10 Minuten Lesezeit 8 September 2020
Woman sitting on floor and having a video conference

Wie der Sprung ins Digitale gelingt

Von Katharina Luh

Partnerin, Change and Learning | Deutschland

Begleitet ihre Kunden bei Transformationsvorhaben mit Fokus auf digitalem Wandel. Der Stadt durch Familie und Freunde eng verbunden, lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in Gießen.

10 Minuten Lesezeit 8 September 2020

Nie war die Zeit für digitale Fortbildung besser als jetzt. Das Beste: Es geht ohne viel Planung, sondern kann direkt losgehen.

Überblick
  • Unternehmen sollten den digitalen Schub der Corona-Krise für Corporate Learning weiter nutzen und ausbauen.
  • Statt ein Gesamtkonzept zu entwerfen und dadurch Zeit zu verlieren, reichen einzelne Pilotprojekte zum Start.
  • Persönliche, professionelle Netzwerke sind ein wichtiger Faktor für die Mitarbeiter.

Unter die düsteren Meldungen zur Corona-Krise mischte sich Anfang April eine positive Nachricht eines Automobilherstellers, die die deutschlandweit 3.800 Azubis des Unternehmens betraf. Für sie lief die Ausbildung trotz Schließung der Berufsschulen nahezu nahtlos weiter: mobil und von zu Hause aus. Sie lernten vollständig digital, nahmen über Lernplattformen an E-Lessons teil und erprobten ihr Wissen in praktischen Projekten, etwa bei der Entwicklung einer App. Austausch fand im Chat oder in Video-Calls statt.

Seit 2018 arbeitet das Unternehmen kontinuierlich an digitalen Ausbildungsinhalten und innovativen Lehr- und Lernmethoden und war dadurch vorbereitet. Ein Beispiel für die nicht mehr ganz neue Erkenntnis: Die nächste Stufe des Corporate Learning ist digital, auf ihr wird der Großteil der Aus- und Weiterbildung in den Unternehmen virtuell erfolgen. Orts- und zeitunabhängig, in kleinen Lernpaketen und individuellem Tempo werden sich die Mitarbeiter digital genau das Wissen aneignen können, das sie aktuell benötigen. Zugleich werden mit Online-Fortbildungen ganze Teams oder Abteilungen kostengünstig auf künftige Herausforderungen vorbereitet.

Mutig mit großen Schritten starten

Im Gegensatz zum oben genannten Autobauer haben viele Unternehmen die nächste Stufe des Corporate Learning bislang noch nicht oder nur ansatzweise erklommen. Angesichts der Erfahrung mit der Corona-Krise sollten sie sich jetzt verstärkt in Richtung digitale Weiterbildung bewegen. Die gute Nachricht für alle Learning- und Development-Verantwortlichen: Auch wer keine entsprechende Strategie in der Tasche hat, kann dennoch unmittelbar loslegen. Erfahrungsgemäß ist es in diesem Prozess sinnvoller, auf ein vermeintlich ideales Gesamtkonzept zu verzichten. Stattdessen gilt es, im Sinne einer agilen Vorgehensweise zügig erste Pilotprojekte anzuschieben, Erfahrungen zu sammeln, nach zu justieren und so das digitale Angebot Schritt für Schritt auszubauen.

Statt der befürchteten Effizienzverluste beobachteten die meisten Führungskräfte und Personalentwickler, dass Teams, deren Mitglieder von zu Hause aus arbeiten, sogar effizienter sind und Meeting-Regeln disziplinierter einhalten.
Dr. Katharina Luh
Partnerin, Change and Learning | Deutschland

Die Schritte dürfen dabei durchaus groß und mutig sein. Schließlich hat das vergangene Frühjahr gezeigt, dass vieles, was zuvor unmöglich oder nur mit einem umfangreichen Change-Konzept machbar schien, sich ganz ohne Vorbereitung von heute auf morgen einführen ließ. Beispiel Homeoffice: Statt der befürchteten Effizienzverluste beobachteten die meisten Führungskräfte und Personalentwickler, dass Teams, deren Mitglieder von zu Hause aus arbeiten, sogar effizienter sind und Meeting-Regeln disziplinierter einhalten. Solche Aha-Erlebnisse gilt es zu nutzen, um das Online-Lernen beherzt voranzutreiben.

Frau am Flipchart
(Chapter breaker)
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Kapitel 1

Fortbildung miteinander, füreinander und individuell

Neben dem Üben der digitalen Zusammenarbeit gilt es, die Krise als Anstoß für fachliches Upskilling zu sehen.

