29 März 2023
Moderne grüne Stadt

Wie ESG-Daten Unternehmensentscheidungen unterstützen

Autoren
Michael Bley

Director, Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Liebt den Beraterberuf, weil er den Dingen auf den Grund gehen will. Lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in der Studentenstadt Tübingen.

Sebastian Schmidt

Leiter Valuation, Modeling and Economics, Strategy and Transactions, EY-Parthenon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Erfahrener Transaktionsfachmann. Sieht Transparenz in Managemententscheidungen als wichtigen Faktor für tragfähige Strategien. Musikfan, Läufer und Mountainbiker.

Célien Fitoussi

Senior Manager, Lead ESG in Transactions and Corporate Finance | EY Switzerland

Driving sustainability by integrating ESG considerations in transactions and corporate finance (valuation, modeling, due diligence). Passionate about the energy transition.

29 März 2023

Die Vielfalt bestehender Standards und Frameworks erschweren die Arbeit mit ESG-Daten. Doch das Verständnis ist wichtig, um sie effektiv zu nutzen.

Überblick
  • Diverse Studien belegen die zunehmende Relevanz des Themas Nachhaltigkeit und ESG.
  • Allgemeingültige Standards und Rahmenbedingen sind in der Entwicklung, aber noch nicht gesetzt: Das behindert Unternehmen in manchen Entscheidungen.
  • Es gibt Möglichkeiten, nicht nur Risiken, sondern vor allem auch Wertentwicklung und Total Shareholder Return im Zusammenhang mit ESG-Daten abzubilden.

Mit neuen Ideen ist das meistens so eine Sache: Für Wachstum und Fortschritt sind sie unverzichtbar, in ihrer ersten Form in der Regel allerdings oft noch unausgereift. Es braucht Zeit für Entwicklung, Präzisierung und Verbesserung, damit aus einem Geistesblitz ein Donnerwetter wird, in der Regulatorik gleich einmal mehr. Rund hundert Jahre ist es her, seit „Unternehmen“ und „soziale Verantwortung“ in einem Atemzug genannt wurden, heute sprechen wir von ESG – das steht für Environmental, Social, Governance – als zunehmend relevante Strategie zur Steigerung eines Unternehmenswerts im Hinblick auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.

Studien rund um den Globus belegen die zunehmende Relevanz des Themas und den steigenden Anspruch von Investoren an die Erfüllung von ESG-Kriterien, was auch der EY Global Institiutional Investor Survey 2021 bestätigte: 90 Prozent der befragten institutionellen Investoren gaben an, dass sie bei ihren Anlageentscheidungen seit Beginn der Pandemie der ESG-Performance von Unternehmen mehr Bedeutung beimessen. 86 Prozent meinen außerdem, eine gute ESG-Bewertung habe heute einen wesentlichen Einfluss auf die Empfehlung von Analysten – schließlich stärkt sie die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz eines Unternehmens. Angaben des Finanzunternehmens Morningstar bestätigen die Zahlen von EY: Die Vermögenswerte nachhaltiger Fonds erreichten im September 2022 einen Wert von 2,2 Billionen US-Dollar weltweit und haben sich damit im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppelt.

Das Fehlen von Standards bei ESG-Ratings erschwert Quantifizierung

Nur – damit sind wir wieder bei neuen Ideen – hat sich bisher noch kein einheitlicher Standard für ESG-Daten entwickelt, was es für Unternehmen zur Herausforderung macht, ihre ESG-Performance zu messen, zu steuern und zu verbessern. Denn dabei sollten generell immer zwei Perspektiven berücksichtigt werden.

  1. die Messung der ESG- beziehungsweise Nachhaltigkeits-Performance an sich, um daraus unternehmerische Maßnahmen abzuleiten, die sie verbessern
  2. die Quantifizierung der Auswirkung von ESG-Maßnahmen auf die finanzielle Performance aus Sicht der Kapitalgeber: Welche generieren Wert, welche nicht?

Nur eine belastbare quantitative Basis aus beiden Perspektiven ermöglicht es, gute und richtige Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen – ob es um ESG-Investitionen, Firmenzukäufe oder die Neuausrichtung des Portfolios unter Nachhaltigkeitsaspekten geht. Doch ohne einheitliche Standards ist das eben schwieriger.

Inzwischen gibt es zwar diverse ESG-Rating-Agenturen, diese nehmen jedoch keine einheitliche Erfassung und Bewertung einzelner ESG Bereiche vor, sondern wenden unterschiedliche Methodologien an oder gewichten Themen unterschiedlich. Das führt beispielsweise zu dem absurden Ergebnis, dass ein Unternehmen je nach Agentur abweichende Resultate vorweist. Diese Uneinheitlichkeit und mangelnde Transparenz löst berechtigte Kritik aus.

Hinzu kommt: Gerade bei der Analyse finanzieller Auswirkungen von ESG-Maßnahmen sollten auch die positiven Werteffekte der Maßnahmen berücksichtigt werden – schon allein um die relevanten Entscheidungsträger und Stakeholder zu überzeugen. Diese positiven Effekte können jedoch sehr vielfältig sein und wirken oft nur mittelbar und zudem in unterschiedlichen Zeithorizonten. Beispiele dafür gibt es viele: neue Märkte, Preisvorteile aufgrund sich ändernder Konsumentenpräferenzen, einfacherer Zugang zu Eigen- und Fremdkapital, mehr Transparenz und Resilienz in Lieferketten, stabilisierte Energiekosten, stärkere Mitarbeiterbindung und Kundenloyalität, Steuervorteile – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Diese Vielseitigkeit erschwert die Quantifizierung zusätzlich.

