5 Minuten Lesezeit 31 März 2021
Verlustberechnung

Was die Verlustrechnung mit dem Nettoprinzip im Steuerrecht zu tun hat

Von Sven Oberle

Partner, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland

Berät seit über 25 Jahren vermögende Privatpersonen, Familienunternehmen und deren Gesellschafter sowie Family Offices bei steuerlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen.

5 Minuten Lesezeit 31 März 2021

Ab 2021 greifen neue Regeln bei der Verlustnutzung von Kapitaleinkünften und schränken diese ein. 

Überblick
  • Der Gesetzgeber hat zwei neue Verlustverrechnungsbeschränkungen eingeführt, die für viele Anleger weitreichende Konsequenzen mit sich bringen.
  • Die steuerliche Nutzung von Verlusten, die aus Kapitalvermögen stammen, ist im Vergleich zu anderen Einkunftsarten nur sehr eingeschränkt möglich.
  • Den Finanzinstituten wurde eine verlängerte Umsetzungsfrist eingeräumt, wonach eine Umsetzung erst bis zum 1. Januar 2022 erfolgen muss.

Im Gegensatz zu anderen Einkunftsarten ist die steuerliche Nutzung von Verlusten, die aus Kapitalvermögen stammen, nur sehr eingeschränkt möglich. Insbesondere ist eine Verrechnung dieser Verluste mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten, wie zum Beispiel Mieteinkünften oder Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit, grundsätzlich nicht zulässig. In zeitlicher Hinsicht dürfen diese Verluste lediglich mit Gewinnen in zukünftigen Jahren verrechnet werden. Ein Verlustrücktrag in vergangene Jahre ist dagegen ausgeschlossen. Für Verluste, die aus Aktienverkäufen stammen, besteht darüber hinaus eine gesonderte Abzugsbeschränkung. Diese Verluste dürfen ausschließlich mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden.

Mit dem Jahressteuergesetz 2019 wurde die Verlustverrechnungsmöglichkeit für Einkünfte aus Kapitalvermögen noch weiter eingeschränkt. In Paragraf 20 Absatz 6 Satz 5 und 6 des Einkommensteuergesetz (EstG) hat der Gesetzgeber zwei neue Verlustverrechnungsbeschränkungen eingeführt, die für viele Anleger weitreichende Konsequenzen mit sich bringen.

Verlustverrechnung bei Termingeschäften

Der Gesetzgeber hat, um Spekulationen die Attraktivität zu nehmen, die steuerliche Nutzung von Verlusten, die aus Termingeschäften stammen, erheblich eingeschränkt. Ab dem VZ 2021 dürfen Verluste aus Termingeschäften, die innerhalb eines Jahres entstehen, ausschließlich mit Gewinnen aus Termingeschäften und Stillhalteprämien verrechnet werden. Hinzu kommt, dass die Verlustverrechnung in demselben Steuerjahr auf 20.000 Euro begrenzt ist. Übersteigen die Verluste den Betrag von 20.000 Euro sind sie in die Folgejahre vorzutragen und dürfen dort ebenfalls ausschließlich mit solchen Gewinnen bis höchstens 20.000 Euro verrechnet werden.

Die Auswirkungen, die sich für Anleger aus der Neuregelung ergeben können, zeigt das folgende Beispiel:

Erzielt eine Anlegerin innerhalb eines Steuerjahres aus Devisentermingeschäften einen Gewinn in Höhe von 30.000 Euro, aus Warentermingeschäften hingegen einen Verlust in Höhe von 60.000 Euro, hätte sie bei einer saldierten Betrachtung in einem Steuerjahr insgesamt einen Verlust in Höhe von 30.000 Euro zu verzeichnen. Da insgesamt kein Gewinn erzielt wurde, wäre nach der alten Regelung in diesem Steuerjahr auch keine Steuer angefallen. Der Verlust kann mit gleichartigen Gewinnen im Folgejahr gewinnmindernd verrechnet werden.

Nach der neuen Regelung darf von den Verlusten aus Währungsgeschäften nur ein Teilbetrag von 20.000 Euro mit dem Gewinn aus Währungsgeschäften in Höhe von 30.000 Euro verrechnet werden, sodass trotz des wirtschaftlich durch die Anlegerin zu tragenden Verlustes von insgesamt 30.000 Euro innerhalb eines Steuerjahres ein Gewinn in Höhe von 10.000 Euro zu versteuern ist. Der bisher nicht genutzte Verlust in Höhe von 40.000 Euro kann allerdings nur zeitlich gestreckt, das heißt im Folgejahr in Höhe von 20.000 Euro und im darauffolgenden Jahr wiederum in Höhe von 20.000 Euro, genutzt werden sofern entsprechende Gewinne erzielt werden

Da gerade bei Geschäften mit Hebelwirkung viele Anlagestrategien die steuerliche Verlustnutzungsmöglichkeiten in ihre Kalkulation einbeziehen, sollte die jeweilige Anlagestrategie vor dem Hintergrund der genannten Neuerungen überprüft werden.