Der nächstliegende Ansatz für ein Pilotprojekt zur digitalen Weiterbildung vereint die Themen Homeoffice und Online-Lernen auch inhaltlich. Denn wenn viele Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum remote arbeiten, ist es wichtig, sie trotz der bislang positiven Erfahrungen nicht alleine zu lassen. Vielmehr sollten ihnen Online-Fortbildungen Antworten auf die drängendsten Fragen liefern: Wie organisiere ich mich im Homeoffice? Wie moderiere ich virtuelle Teamsitzungen und Workshops?

Je länger die räumliche Distanz bestehen bleibt, desto dringender brauchen Führungskräfte Instrumente, mit denen sie den Zusammenhalt und die Motivation im Team erhalten. Nicht nur, aber vor allem dann, wenn das Homeoffice in Zukunft ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden soll, geht es im nächsten Schritt um die effiziente Nutzung von Kollaborationssoftware. Denn auch aus dieser ergeben sich grundlegende Änderungen zur bisherigen Arbeitsweise. So wird etwa auf einen Schlag für alle sichtbar, wer welche Aufgaben in welcher Zeit erledigt. Dateien und Dokumente werden nicht länger auf dem eigenen PC abgelegt, sondern für alle einsehbar in der Cloud. Idealerweise werden die neuen Formen der Zusammenarbeit in (Online-)Workshops erarbeitet. 

Es funktioniert nicht, Klassenraum-Konzepte eins zu eins in digitale Lernformate zu übertragen.
Dr. Katharina Luh
Partnerin, Change and Learning | Deutschland

Grundsätzlich ist es ratsam, die Mitarbeiter nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen im Zusammenhang mit der Arbeit im Homeoffice zu fragen und die Weiterbildungsinhalte darauf abzustimmen. An entsprechenden Angeboten mangelt es nicht. Gerade zu Themen rund um die digitale Zusammenarbeit haben viele Institute ihre Online-Programme stark ausgeweitet. Ebenso wie die Unternehmen, die diese Angebote nutzen, berichten sie, dass analog zur Arbeit im Homeoffice auch die Weiterbildung online überraschend gut funktioniert. So haben sich viele Vorbehalte gegenüber dem digitalen Lernen – etwa, dass es unpersönlich und unattraktiv ist – nicht bestätigt. Stattdessen machen die meisten Beteiligten die Erfahrung, dass sich Online-Trainings überraschend aktivierend gestalten lassen: mit Warm-up-Übungen, der gemeinsamen Nutzung von Whiteboards, Kleingruppenarbeit in verschiedenen virtuellen Räumen und spielerischen Elementen. Inhouse-Trainer sollten hierfür Wissen virtuell vermitteln können, denn auch wenn schnelle Lösungen grundsätzlich zu begrüßen sind: Es funktioniert nicht, Klassenraum-Konzepte eins zu eins in digitale Lernformate zu übertragen.

Statt den Mitarbeiten einfach nur einige Lizenzen zu kaufen und zur Verfügung zu stellen, ist es wichtig, Inhalte zu sondieren und zu entscheiden, welcher Content für welche Zielgruppe relevant ist.
Dr. Katharina Luh
Partnerin, Change and Learning | Deutschland

Zeiten der Kurzarbeit fürs Upskilling nutzen

Doch auch andere Weiterbildungsthemen bleiben notwendig oder werden sogar dringender, damit  die Mitarbeiter fachlich auf dem neuesten Stand sind und Zukunftskompetenzen aufbauen, etwa in Bezug auf die Digitalisierung. Doch der naheliegende Schritt, die Krise zu nutzen, um sich mit Fortbildungen für zukünftige Herausforderungen zu rüsten, wurde in vielen Firmen noch nicht gemacht. Eine große Welle des Upskillings ist bislang ausgeblieben. Ein Grund war sicher die zunächst unübersichtliche Gemengelage als Folge des Krisenschocks, danach die notwendige Eingewöhnungszeit im Homeoffice samt der besonderen Herausforderung der Kinderbetreuung.

Mittlerweile wäre es mindestens für die, die weiterhin in Kurzarbeit sind, an der Zeit, entsprechende Programme zu starten. Besonders bei schnelllebigen digitalen Themen macht es für Unternehmen wenig Sinn, die Programminhalte für die eigenen Mitarbeiter selbst zu produzieren. Im Worst Case haben sich die Inhalte schon überholt, wenn die Produktion fertig ist. Lernplattformen wie LinkedIn Learning, Udemy, Udacity oder der SAP Learning Hub bieten in diesem Themenfeld ein reichhaltiges und gutes Angebot. Statt den Mitarbeitern einfach nur einige Lizenzen zu kaufen und zur Verfügung zu stellen ist es wichtig, die Inhalte zu sondieren und zu entscheiden, welcher Content für welche Zielgruppe relevant ist. Damit die Lernangebote auch genutzt werden, ist zur Einführung eine gut sichtbare Informations- und Motivationskampagne ratsam.

