere Marken derzeit um ihre Marktanteile und neue Start-ups stehen Herausforderungen wie Markteintrittsbarrieren durch große Einzelhandelsketten, begrenzte Finanzmittel und instabile Lieferketten bzw. Produktionen gegenüber. Dennoch wird davon ausgegangen, dass Veggie-Spezialisten, insbesondere die bereits etablierten Marken (zum Beispiel Beyond Meat), bei allen Einzelhändlern und Discountern weiterhin einen wichtigen Platz einnehmen werden. In den vergangenen Jahren ist es ihnen gelungen, sich Investments zu sichern und ihre Marke weiter zu stärken.

Lebenswichtige Investitionen

3,1 Mrd.

US-Dollar hat die alternative Proteinindustrie im Jahr 2020 an Investitionen erhalten.

Die Fähigkeit, sich Investitionen zu sichern, ist in diesem Segment überlebenswichtig. Die alternative Proteinindustrie hat im Jahr 2020 rund 3,1 Milliarden US-Dollar an Investitionen erhalten; das ist mehr als die Hälfte der gesamten Investitionen in das Segment in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2020 gingen 700 Millionen US-Dollar dieser Investitionen an einen einzigen Empfänger. Für die schätzungsweise mehr als 1.000 Start-ups, die weltweit im Segment Fleischersatzprodukte tätig sind, wird der Wettbewerb um Kapital und Marktanteile immer erbitterter. Und während der Markt weiterhin sehr dynamisch ist und über großes Wachstumspotenzial verfügt, ist die Konsolidierung bereits im Gange. Insbesondere kleinere Unternehmen könnten zu lukrativen Übernahmekandidaten für etablierte Marken werden. Alteingesessene Player können hingegen ihr gutes Markenimage nutzen, um eine höhere Marktdurchdringung zu erreichen. Ein Beispiel hierfür sind die Co-Branding-Partnerschaften von Beyond Meat und anderen mit großen Fast-Food-Restaurants. Gleichzeitig investieren diese Unternehmen umfassend in ihre Lieferketten, um die steigende Nachfrage zu bedienen und ihre internationale Expansion voranzutreiben.

Traditionelle Fleischproduzenten – neue Wege gehen oder langsam an Bedeutung verlieren?

Naturgemäß stellt der Trend zu „unechtem Fleisch“ eine Bedrohung für die Fleischindustrie dar. Dies gilt insbesondere für die fleischproduzierende Industrie in Europa, die zusätzlichen Belastungsfaktoren ausgesetzt ist, unter anderem den folgenden:

  • gesättigte/rückläufige Märkte in Europa
  • zunehmender Wettbewerb im Niedrigpreissegment, insbesondere durch Marktakteure außerhalb Europas
  • steigender Regulierungsdruck, hauptsächlich in den Bereichen Tierwohl und Hygienestandards
  • Anfälligkeit gegenüber wirtschaftlicher Volatilität und Krisen, zum Beispiel einer Zunahme von Tierseuchen
  • anhaltend starke Verhandlungsposition der Einzelhandelsketten

Diese Faktoren setzen, zusammen mit Überkapazitäten, die Margen unter Druck und bewirken insgesamt einen Rückgang des Profitabilitätsniveaus und der Investitionskapazität. Der Trend zu Fleischersatzprodukten birgt jedoch auch die Chance, einige dieser Herausforderungen zu überwinden – vorausgesetzt, die Fleischproduzenten handeln schnell.

Traditionelle Fleischproduzenten haben den Vorteil, dass sie ihre lange Erfahrung in der Fleischverarbeitung und ihr profundes Wissen über die Vorlieben der Fleischkonsumenten auf den Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte anwenden können. Darüber hinaus können sie von der Ausstrahlungswirkung ihrer Marken profitieren, insbesondere bei Kunden, die Fleisch nicht generell ablehnen, jedoch ihren Konsum reduzieren wollen. Des Weiteren haben Fleischproduzenten Erfahrung im Umgang mit Einzelhändlern und können die bestehenden Lieferketten nutzen. Die größte Schwierigkeit besteht darin, die für Investitionen benötigten (Re‑)Finanzierungsmittel zu beschaffen, um die regulatorischen Vorschriften zu erfüllen und neue Produktionsanlagen zu errichten oder alternative Proteinquellen zu erschließen. Ein positiver Aspekt ist jedoch, dass die Beschaffung von Finanzmitteln für Unternehmen, die nicht zu 100 Prozent auf das traditionelle Fleischgeschäft setzen, leichter sein dürfte, da der Markt für Fleischersatzprodukte weiterhin wächst und die Aussichten für dieses Segment günstiger sind als für das traditionelle Fleischsegment. Zudem könnte sich die Errichtung neuer Produktionsanlagen von Grund auf erübrigen, da die bestehenden Anlagen möglicherweise für den neuen Zweck umgerüstet werden können.

Ein herausragendes Beispiel für einen traditionellen Fleischproduzenten, der den Schritt hin zu Fleischersatzprodukten erfolgreich vollzogen hat, ist die Rügenwalder Mühle. Das Unternehmen hat mit einem Marktanteil von über 40 Prozent mittlerweile eine führende Position am deutschen Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte erobert.

