7 Minuten Lesezeit 11 August 2022
Geschftsmänner auf Platz mit Weltkugel auf dem Boden

Wie die Politik auf die dramatische Versorgungslage reagiert

Von Tax & Law Magazine

Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen.

7 Minuten Lesezeit 11 August 2022

Auf die dramatische Versorgungslage reagiert die Politik mit einer Reihe von Regulierungen. Ein Überblick über die einzelnen Maßnahmen

Überblick

  • Wie es mit der Versorgung und Markteingriffen seitens der Politik weitergeht, ist nicht absehbar. 
  • Seit Kriegsbeginn im Februar hat sich die rechtliche Situation geändert. 
  • Unternehmen müssen sich auf das nächste Jahr vorbereiten, denn der Winter 2023/2024 könnte der eigentliche Härtetest werden.

Die Lage auf dem Gasmarkt ändert sich durch den anhaltenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie die Sanktionen fortlaufend. Wie es mit der Versorgung und Markteingriffen seitens der Politik weitergeht, ist nicht absehbar. Zu erwarten ist allerdings ein weiterhin hohes Preisniveau. In jedem Fall bedarf es erheblicher Anpassungen und Änderungen bestehender Bezugsquellen und Lieferverträge auf allen Wertschöpfungsstufen. Dabei hat sich die rechtliche Situation seit Kriegsbeginn im Februar geändert. Unternehmen müssen sich gerade auch auf das nächste Jahr vorbereiten, denn der Winter 2023/2024 könnte der eigentliche Härtetest werden.

SoS-Verordnung

Am 30. März 2022 rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Frühwarnstufe Gas nach dem nationalen Notfallplan aus, die Alarmstufe folgte am 23. Juni 2022. Die nächste und letzte Stufe nach dem Notfallplan, der auf der europäischen Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (sog. SoS-Verordnung) beruht, wäre die Notfallstufe. Auf den ersten beiden Stufen bewältigen die zuständigen Marktakteure etwaige Versorgungsengpässe eigenverantwortlich mit ihrem Instrumentarium. Auf der dritten Stufe greift ergänzend ein hoheitliches Instrumentarium, um die Versorgung mit dem lebenswichtigen Bedarf insbesondere für geschützte Kunden sicherzustellen; hierbei handelt es sich beispielsweise um Haushalte, soziale Einrichtungen und Gaskraftwerke, die zugleich auch der Wärmeversorgung von Haushalten dienen. Soweit derzeit diskutiert wird, ob nicht auch die Industrie bei der Versorgung mit Gas bevorzugt werden könnte, liegt das nicht in nationaler Hand, sondern beruht auf der SoS-Verordnung der EU. Allerdings erscheint es sinnvoll, auch bestimmte Beschränkungen bei den Haushalten zugunsten der Industrie einzuführen. Das erfordert aber Änderungen des europäischen Rechtsrahmens. Netzseitig müssen zudem Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber im Rahmen ihrer Systemverantwortung Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Netzsicherheit ergreifen (z. B. den Einsatz von Ausgleichsleistungen oder von Speichern; §§ 16, 16a EnWG). Dabei wird es auch bleiben, wenn die Bundesnetzagentur (BNetzA) in der Notfallstufe als Bundeslastverteiler stärker in den Markt eingreifen sollte.

Energiesicherungsgesetz

Während die öffentliche Diskussion vor allem um die Frage kreist, wie Industrie und Letztverbraucher die steigenden Gaspreise bezahlen können, spielt auf der Versorgerseite eine andere Frage auch eine große Rolle: Stellt die BNetzA eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland fest? Sollte dies geschehen, dann können nach § 24 Energiesicherungsgesetz (EnSiG) Gaslieferanten entlang der Lieferkette ihre Preise gegenüber ihren jeweiligen Kunden auf ein angemessenes (!) Niveau anpassen – unabhängig von bestehenden Verträgen und etwaigen Preisgarantien. Die Regelung wurde erst bei der Anpassung im Frühjahr in das EnSiG aufgenommen – ein Gesetz von 1975, das ursprünglich eine Reaktion auf die Ölkrise war. Die Feststellung einer erheblichen Reduzierung der Gasimportmengen durch die BNetzA wurde seit einiger Zeit von Deutschlands größtem Gasimporteur, dem Unternehmen Uniper SE aus Düsseldorf, gefordert. Uniper war in Bedrängnis geraten, weil die mit Russland bestehenden Gaslieferverträge nicht mehr erfüllt wurden und der Großhändler zur Erfüllung eigener Lieferverpflichtungen Gas am Spotmarkt (und sicherlich auch am Terminmarkt) zu horrenden Preisen nachkaufen musste. Die deutsche Bundesregierung, Uniper und Fortum haben sich am 22. Juli 2022 auf ein Maßnahmenpaket zur finanziellen Stabilisierung von Uniper geeinigt. Unter anderem soll ab dem 1. Oktober 2022 ein allgemeiner Mechanismus zur Weitergabe von 90 Prozent der Ersatzbeschaffungskosten für alle Importeure infolge russischer Gaskürzungen eingeführt werden. Es soll eine Umlage für Gaskunden geben; am 22. Juli 2022 waren hierfür 2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) im Gespräch. Marktteilnehmer diskutieren jedoch bereits, ob es nicht eher 5 bis 6 Cent pro kWh sein müssten. Zudem wird sich die Bundesregierung mit rund 30 Prozent an Uniper beteiligen.