Frau im Homeoffice
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Kapitel 2

„Digital first” oder Fokus auf Präsenz?

Manche Dinge sollten nach wie vor von Angesicht zu Angesicht geklärt werden. Bei anderen helfen Netzwerke, auch die von Social Media.

Bei längerfristigen Weiterbildungsangeboten bietet sich die Initiierung von digitalen Lerngruppen an, in denen sich die Teilnehmenden gegenseitig unterstützen. Diese Art des informellen Miteinander-Lernens kann nicht nur den Lernerfolg erheblich erhöhen, sondern stärkt auch die Motivation und fördert zudem die Kooperation zwischen den Mitwirkenden – oft über Abteilungsgrenzen und die Dauer der Weiterbildung hinweg. Ein solcher Austausch lässt sich zum Beispiel über moderierte Live Sessions anschieben. Besonders gut funktioniert er, wenn sich die informellen Lerngruppen ab und zu auch live treffen.

Gleiches gilt für die formalen Lerngruppen, also die Kursteilnehmer: Sie sollten sich ebenfalls in regelmäßigen Abständen treffen und dann die Möglichkeit haben, Fragen nicht nur untereinander, sondern auch mit einem Tutor zu diskutieren. Denn bei allen positiven Erfahrungen mit digitalen Angeboten sollte nicht vergessen werden: Bei länger andauernden, reinen Online-Angeboten ist die Abbrecherquote oft recht hoch.

Zu einem schlagkräftigen digitalen Lernen im Unternehmen gehört früher oder später auch, dass die Mitarbeiter Content selbst erstellen. So können sie zum Beispiel kurze Videos drehen und diese über ein Tool wie Microsoft Stream zur Verfügung stellen.

Lernen über persönliche Netzwerke

Was darüber hinaus sowohl das Lernen selbst als auch die Motivation im Lernprozess erheblich befeuern kann, ist ein sogenanntes Personal Learning Network. Dass alle Fach- und Führungskräfte sich ein solches aufbauen, sollte das ausgegebene Ziel sein, für das es zu kämpfen gilt. Denn aufbauen kann es nur jeder Mitarbeiter selbst, etwa über Twitter oder LinkedIn. Die Kontakte in diesen Netzwerken sind üblicherweise externe Experten und Kollegen, aber auch ehemalige Kollegen und Lieferanten. Deren Posts und Diskussionen halten über neue Entwicklungen im eigenen Bereich auf dem Laufenden, wodurch spezielle Lernbedarfe identifiziert werden können, die für aktuelle Projekte relevant sind. Die im Lernnetzwerk und durch eigene Erfahrungen erworbenen Kenntnisse werden idealerweise im Unternehmen weitergegeben.

Zu einem schlagkräftigen digitalen Lernen im Unternehmen gehört früher oder später auch, dass die Mitarbeiter Content selbst erstellen. So können sie zum Beispiel kurze Videos drehen und diese über ein Tool wie Microsoft Stream zur Verfügung stellen. Ob für das Freischalten der Inhalte eine Qualitätskontrolle nötig ist, hängt von der Einschätzung beziehungsweise den Erfahrungen der Corporate-Learning-Verantwortlichen ab. Grundsätzlich gilt auch hier: Vertrauen führt. Wenn nötig, wird nachjustiert.

Die Digital-first-Brille aufsetzen

Klar ist bei aller Fokussierung auf das digitale Lernen jedoch auch, dass Präsenzseminare weiterhin ihre Berechtigung haben. Grundsätzlich sollte jedoch nach dem Motto „Digital first“ bei jedem Weiterbildungsprojekt zunächst geprüft werden, ob und inwieweit sich ein digitales Format oder auch eine Kombination – sogenanntes Blended Learning – anbietet. So können zum Beispiel gerade Software-Anwenderschulungen, die in vielen Firmen noch immer im Klassenraum abgehalten werden, in Zukunft online stattfinden. Das spart Zeit und Geld und macht es zudem möglich, sie genau dann zu absolvieren, wenn sie gebraucht werden – und nicht gegebenenfalls bereits Wochen vorher, sodass die Teilnehmer bei der ersten Anwendung der Software viele Inhalte schon gar nicht mehr präsent haben.

