5 Minuten Lesezeit 30 Apr. 2020
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Data Mining im revidierten Schweizer Urheberrecht

Von Andreas Jaeggi

Director, Head Digital Law, Legal Services, Ernst & Young AG | Switzerland

Experienced digital law expert. Focus on assisting clients in their digital transformation journey. Enjoys a global and multilingual environment, both at work and privately.

5 Minuten Lesezeit 30 Apr. 2020

Mit den seit April 2020 geltenden neuen Urheberrechtsbestimmungen wurde eine Wissenschaftsschranke eingeführt und damit Rechtssicherheit für Data Mining in der wissenschaftlichen Forschung geschaffen.

In Kürze
  • Die Änderungen des Schweizer Urheberrechtsgesetzes sind am 1. April 2020 in Kraft getreten.
  • Eine neu eingeführte Ausnahme vom Urheberrechtsschutz für die wissenschaftliche Forschung umfasst Text- und Data Mining.
  • Die Ausnahme erlaubt technische Vervielfältigungshandlungen zu Forschungszwecken und umfasst sowohl kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Forschung. 

Am 1. April 2020 sind die Änderungen im Schweizer Urheberrechtsgesetz (URG), welche die eidgenössischen Räte letzten September nach jahrelanger Vorarbeit verabschiedet hatten, in Kraft getreten. Die Gesetzesrevision zielte vor allem darauf ab, das URG an das Internetzeitalter anzupassen, wobei in verschiedenen Bereichen Kompromisslösungen erlassen wurden, um die divergierenden Interessen von Urhebern, Produzenten und Nutzern zu berücksichtigen.

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der im URG neu eingeführten sog. Wissenschaftsschranke und ihrer Anwendung im Bereich des Data Mining und dessen Unterform Text Mining, zusammen oft als Text & Data Mining (TDM) bezeichnet.

Grundlagen des Data Mining

TDM ist eine automatisierte computergestützte Methode zur Analyse grosser Text- oder Datenmengen (Big Data) und deren Vernetzung zur Entdeckung von Querbezügen, Zusammenhängen und Mustern und damit zur Gewinnung neuer Erkenntnisse. Während das eigentliche Data Mining der Analyse grosser strukturierter Datenmengen dient, wird das Text Mining auf unstrukturierte Textdateien angewendet.

Aufgrund der immensen im Internet verfügbaren Text- und Datenmengen hat sich TDM zu einem Standardverfahren entwickelt und wird heute zu unterschiedlichsten Zwecken eingesetzt, sowohl in wissenschaftlichen Forschungsbereichen wie in der Pharmaindustrie und der Biomedizin als auch ausserhalb der Forschung, etwa im Marketing oder im Journalismus. Ausserdem kommt TDM bei der Entwicklung von auf künstlicher Intelligenz basierenden Applikationen zum Einsatz.

Urheberrechtliche Relevanz

Im Rahmen von TDM-Verfahren wird in der Regel als erstes ein Datensatz erstellt, auf den sodann die TDM-Software zu dessen Analyse angewendet wird. Regelmässig werden dabei Daten kopiert und gespeichert.

Sofern die genutzten Daten Werke im Sinne des Urheberrechts involvieren (z.B. wissenschaftliche oder technische Texte, Bilder, audiovisuelle Medien oder Datensammlungen), handelt es sich bei diesem Vorgang um urheberrechtliche Vervielfältigungshandlungen, etwa durch die dauerhafte Speicherung der Werke im Datensatz, durch Umformatierungen der im Datensatz enthaltenen Werke oder durch deren vorübergehende Speicherung im Rahmen der Analyse. Solche Vervielfältigungshandlungen stellen ohne Einwilligung des Urhebers oder ohne gesetzliche Schrankenbestimmungen eine Urheberrechtsverletzung dar.

Urheberrechtliche Regelung

Bisherige Regelung in der Schweiz

Das URG enthielt vor der Revision weder eine Ausnahme vom Ausschliesslichkeitsrecht des Urhebers zugunsten der wissenschaftlichen Forschung (Wissenschaftsschranke) noch spezifische Bestimmungen zu TDM.