Deutscher Import von russischem Gas
Fuellstand der Gasspeicher in Deutschland
Durchschnittlicher Preis für Erdgas in Europa

Was ist angemessen?

Das neue Preisanpassungsrecht stößt jedoch in Fachkreisen auf viel Kritik. So ist beispielsweise unklar, wie die Angemessenheit von Preiserhöhungen in der Lieferkette berechnet und überprüfbar gemacht werden kann. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause beschloss der Bundestag daher mehrere Änderungen des EnSiG. Der neue § 26 ermöglicht es, an die Stelle der Preisanpassungsrechte nach § 24 einen finanziellen Ausgleich durch eine saldierte Preisanpassung treten zu lassen. Die genaue Ausgestaltung erfolgt durch die Bundesregierung, die in § 26 EnSiG zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung ermächtigt ist, in der dann auch Bestimmungen enthalten sein müssen z. B. über die Anspruchsberechtigten, Voraussetzungen und Berechnungsgrundlagen des finanziellen Ausgleichs sowie die Kosten und Erlöse, die in die saldierte Preisanpassung einzustellen sind. Durch die Überwälzung der Umlage über die Bilanzkreisverträge auf die Gaslieferanten werden diese Mehrkosten am Ende als Bestandteil der Energiepreise bei allen Letztverbrauchern ankommen. Sollte die Bundesregierung eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen, dürfen die in § 24 EnSiG genannten Preisanpassungsrechte nicht mehr ausgeübt werden.

Kostenausgleich

Insbesondere sollen mit der neuen Regelung die Mehrkosten der Gasimporteure ausgeglichen werden, und zwar indem sie über die Bilanzkreise als Umlage an die Gaskunden weitergereicht werden. Ob wiederum alle Unternehmen ihrerseits die Umlage weiterwälzen können, ist eine schwierige Frage. Dies hängt von den verwendeten Steuer- und Abgabenklauseln ab. Damit soll in bestehenden Vertragsverhältnissen die Weitergabe neu eingeführter Steuern oder Abgaben auf den Kunden sichergestellt werden. Das Anpassungsrecht in § 24 EnSiG gilt nur für die Gaspreise und nicht für Produkte, die auf einem Gaseinsatz basieren (z. B. industrielle Produkte, Strom). Für Fernwärme wird dies durch eine Ergänzung der „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV)“ geändert.

Bereithaltung von Ersatzkraftwerken

Die Änderungen des EnSiG sind Teil des „Gesetzes zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage“. Es enthält des Weiteren Änderungen beim Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). So soll Gaskraftwerken die Stromproduktion untersagt werden können. Die entstehende Lücke soll für einen befristeten Zeitraum durch Reaktivierung zusätzlicher Erzeugungskapazitäten aus Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl erfolgen. Dazu sollen Kraftwerke genutzt werden, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Die erste Rechtsverordnung auf Basis des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz ist bereits umgesetzt; seit dem 14. Juli 2022 gilt eine bis zum 30. April 2023 befristete Rückkehr von Steinkohlekraftwerken aus der Netzreserve an den Strommarkt. Sollte erkennbar werden, dass die Marktteilnahme der Steinkohle- und Mineralölkraftwerke nicht ausreichen, soll die Versorgungsreserve Braunkohle abgerufen werden. Die Braunkohlereserve wird hierzu mit einer – derzeit zur Einholung der beihilferechtlichen Genehmigung bei der Europäischen Kommission liegenden – Verordnung zum 1. Oktober 2022 aktiviert.