Bei Softwareumstellungen, die die Zusammenarbeit im Unternehmen grundlegend verändern – wie die Einführung von Microsoft Teams oder die in vielen Firmen anstehenden Umstellung auf die SAP-Unternehmenssoftware S/4HANA – ist es wiederum ratsam, mit einer Präsenzveranstaltung zu beginnen. So lässt sich am besten Verständnis und Akzeptanz für die Maßnahme schaffen. Themen wie Führung, bei denen Präsenzseminare auch weiterhin einen unverzichtbaren Baustein bilden, können remote unterstützt werden. Hier helfen etwa Online-Kurse und Videos dabei, das Gelernte zu vertiefen oder es in dem Moment aufzufrischen, in dem es gebraucht wird.

(Chapter breaker)
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Kapitel 3

Vom Verwalter des Lernens zum Lern-Moderator

HR-Abteilungen brauchen ein verändertes Selbstverständnis, damit sie ihr Unternehmen auf neue Wege führen können.

Um den aufgezeigten Weg gehen zu können, müssen sich Learning- und Development-Verantwortliche jetzt im Schnellverfahren aneignen, was auch für die Zukunft hohe Bedeutung behalten wird: ein neues Rollenverständnis, nach dem sie künftig in erster Linie das Weiterbildungsangebot orchestrieren und moderieren und weniger Kursprogramme und Inhalte erstellen und das Lernen verwalten. Anders lauten sollten dadurch auch die Antworten, die sie Mitarbeitern geben, wenn sie sich nach Fortbildungsmöglichkeiten erkundigen. Kommt eine Mitarbeiterin etwa mit dem Wunsch, mehr über Blockchain wissen zu wollen, zieht die Personalentwicklerin idealerweise nicht gleich ein Seminarangebot aus der Schublade. Stattdessen empfiehlt sie der Mitarbeiterin besser, sich in ihrem Netzwerk oder in einer entsprechenden Community zielgerichtet zu informieren und sich auszutauschen. Eine entsprechende formale Weiterbildung kann dann der zweite Schritt sein. 

Wichtig ist, den Schwung der Krise zu nutzen und jetzt mit dem Ausbau und der Erprobung digitaler Weiterbildungsformen zu starten.
Dr. Katharina Luh
Partnerin, Change and Learning | Deutschland

Leuchtturmprojekte animieren zum Nachmachen

Um kraftvoll auf diesem Weg zu starten, empfiehlt sich die Bildung einer Task Force aus Personalentwicklern und Trainern, die sich für digitale Formate begeistern, aber auch aus Vertretern der Fachbereiche. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, solche Pilot-Lernprojekte auszuwählen beziehungsweise zu kreieren, die den Teilnehmenden schnell einen spürbaren Benefit bringen – etwa in Form einer Erleichterung der Zusammenarbeit im virtuellen Team oder der Eröffnung eines neuen Karriereweges. Auf diese Weise entstehen Leuchtturmprojekte, die oftmals eigene Dynamiken lostreten. Mitarbeiter gründen etwa eigenständig Lerncommunitys oder Abteilungen beginnen von sich aus, Lerninhalte zu erstellen.

Wichtig ist, den Schwung der Krise zu nutzen und jetzt mit dem Ausbau und der Erprobung digitaler Weiterbildungsformen zu starten. Denn wenn die meisten Mitarbeiter erst wieder im Büro arbeiten und der „alte Trott“ einkehrt, kommen erfahrungsgemäß auch alte Denkweisen und Bedenken zurück – darunter mit Sicherheit auch die gegen das Online-Lernen. Damit steht auch der größte Fehler fest, den Firmen derzeit in Sachen digitale Weiterbildung machen können: nichts tun und die aktuelle Chance verstreichen lassen.

Fazit

Für Unternehmen, die ein digitales Weiterbildungsangebot aufbauen wollen, lautet die wichtigste Botschaft: Es braucht kein allumfassendes Gesamtkonzept. Einfach mit Pilotprojekten starten, Erfahrungen sammeln und bei Bedarf nachjustieren. Ein Fehler hingegen wäre, zu lange zu zögern und den Schwung der Corona-Krise nicht zu nutzen.

Über diesen Artikel

Von Katharina Luh

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Begleitet ihre Kunden bei Transformationsvorhaben mit Fokus auf digitalem Wandel. Der Stadt durch Familie und Freunde eng verbunden, lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in Gießen.