Die im Rahmen von TDM vorgenommenen urheberrechtlich relevanten Vervielfältigungshandlungen konnten zwar teilweise durch die bestehenden Schranken zum Eigengebrauch (für private und betriebsinterne Zwecke) sowie für vorübergehende Vervielfältigungen privilegiert und damit ohne Einwilligung der Rechteinhaber gerechtfertigt werden. Für alle anderen Werknutzungen bzw. Vervielfältigungen zu anderen Zwecken, wie bspw. das permanente Speichern des Datensatzes, war jedoch die Einwilligung aller betroffenen Rechteinhaber erforderlich. Dies war stets mit grossem Aufwand, hohen Kosten, Schwierigkeiten bei der urheberrechtlichen Beurteilung von technischen TDM-Prozessschritten und anderen Rechtsunsicherheiten verbunden.

Regelung gemäss revidiertem URG

Ziel der neu eingeführten, umfassenden Wissenschaftsschranke war vor allem die Beseitigung der erwähnten rechtlichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der urheberrechtlichen Zulässigkeit von TDM (und vergleichbaren Technologien) zu Forschungszwecken. Der neu eingefügte Artikel 24d URG erlaubt nun ausdrücklich technisch bedingte (z.B. mittels Algorithmen) Vervielfältigungshandlungen zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung, sofern zu den vervielfältigten Werken ein rechtmässiger Zugang besteht, sowie die Aufbewahrung solcher Vervielfältigungen zu Archivierungs- und Sicherungszwecken nach Forschungsabschluss. Derartige technisch bedingten Vervielfältigungshandlungen sind somit neu auch ohne Zustimmung des Urhebers zulässig und zudem vergütungsfrei. Ausgenommen von dieser Wissenschaftsschranke ist die Vervielfältigung von Computerprogrammen.

Die neue Regelung umfasst sowohl die Grundlagenforschung als auch die angewandte Forschung. Um Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, gilt die neue Schrankenbestimmung zudem sowohl für die nicht-kommerzielle als auch die kommerzielle Forschung.

Regelung gemäss EU-Richtlinie

Auch auf EU-Ebene wurden durch die am 6. Juni 2019 in Kraft getretene Urheberrechtsrichtlinie 2019/790 die Schrankenbestimmungen für den Einsatz von TDM konkretisiert.

Einerseits erlaubt Art. 3 der Richtlinie TDM ohne Einwilligung des Rechteinhabers durch Forschungsorganisationen, die nicht gewinnorientiert sind, die alle Gewinne in ihre wissenschaftliche Forschung reinvestieren oder die im öffentlichen Interesse tätig sind, sowie durch Einrichtungen des Kulturerbes für Forschungszwecke. Andererseits ermöglicht Art. 4 TDM gar für jegliche – somit auch rein kommerzielle – Zwecke und geht damit über eine blosse Wissenschaftsschranke hinaus, schränkt deren Anwendungsbereich jedoch in seinem Abs. 3 dahingehend wieder ein, dass die Schranke nur anwendbar ist, wenn der jeweils betroffene Rechteinhaber TDM nicht ausdrücklich untersagt hat (Nutzungsvorbehalt).

Danksagung

Vielen Dank an Ramona Bollhalder für Ihre wertvollen Beiträge zum vorliegenden Artikel. 

Fazit

Urheberrechtsgesetzes in Kraft getreten. Eine wichtige Änderung betrifft die neue “Wissenschaftsschranke”, die Data und Text Mining zu Forschungszwecken abdeckt. Diese automatisierten, computergeschützten Methoden zur Analyse grosser Text- oder Datenmengen erstellen Kopien und speichern Informationen, die ohne die Zustimmung des Urhebers eine Verletzung des Urheberrechts darstellen.

Durch die Gesetzesänderung sind solche Tätigkeiten nun zulässig, sofern sie

  • zu Forschungszwecken erfolgen und
  • der Zugang zu den Werken legal ist und
  • keine vom Urheber festgelegte Nutzungsbeschränkungen verletzt werden. 

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