Verlustverrechnung beim Ausfall von Kapitalanlagen

Eine weitere Verlustabzugsbeschränkung wurde für wertlos gewordene Wirtschaftsgüter eingeführt. Verluste, die aus der Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung wie aus Gesellschafterdarlehen, dem Verlust aus der Ausbuchung/Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter wie Aktien, Investmentfonds und Zertifikaten oder dem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern mit Einkünften resultieren sind nunmehr betragsmäßig auf 20.000 Euro pro Steuerjahr beschränkt (Paragraph 20 Absatz 6 Satz 6 EStG).

Nicht verrechnete Verluste können auf die Folgejahre vorgetragen und jeweils in Höhe von 20.000 Euro mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Allerdings dürfen diese Verluste, anders als Verluste aus Aktienverkäufen oder Termingeschäften, grundsätzlich auch mit anderen Gewinnen aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Die Regelung findet auf Verluste, die nach dem 31. Dezember 2019 entstanden sind, erstmalig Anwendung und gilt daher bereits für im vergangenen Corona-Jahr 2020 wertlos gewordene Kapitalanlagen.

Abkehr vom Nettoprinzip?

Unter verfassungsrechtlichen Aspekten ist fragwürdig, ob und inwieweit die neuen Einschränkungen mit dem das deutsche Steuerrecht prägenden sogenannten Nettoprinzip in Einklang zu bringen sind. Das Nettoprinzip leitet sich aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip ab, welches seinerseits Ausdruck des in Artikel 3 Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes ist.

Es besagt, dass Einnahmen grundsätzlich erst nach Abzug der Ausgaben/Aufwendungen zur Besteuerung heranzuziehen sind. Ob die Regelungen zu Verlustverrechnung bei Termingeschäften und dem Ausfall von Kapitalanlagen diesem Grundsatz genügen ist offen. Eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht ist unseres Erachtens nur eine Frage der Zeit.

Die neuen Regeln in der Praxis

Die Finanzverwaltung hat sich zu Einzelfragen im Zusammenhang mit den dargestellten Gesetzesänderungen bisher noch nicht abschließend geäußert. Allerdings hat sie in einem am 18. Juni 2020 veröffentlichten Entwurf zur Ergänzung des Anwendungsschreibens zur Abgeltungsteuer die Neuregelungen aufgegriffen und zu einzelnen Punkten Stellung bezogen.

Neben den bisher schon als Termingeschäften anerkannten Optionsgeschäften, Swaps, Devisentermingeschäften sowie Forwards oder Futures erweitert die Finanzverwaltung seine bisherige Definition der Termingeschäfte zudem auf Differenzkontrakte (CFDs).

Darüber hinaus äußert sich die Finanzverwaltung in dem Entwurf, in welchen Fällen eine ganz oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung beziehungsweise Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter angenommen werden soll.

Demnach ist ein Forderungsausfall anzunehmen, wenn dem Gläubiger keine gesetzlich gebilligte Möglichkeit zur Durchsetzung des Anspruchs mehr offensteht. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt wurde. Ebenfalls soll bei einem Forderungsverzicht auf eine nicht mehr werthaltige Forderung ein Forderungsausfall angenommen werden. Im Fall eines Verlustes aus der Einziehung wertloser Wertpapiere soll eine Wertlosigkeit gegeben sein, wenn der Handel mit dem Wertpapier eingestellt wurde, das Wertpapier aufgrund der Insolvenz der Kapitalgesellschaft eingezogen wurde oder das Wertpapier infolge der Herabsetzung des Kapitals ausgebucht wurde.


Dem Vernehmen nach sollen die genannten Anwendungsvorgaben der Finanzverwaltung in den kommenden Monaten ohne nennenswerte Änderungen der Entwurfsfassung Eingang in das Anwendungsschreiben finden.

Für Finanzinstitute ändert sich im Hinblick auf die gesetzlichen Neurungen der bekannte Modus Operandi. Konnten die auszahlenden Banken bislang die Verluste anlegerfreundlich mit den Gewinnen gleich im Rahmen des Kapitalertragsteuerverfahrens verrechnen, ist dies für Verluste aus Termingeschäften und dem Ausfall von Kapitalanlagen nun nicht mehr möglich. Eine Geltendmachung kann für diese Verluste nur noch auf Antrag im Veranlagungsverfahren erfolgen (Paragraph 32d Absatz 4 EStG).

Fazit

Durch das Schreiben vom 11. November 2020 hat die Finanzverwaltung das Schreiben zur Ausstellung von Steuerbescheinigungen für Kapitalerträge an die neue gesetzliche Situation angepasst. Danach sind Finanzinstitute verpflichtet, dem Steuerpflichtigen die angefallenen Verluste aus Termingeschäften und uneinbringlichen Kapitalanlagen auch ohne Antrag zu bescheinigen. Hierbei wurde den Finanzinstituten eine verlängerte Umsetzungsfrist eingeräumt, sodass eine Umsetzung erst bis zum 1. Januar 2022 erfolgen muss.

Erstmals erschienen ist der Beitrag am 11.03.2021 auf der Website des private banking magazins.

Über diesen Artikel

Von Sven Oberle

Partner, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland

Berät seit über 25 Jahren vermögende Privatpersonen, Familienunternehmen und deren Gesellschafter sowie Family Offices bei steuerlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen.