Ein Porträtfoto von Antonio Hautle
Es gibt keine Patentlösung für ein nachhaltiges Wirtschaften.

Antonio Hautle

Seit August 2015 ist Antonio Hautle Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz. Das Netzwerk von Firmen und Institutionen übt seine Geschäftstätigkeit gemäss den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen aus. Zuvor war er von 2001 bis 2013 Direktor des Fastenopfers und von 2013 bis 2015 Leiter Dienststelle Soziales und Gesellschaft des Kantons Luzern. Antonio Hautle hat einen Hintergrund in Philosophie, Wirtschaftsethik und katholischer Theologie und verfügt über einen Masterabschluss in Business Administration der Universität Genf. 

7 Minuten Lesezeit
29 März 2022

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Wir durften Antonio Hautle, Executive Director vom UN Global Compact Netzwerk Schweiz, zum Interview treffen. Im angeregten Gespräch berichtet er vom Potenzial moderner Technologien für eine nachhaltige Wirtschaft sowie von der Wichtigkeit der Sustainable Development Goals (SDG) und erklärt, warum eine Strategie des Abwartens wenig erfolgsversprechend ist.
Wie hat es das Thema nachhaltige Technologien beim UN Global Compact Netzwerk auf die Agenda geschafft?

Durch das Networking. Wir haben Kontakte geknüpft mit verschiedenen Firmen, beispielsweise Microsoft Schweiz oder Ernst & Young, aber auch mit einem universitären Institut in Genf. Dadurch ist der Bereich «Sustainable Technologies» und alles, was damit zu tun hat – wie künstliche Intelligenz, der Umgang mit Daten oder das Monitoring und Tracking von Zulieferketten –, bei uns zum Thema geworden. In diesem sehr breiten Themenkomplex sehen wir gewaltiges Potenzial, um unsere Welt nachhaltiger zu gestalten. Netzwerke wie unseres bieten dafür die ideale Plattform: Spezialistinnen und Spezialisten aus Industrie, Technologie und Forschung können hier zusammenkommen und ihr Know-how einbringen.

Wie wichtig sind moderne Technologien, damit ein Unternehmen tatsächlich nachhaltiger agieren kann?

Grundsätzlich sind moderne Technologien für ein nachhaltiges Handeln sehr wichtig, entscheidend ist aber vor allem das Ökosystem. Gerade bei einer starken Vernetzung von wirtschaftlichen Akteuren sind moderne Technologien von grosser Bedeutung. Wie kann ein Unternehmen beispielsweise sicherstellen, dass sein Palmöl wirklich gemäss Zertifizierungen produziert wird? Zu diesem Zweck braucht es die intelligente Überwachung der Zulieferketten.. Und dafür braucht es Technologie. Die künstliche Intelligenz und Blockchain stellen eine riesige Gelegenheit dar, die benötigten Daten und Informationen nachhaltig zu sammeln und zu verarbeiten. Erfreulicherweise halten die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) mittlerweile in sehr vielen Unternehmen Einzug. Das erhöht den Druck und beschleunigt die Umstellung auf eine tatsächlich ressourcenschonende Wirtschaft.  

Erfreulicherweise halten die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) mittlerweile in sehr vielen Unternehmen Einzug. Das erhöht den Druck und beschleunigt die Umstellung auf eine tatsächlich ressourcenschonende Wirtschaft.
Antonio Hautle
Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz
Welche technologischen Ansätze kann ein Unternehmen befolgen?

Es gibt einen risikobasierten Ansatz und einen potenzialbasierten Ansatz. Der risikobasierte Ansatz eruiert die grössten Risiken innerhalb eines Unternehmens und prüft, ob Technologien helfen können, diese zu minimieren. Dafür lohnt es sich Fragen zu stellen wie: Hat man die Möglichkeit, mit Technologie an nützliche Daten zu kommen? Macht die Überwachung einer Produktionsstätte unter Einhaltung des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen Sinn? Führt diese Herangehensweise nicht zum Ziel, kann ein Unternehmen mit dem potenzialbasierten Ansatz nach schlummerndem Potenzial suchen, das mit technischen Lösungen ausgeschöpft werden kann. Eine Patentlösung für ein nachhaltiges Wirtschaften gibt es aber nicht. Umso wichtiger ist es, dass verschiedene Player zusammenfinden und Lösungen erarbeiten. Unser Netzwerk bietet dafür Hand. Dank den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen haben wir erstmals eine Auslegeordnung, welche die Hauptherausforderungen der Menschheit im 21. Jahrhundert mit Blick auf die Nachhaltigkeit aufzeigt. Daran können wir uns orientieren.  

