8 Minuten Lesezeit 9 August 2022
Ladenbesitzerin lächelt und arbeitet im eigenen Geschäft

Wie Händler im zweiten Pandemiejahr die Gunst der Konsument:innen gewinnen

Autoren
Kerstin Lehmann

Partnerin, Retail, EY-Parthenon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Strategin. Innovative Denkerin. Spricht Klartext. Engagierte Dozentin und Mentorin. ÖPNV-Superheldin.

Andreas Teller

Partner, Consumer Products & Retail, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Vollblut-Stratege. Vorausschauender Denker und Macher. Gemeinsam für die Sache. Immer das Ziel vor Augen – nicht nur als Sportler und Triathlet.

8 Minuten Lesezeit 9 August 2022

Während viele Händler seit dem vergangenen Jahr im Ansehen der Konsument:innen gestiegen sind, haben vor allem Omnichannel-Händler Aufholbedarf.

Überblick
  • Über 40.000 Händlerbewertungen allein in Deutschland zeigen: Konsument:innen legen weiterhin Wert auf Vertrauen, Auswahl und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
  • Gerade Online-Händler überzeugen nach wie vor in puncto Einkaufserlebnis.
  • Nachhaltigkeit spielt zwar eine immer größere Rolle, ist jedoch immer noch keine Stärke des Handels.

Die vorderen Plätze des EY-Parthenon-Performance-Rankings 2022 belegen viele alte Bekannte, aber auch einige spannende Neuaufsteiger. Insgesamt hat sich die Bewertung aller von Konsumentenseite bewerteten Händler im Vergleich zum Vorjahr noch einmal leicht verbessert. Aber Spreizungen von bis zu 40 Zählern auf einer 100-Punkte-Skala oder Bewertungsverschiebungen von bis zu 14 Punkten auf Einzelunternehmensebene zeigen auch, dass es noch viel Verbesserungspotenzial und eine starke Dynamik innerhalb der Handelskonzepte gibt.

Das EY-Parthenon-Performance-Ranking 2022

120

Händler wurden in Deutschland von 6.800 Konsument:innen mit über 40.000 Bewertungen eingeschätzt.

Beim EY-Parthenon-Performance-Ranking werden jährlich Konsument:innen in mehreren europäischen Ländern und den USA nach ihrer Wahrnehmung des Leistungsversprechens von rund 120 Händlern je Land sowie nach einzelnen Elementen dieses Leistungsversprechens gefragt. In Deutschland basiert die Studie auf 6.800 Konsument:innen und über 40.000 qualifizierten Händlerbewertungen, das heißt Bewertungen von Kunden, die den Händler bereits besucht haben. Befragungszeitraum war Februar 2022.

EY-Parthenon-Performance-Ranking 2022: die Spitzengruppe

Die EY-Parthenon-Studie aus dem Februar 2022 verdeutlicht sowohl die Kraftanstrengungen im Handel als auch die Ermüdungserscheinungen aufgrund der bereits zwei Jahre andauernden Pandemie. Auf den vorderen Plätzen des Rankings befinden sich drei Händlertypen, die besonders in der Gunst der Kunden stehen:

  • The Good: Bestplatziert zeigen sich nach wie vor Händler mit hohem Zuspruch in den handelstreibenden Kopfnoten: Vertrauen, Auswahl und Preis-Leistungs-Verhältnis. Diese drei Kriterien erklären die Gesamtplatzierung statistisch bereits seit Jahren am zuverlässigsten. Da alle diese Merkmale, insbesondere Vertrauen, auf langfristiger Positionierungskontinuität beruhen, finden sich auf den vorderen Plätzen auch die bekannten Champions wie zwei große Drogeriemarktketten und das schwedische Möbelhaus – und bis zu einem gewissen Grad auch Fressnapf und ein amerikanischer Marktplatz, deren Platzierungen sich meist nur graduell geändert haben.

    Die Rolle als „sicherer, vertrauter Anlaufpunkt“ in Pandemiezeiten wird unterstützt durch die noch einmal besseren Bewertungen durch das Kundensegment „Safety First“. Dies sind Konsument:innen, die sich in der Pandemie in besonderem Maße um die Sicherheit und Gesundheit ihrer Familien gesorgt und Ausgaben für nicht notwendige Einkäufe zurückgefahren haben.
  • The Close: Auf den vorderen Plätzen finden sich zudem Händler, die eine sehr klare Profilausprägung im Bereich Kundennähe durch Beratungsqualität, Einkaufserlebnis offline und Service haben. Hier punkten beratungsintensive Konzepte wie die Juweliere Christ, Wempe und Krämer, aber auch Formate wie Hunkemöller.

    Diese Händler schneiden zudem in der Beurteilung durch das Kundensegment „Experience First“ noch einmal besser ab. Das Segment ist vergleichsweise optimistisch und geht sowohl in Bezug auf die eigenen Finanzen als auch bezüglich der allgemeinen Wirtschaft von einer zügigen Erholung nach der Pandemie aus, plant, mehr Geld für Erlebnisse auszugeben, erwartet personalisierte Angebote – und ist auch bereit, für Letztere umfangreich persönliche Daten mit den Händlern zu teilen.
  • The Convenient: Auch wenn Convenience-orientierte Konzepte in Form der großen Online-Plattformen in der Vergangenheit schon öfter auf den vorderen Plätzen des Rankings standen, befindet sich durch die Hinzunahme der Lebensmittel-Lieferdienste in diesem Jahr nahezu ein ganzes Feld direkt unter den Bestplatzierten. Mit dem Lieferservice einer der großen ursprünglich stationären Ketten und Picnic ziehen gleich zwei Anbieter in die Top 10 ein, aber auch die übrigen fünf abgefragten Dienste landen im oberen Bereich des Rankings. Als Profilstärken sehen die Konsument:innen klar Convenience, Unterstützung der Einkaufsentscheidung online, Service – und interessanterweise Nachhaltigkeit. Die Lieferdienste punkten dabei noch stärker in den Zielgruppen „Planet First“ (konsumieren bewusst, achten auf die Umwelt- und Sozialfolgen ihres Konsums, planen, mehr lokal zu kaufen, und erwarten mehr Transparenz bezüglich der Nachhaltigkeit der Produkte) und „Experience First“.

Die Topplatzierten haben sich in der Kundensicht auch im Jahr 2022 noch einmal etwas verbessern können – nachdem sie bereits im letzten Jahr einen deutlichen Bewertungsschub nach oben gezeigt haben. Offensichtlich haben die Jahre der Pandemie für eine Beschleunigung nicht nur des Kanal-Shifts, sondern auch von Innovation und Optimierung in allen Kanälen gesorgt.

Einkaufsspaß bleibt Online-Domäne

Die Läden sind wieder geöffnet, aber viele Konsument:innen sind noch nicht wieder in Shopping-Laune. In einer Umfrage für den EY Future Consumer Index gaben im Februar 2022 die Hälfte der Befragten an, dass sie stationäre Geschäfte nach wie vor seltener besuchen. Selbst im am wenigsten durch COVID-19 verunsicherten „Experience First“-Segment bestätigten immer noch knapp 40 Prozent, dass sie weniger offline shoppen gehen.

Gegen die nach wie vor große Zurückhaltung kommen stationäre Läden entsprechend auch nicht an – zumal viele Händler durch die weiterhin angespannte Finanz- und Personalsituation auch keine Wunder auf der Fläche vollbringen können.

Daher verbesserte sich die Bewertung des Einkaufserlebnisses („Spaß beim Einkaufen“) stationär auch nur sehr leicht, um 0,9 Punkte.

Omnichannel-Händler haben Aufholbedarf

Das EY-Parthenon-Performance-Ranking 2022 macht deutlich, dass Omnichannel-Händler an zwei Fronten zum Teil signifikant aufholen müssen:
Zum einen gewinnen die reinen Online-Händler in puncto Einkaufserlebnis (jenes naturgemäß online) noch einmal deutlich Abstand gegenüber dem stationären Handel. Der Spaß beim Online-Kauf bei Digitalhändlern lag schon vergangenes Jahr 3 Punkte über dem der stationären Händler und hat sich – trotz wieder geöffneter Geschäfte – auf knapp 5 Punkte Vorsprung ausgebaut.

Omnichannel-Händler können beim digitalen Kauferlebnis immer noch nicht mit reinen Online-Händlern mithalten.

Zum anderen hinken die Omnichannel-Händler in ihrem Online-Kauferlebnis immer noch deutlich hinterher. Zwar haben auch sie im letzten Jahr weiter stark in ihre digitale Präsenz sowie Online-Shopping-Funktionalitäten investiert und sich in der Bewertung seit 2018 um beachtliche 5,2 Punkte verbessert, allerdings reicht dies noch nicht zum Aufschließen auf sowohl das eigene stationäre Shoppingerlebnis, das immer noch mit 1 Punkt leicht vorne liegt, oder gar auf das Online-Shoppingerlebnis der reinen Onliner, das mit über 6 Punkten Abstand nach wie vor in einer anderen Liga spielt.