Energiewirtschaftsgesetz

Zu beachten sind auch weitere Änderungen im EnWG. Mit § 50g werden Weiterverkaufsbeschränkungen für Gaslieferverträge, die eine Mindestabnahmeverpflichtung (Take-or-pay-Verträge) enthalten, für unwirksam erklärt. Dies soll eine effektive Allokation von Gas ermöglichen. Der folgende § 50h etabliert eine spezielle Informationspflicht für Gaslieferanten gegenüber Letztverbrauchern mit registrierender Leistungsmessung. Es soll sichergestellt sein, dass der Austausch zwischen Lieferanten und Letztverbrauchern über einen möglichen Weiterkauf von Gasmengen gefördert wird, soweit der Letztverbraucher seinen Gasbezug einschränkt und somit Mengen frei werden. Die Bundesregierung wird zudem über § 50f EnWG ermächtigt sein, nach Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe durch Rechtsverordnung die Stromerzeugung mit Gas für einen Zeitraum von längstens neun Monaten einzuschränken. Ausgenommen von einer solchen Begrenzung werden allerdings Anlagen zur Erzeugung von Wärme, die nicht dauerhaft auf andere Weise erzeugt werden kann, sowie Anlagen der Bundeswehr und für Eisenbahnen. Insbesondere die Deutsche Bahn AG kann daher ihre Gaskraftwerke zur Bahnstromerzeugung (Frequenzhaltung!) weiterbetreiben.

Auktionsmodell

Am 20. Juni 2022 hat die BNetzA ein Papier veröffentlicht, in dem weitere marktliche Instrumente beschrieben werden, um den industriellen Gasverbrauch zu reduzieren und damit eine etwaige Mangellage einzudämmen. Hierzu zählt beispielsweise ein Gasauktionsmodell. Mit diesem sollen industrielle Großverbraucher ihre Bereitschaft anbieten können, ihren Gasverbrauch zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt zu reduzieren. So sollen Industriekunden, die selbst einen Bilanzkreis führen, oder ihre Lieferanten über die Regelenergie-Plattform Trading Hub Europe (THE) ihre Angebote zur Bereitstellung von Gasmengen einstellen. THE soll diese Angebote dann im Fall eines Gas-Engpasses abrufen können. Die günstigsten Angebote sollen den Zuschlag erhalten. Die Einführung ist noch für diesen Sommer geplant.

Speicherumlage

Das „Gesetz zur Einführung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen“ vom 30. April 2022 sieht stichtagsbezogene Mindestfüllstände für die deutschen Gasspeicher vor. Die Betreiber müssen nicht genutzte Speicherkapazitäten dem marktgebietsverantwortlichen THE zur Verfügung stellen. THE wurde in diesem Zusammenhang verpflichtet, Maßnahmen zur ausreichenden Befüllung der Gasspeicher zu ergreifen. Die damit einhergehenden Kosten sollen über eine neue Speicherumlage gedeckt werden. Die Umlage soll vom THE gegenüber dem Bilanzkreisverantwortlichen abgerechnet und erstmalig am 1. Oktober 2022 erhoben werden.

Ansprechpartner:innen: Eric H. Glattfeld, Katharina Rath, Sebastian Helmes, Christoph Fabritius 

Hauswand bewachsen mit grünen Pflanzen

Tax & Law Magazine

Dieser Artikel wurde im Rahmen des Tax & Law Magazine veröffentlicht. Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen. 

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Fazit

Um die Gasversorgung für den Winter zu sichern, hat Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck Mitte Juli 2022 ein weiteres Energiesicherungspaket der Bundesregierung angekündigt. Ziel ist, die Gasspeicher schneller zu befüllen und mehr Energie zu sparen. Laut Information der Bundesregierung sollen die Füllstandsvorgaben der Gasspeicher erhöht werden auf 75 % bis 1. September 2022 und 95 % bis 1. November 2022. Durch die höheren Füllstandsvorgaben besteht das Risiko, dass es erst Recht zu einer Gasmangellage auf dem Markt kommt. Um dem vorzukommen, sollen Einsparungen der Gasnutzung umgesetzt werden durch eine befristete Aktivierung von Kohlekraftwerken, einer Vermeidung von Erdgasverstromung und der Nutzung mehr erneuerbarer Energien zur Stromgewinnung. Insgesamt werden derzeit mehrere neue Verordnungen entworfen, um diese Ziele umzusetzen.

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