Kannst du anhand eines Beispiels aufzeigen, wie eine technische Lösung zu einer nachhaltigeren Ökonomie führt?

Ein gutes Beispiel ist Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern überwacht seine Palmölplantagen mittels Satelliten. Auf den Satellitenbildern kann Nestlé feststellen, ob sich die Plantagen ausweiten oder verkleinern oder ob Brandrodungen auftreten und entsprechend handeln. Ein weiteres Beispiel ist die Genfer Firma Farmer Connect. Über Blockchain stellt sie die Nachverfolgung ganzer Zulieferketten im Agrobusiness sicher. Auch Migros und Coop benutzen solche Lösungen. Bei Kleidung ist diese Methode ebenfalls sinnvoll. Mit einem Code auf einem Kleidungsstück kann man dieses tracken und somit nachvollziehen, wo und wie es produziert wurde. Besonders zur Qualitätssicherung bzw.  Verhinderung von Betrug sehe ich immenses Potenzial in der Blockchain-Technologie. 

Besonders bei der Verhinderung von Betrug sehe ich immenses Potenzial in der Blockchain-Technologie.
Antonio Hautle
Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz
Wieso ist es wichtig, dass Unternehmen bereits heute auf diese modernen Technologien setzen?

Eine Strategie à la «ich warte jetzt mal noch fünf Jahre ab» ist zum Scheitern verurteilt. Hierfür sind die Entwicklungen auf dem Markt viel zu dynamisch. Nehmen wir das Beispiel Better Gold Initiative: Will ein kleiner Tech-Betrieb eine Platine, die mit Gold bestückt ist, in die USA exportieren, muss er schon heute nachweisen können, woher dieses Gold kommt, möchte er nicht vom Markt ausgeschlossen werden. Und das hilft moderne Tracking-Technologie. An diesem Punkt kommt auch wieder der zuvor erwähnte potenzialbasierte Ansatz zum Tragen. Wer durch die Evaluation und Verwendung neuartiger Technologien als Vorreiter in Erscheinung treten kann, geniesst einen immensen Vorteil. Diesbezüglich eröffnen sich einem im Rahmen der SDG hervorragende Geschäftsmöglichkeiten, sofern man Wert auf Innovation legt und den Finger am Puls der Zeit hat. 

Wer durch die Evaluation und Verwendung neuartiger Technologien als Vorreiter in Erscheinung treten kann, geniesst einen immensen Vorteil.
Antonio Hautle
Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz
Wo siehst du im Bereich der Technologie potenzielle Gefahren und Risiken?                                                                  

Fortschritte in der Technologie und die miteinhergehende Transparenz dürfen nicht auf Kosten der Privatsphäre einzelner Menschen erfolgen – Stichworte Datenschutz, Wirtschaftsethik und Menschenrechte. In der Welt der sozialen Medien beispielsweise sehen wir auf der einen Seite, wie Menschen freiwillig ihre Daten hergeben, und auf der anderen Seite haben wir eine extreme Machtkonzentration bei einigen wenigen Konzernen. Gewisse andere Firmen mit grossen Verteilketten nutzen ihre enorme Menge an Daten ebenso, um das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten voraussagen zu können. Das ist meiner Meinung nach nicht zu verantworten. Selbst autokratisch geführte Staaten missbrauchen die Technologie für eine lückenlose Überwachung ihrer gesamten Bevölkerung. Wie gehen wir damit um? Bei diesen Themenkomplexen stehen wir vor heiklen Herausforderungen und sämtliche Unternehmen, Netzwerke wie Global Compact, aber auch die Gesellschaft als Ganzes sind gefordert, im gemeinsamen Diskurs ihren Anteil an einer Lösung beizutragen. Denn wenn wir Technologie ökonomisch sinnvoll, sozial verantwortlich und ökologisch nachhaltig einsetzen, ist sie keine Gefahr, sondern vielmehr eine riesige Chance. 

Fortschritte in der Technologie und die miteinhergehende Transparenz dürfen nicht auf Kosten der Privatsphäre einzelner Menschen erfolgen.
Antonio Hautle
Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz
Hast du das Gefühl, wir sind auf einem guten Weg hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften?

Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Dafür stehen unter anderem die herausragenden Möglichkeiten, die nachhaltige Technologien bieten, leider nach wie vor zu wenig im Fokus. Das gilt auch für unser UN Global Compact Netzwerk. Wir geben jedoch unser Bestes, dies zu ändern. Wir müssen das Bewusstsein für nachhaltige Technologien stärken und die enorme Chance, die dieses Themenfeld darstellt, nutzen – für eine ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit, die den Menschen dient. 

Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel.
Antonio Hautle
Executive Director beim UN Global Compact Netzwerk Schweiz

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