Angesichts weiterhin angespannter Finanzlagen bei vielen Omnichannel-Händlern wird es damit wohl auf eine Verstärkung oder Priorisierung der Investitionen hinauslaufen müssen: Vertrauen auf die Rückkehr der Innenstädte und Zentren bei schlechterem Online-Angebot oder richtiger Aufschluss zu den Onlinern, auch auf Kosten des angestammten stationären Geschäfts. Omnichannel-Händler benötigen einen klaren Fokus statt halbgarer Lösungen.

Nachhaltigkeit bleibt Nachzügler

Nachhaltigkeit, vor zwei Jahren das erste Mal im EY-Parthenon-Performance-Ranking abgefragt, ist offenbar noch keine Stärke des Handels. Das Kriterium liegt im diesjährigen Ranking leicht verbessert mit durchschnittlich 54,5 Punkten nur im Mittelfeld.

Dabei wird Nachhaltigkeit nicht nur aus regulatorischer Sicht für Händler unumgänglich, sondern auch in der Erwartung der Konsument:innen. So geben nur rund ein Drittel der Befragten an, dass Nachhaltigkeit gar keinen Einfluss auf die Auswahl des Händlers hat. Bei allen anderen Befragten beeinflusst Nachhaltigkeit diese Entscheidung – und knapp ein weiteres Drittel ist auch bereit, für Nachhaltigkeit leicht höhere Preise in Kauf zu nehmen. Diese Haltung findet sich quer durch alle Altersgruppen und Einkommensklassen.

Allerdings gibt es zwischen den Kundensegmenten Unterschiede bei der Preisbereitschaft – vor allem zwischen den Segmenten „Planet First“ und „Affordability First“. In Ersterem würden beispielsweise in der Kategorie Bekleidung 46 Prozent der Konsument:innen für Nachhaltigkeit einen höheren Preis in Kauf nehmen. Bei den Preisbewussten trifft das mit 18 Prozent auf weniger als ein Viertel zu.

Interessant ist aber, dass bei Lebensmittel-Lieferdiensten sowie Sport- und Outdoor-Artikeln die Preisbereitschaft für Nachhaltigkeit in allen Segmenten deutlich gestiegen ist und selbst bei den „Affordability First“-Kund:innen mit immerhin 27 beziehungsweise 30 Prozent angegeben wird.

Dies ist in zweierlei Hinsicht spannend: Zum einen zeigt es, dass die übliche Hypothese, Nachhaltigkeit hänge im Lebensmittelsegment am Sortiment, nicht ganz zutrifft. Wahrgenommene Nachhaltigkeit scheint deutlich stärker über das Format zugeschrieben zu werden. Es lässt sich sicherlich trefflich diskutieren, ob diese wahrgenommene höhere Nachhaltigkeit von Lieferdiensten einem faktenbasierten Vergleich standhält – aber selbst wenn der Unterschied nicht so groß wäre, scheinen die Lieferformate zumindest in puncto Kommunikation deutlich wirkungsvoller zu agieren als die stationären Lebensmittelhändler.

Das Engagement von auf Nachhaltigkeit bedachten Händlern wird von vielen Konsument:innen unscharf wahrgenommen.

Der zweite interessante Punkt: Sowohl die Bewertungen der einzelnen Sektoren und Händler als auch die genannte zusätzliche Preisbereitschaft zeigen, dass Konsument:innen vielfach noch recht eigentümliche Vorstellungen davon haben, was nachhaltig ist und was nicht. Diese unscharfe Wahrnehmung von Nachhaltigkeitsaktivitäten stellt eine Hürde für engagierte Händler in diesem Bereich dar.

Für Händler bleiben damit zwei Herausforderungen: zum einen Nachhaltigkeit nicht nur als regulatorische Anforderung, sondern als unvermeidlichen und zu definierenden Punkt des eigenen Leistungsversprechens anzunehmen, zum anderen die Aufgabe, das wie auch immer gewählte Nachhaltigkeitsversprechen so zu kommunizieren, dass es in der Konsumentenwahrnehmung nicht nur ankommt, sondern auch richtig verortet wird.

Co-Autor: Jan Sauerbrey

Fazit

Das EY-Parthenon-Performance-Ranking 2022 zeigt, dass die Händler im Vergleich zum Vorjahr insgesamt in der Gunst der Konsument:innen gestiegen sind. Allerdings wird auch deutlich, dass es in einzelnen Bereichen noch offenkundiges Verbesserungspotenzial gibt. So bleibt der Einkaufsspaß vornehmlich ein Steckenpferd der Online-Händler, während sich Omnichannel-Händler um einen klaren Fokus bemühen sollten. Zudem wird das Engagement von Händlern, die sich um Nachhaltigkeit bemühen, noch nicht von der breiten Masse der Konsument:innen erfasst.

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