Ein herausragendes Beispiel für einen traditionellen Fleischproduzenten, der den Schritt hin zu Fleischersatzprodukten erfolgreich vollzogen und auf regionale Ressourcen umgestellt hat, ist die Rügenwalder Mühle. Dank der frühzeitigen Transformation des bestehenden Geschäftsbetriebs hat sich das Unternehmen mit einem Marktanteil von über 40 Prozent mittlerweile eine führende Position am deutschen Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte erobert. Dies gilt insbesondere für das Produktsegment Aufschnitt, wo die Rügenwalder Mühle mit rund 75 Prozent Marktanteil eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Dies verdeutlicht das Potenzial, das sich traditionellen Fleischproduzenten bietet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Unternehmen seinen Erstanbietervorteil genutzt hat, um sein Markenrenommee weiter auszubauen, seine Lieferkette zu transformieren und ein breites Produktportfolio zu entwickeln, das alle Segmente und Preiskategorien abdeckt. Alles in allem stehen die traditionellen Fleischproduzenten unter Transformationsdruck, um langfristig bestehen zu können. Zwar bieten Fleischersatzprodukte ein beträchtliches Potenzial; um jedoch ein ernst zu nehmender Wettbewerber mit einem innovativen und differenzierten Produktangebot zu werden, gilt es zunächst, die Herausforderungen strategisch zu durchdenken und zu bewältigen.

Eigenmarkenhersteller – wer triumphiert am Ende?

Mit steigendem Angebot werden Eigenmarken als scheinbar günstigere Alternative zu den Markenprodukten immer beliebter. Insbesondere die Discounter bauen ihre Eigenmarken aus, auf die bereits ein beträchtlicher Umsatzanteil entfällt. Einzelhändler setzen mit ihrem Eigenmarkenangebot auf Produkte mit einem zuverlässig hohen Umsatz und Gewinn (zum Beispiel Wurst und Burger Patties) und nehmen dafür selektiv unabhängige Marken aus ihrem Sortiment. Die Herstellung der Produkte, die unter Eigenmarken verkauft werden, dürfte jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach von einer der drei zuvor genannten strategischen Gruppen übernommen werden, da Einzelhändler in der Regel nicht die notwendige Produktionskapazität besitzen. Von diesen drei Gruppen haben die großen traditionellen Fleischproduzenten die besten Aussichten, die führenden Hersteller von Fleischersatzprodukten unter Eigenmarken zu werden, da sie über die erforderliche Infrastruktur, Kapazität und Logistik verfügen:

  • FMCG-Unternehmen beschäftigen sich derzeit mit dem Aufbau eigener Marken im Markt für Fleischersatzprodukte. Sobald sie die kritische Produktionsmenge erreicht haben, können sie gegebenenfalls auch Eigenmarkenprodukte für Händler anbieten und mit traditionellen Fleischproduzenten in den Wettbewerb um Eigenmarkenverträge treten.
  • Veggie-Spezialisten konzentrieren sich auf die Stärkung ihrer Marken mit dem Hauptaugenmerk auf vegetarischen und veganen Produkten. Da ihre Produktionskapazitäten in der Regel kleiner sind, dürften sie diese eher für Markenprodukte mit höheren Margen nutzen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie versuchen werden, sich mittelfristig als führende Billiganbieter zu positionieren.
  • Das Kerngeschäft der traditionellen Fleischproduzenten sind Markenfleischprodukte. Dennoch liefern sie gegenwärtig oft auch Fleischprodukte für Eigenmarken und sind Vorreiter bei pflanzlichen Fleischersatzprodukten, die unter der eigenen Marke verkauft werden. Ihnen stehen die erforderlichen Infrastrukturen, Kapazitäten und Vertriebskanäle zur Verfügung und sie können aufgrund ihrer Größenvorteile die niedrigsten Preise anbieten. Es ist also davon auszugehen, dass sie mittelfristig die größten Hersteller pflanzlicher Fleischersatzprodukte unter Eigenmarken werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit zunehmender Marktreife die Zahl der Marken bei Fleischersatzprodukten je Kategorie abnehmen dürfte, wobei sich voraussichtlich ein Gleichgewicht zwischen FMCG-Marken, unabhängigen Marken (herkömmliches Fleisch und Veggie-Produkte) und Eigenmarken einstellen wird. Die genaue Verteilung in jeder Unterkategorie wird in hohem Maße von den jeweiligen Märkten und dem Taktieren der Marktteilnehmer abhängen.

Co-Autor: Hendrik N. Walter

Fazit

Der Markt für Fleischersatzprodukte wächst und ist von zahlreichen Wettbewerbern hart umkämpft. Für Marktteilnehmer gilt es, den richtigen Ansatz zu finden. Die wichtigsten Werthebel sind die folgenden:

  • Aufbau der Marke: Festlegung einer eindeutigen, authentischen und umfassenden Markenidentität
  • Stärkere Durchdringung der Vertriebskanäle: Festlegung des besten Marktzugangs für die Marke
  • Erweiterung der Sortimentsvielfalt: Entwicklung neuer, innovativer Produkte
  • Operative Verbesserungen: Überprüfung und Neuverhandlung von Geschäftsbedingungen 
  • Skalierbarkeit der Lieferkette: Investitionen in eigene Produktionsstätten und ­kapazitäten 
  • M&A zum Ausbau des Produktportfolios und zur geografischen Ausdehnung

Marktteilnehmer, die in der Lage sind, diese Mehrwerte zu liefern, können im aussichtsreichen Markt für Fleischersatzprodukte fleischlos glücklich werden. 

Über diesen Artikel

Von Thassilo Krupke

Senior Manager Strategy & Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Fokussiert auf Transformationsprojekte, umsetzungsorientiert, verheiratet, drei Kinder und lebt in Frankfurt.