Die Analyseansätze Inside-out und Outside-in

Gerade wegen abweichender Methoden externer ESG-Ratings sollten sich Unternehmen bei der Identifikation der für sie relevanten Nachhaltigkeitsziele und ESG-Fokusthemen nicht ausschließlich auf externe Agenturen verlassen. Es gilt, das eigene Geschäftsmodell, die eigenen strategischen Zielsetzungen und die eigene Positionierung im Wettbewerb konsequent im Blick zu behalten.

Die Rating-Methoden der großen Agenturen können aber neben anderen Frameworks einen guten Einstieg für eigene Überlegungen darstellen. So können beispielsweise die Gewichtungen von ESG-Bereichen in verschiedenen Branchen durch die Anbieter helfen, schnell erste Arbeitshypothesen über relevante Nachhaltigkeitsthemen aufzustellen. Die strukturierten Datensätze der Rating-Agenturen sind zudem hilfreich bei der Einordung, an welchem Punkt man sich befindet und in welchen Bereichen Aufholbedarf besteht – innerhalb der eigenen Branche und im Vergleich zu relevanten Wettbewerbern.

Unternehmensspezifische Prognosen zu den finanziellen Auswirkungen von ESG-Initiativen sind dann aber unabdingbar, um Priorisierungen vorzunehmen und den Erfolg der Initiativen nachzuhalten. Spätestens an diesem Punkt sind Verallgemeinerungen nicht mehr möglich, die Prognosen müssen unternehmensspezifisch erarbeitet werden. Geografische Footprints, Fertigungsprozesse, Energiemix, Lieferketten, Kundenstämme und andere relevante Dimensionen unterscheiden sich oft erheblich, selbst innerhalb einzelner Branchen. Neben Markt- und Branchendaten sollte dementsprechend auch auf interne Nachhaltigkeitsdaten, operative Kennzahlen und Finanzgrößen zurückgegriffen werden (Inside-out-Analyse).

In einem integrierten Ansatz werden die unternehmensinternen Daten, Analysen und Prognosen durch verfügbare Kapitalmarkt- und externe ESG-Daten ergänzt (Outside-in-Analyse), um eine möglichst umfassende Einschätzung der geplanten ESG-Programme zu erhalten. Das hilft, die eigenen Überlegungen und Ziele auf Plausibilität zu prüfen, und erleichtert gleichzeitig die Kommunikation mit Anteilseignern und Investoren. Hierbei erweist es sich zudem als ratsam, mögliche Wirkungen auf externe Ratings zu eruieren. Diese sind nach wie vor eine wichtige Informationsquelle für externe Kapitalgeber und besitzen daher eine entsprechende Außenwirkung.

Über multiple Regressionsmodelle und andere analytische Verfahren, in denen die Zusammenhänge zwischen ESG-, Finanz- und Kapitalmarktdaten untersucht werden, lassen sich mit der Outside-in-Betrachtung mögliche finanzielle Auswirkungen von ESG-Programmen quantifizieren, zum Beispiel mit Blick auf erzielbare Aktienrenditen, Kapitalkosten oder Bewertungsmultiplikatoren. Konkret heißt das: Je nach Branche kann eine gute ESG-Performance mit höheren Aktienrenditen, höheren Bewertungsmultiplikatoren und geringeren Kapitalkosten einhergehen und umgekehrt.

Mehr als 10 Prozent der Überrenditen am Kapitalmarkt in der Chemiebranche können statistisch schon heute mit ESG-Faktoren in Zusammenhang gebracht werden.

Bei EY führen wir diese Analysen branchenübergreifend unter Verwendung umfangreicher Datensätze in den Bereichen Nachhaltigkeit, Finanzkennzahlen und Kapitalmarktinformationen durch.

Auswirkungen des ESG-Ratings am Beispiel Chemie

Um die Einflüsse an einem Beispiel zu verdeutlichen, haben wir die Multiplikatoren vieler Chemie-Unternehmen zu diversen Zeitpunkten herangezogen und sie in verschiedene ESG-Cluster unterteilt: sehr gut, gut und ausreichend beziehungsweise schlecht. Das Ergebnis: Chemie-Unternehmen mit einem sehr guten ESG-Rating erzielen die höchsten Bewertungen am Kapitalmarkt, im Durchschnitt der letzten Jahre 25 bis 50 Prozent höhere Bewertungsmultiplikatoren (EBITDA) als Unternehmen mit ausreichenden oder schlechten Ratings. Eine Investition in ESG kann sich also durchaus lohnen – auch hinsichtlich des Total Shareholder Return (TSR – Gesamtaktienrendite).

In der Grafik sind verschiedene Faktoren mittels Strukturgleichungsmodellen identifiziert, die in einem statistischen Zusammenhang zu den beobachteten Renditen am Kapitalmarkt stehen. Neben klassischen Finanzkennzahlen, die jeder erwarten würde, leistet inzwischen auch das Thema Nachhaltigkeit einen messbaren Erklärungsbeitrag: Mehr als 10 Prozent der erzielten Überrenditen aus Sicht der Anteilseigner können heute bereits statistisch mit ESG-Faktoren erklärt werden (ESG-Momentum = Veränderung des ESG-Ratings).

Transparenz als Grundlage für Verständnis

Die Quantifizierung von ESG-Faktoren und deren Auswirkungen verhelfen zu einer Transparenz, die bessere und richtige Entscheidungen herbeiführt – für jede Seite. Denn sie macht erkennbar, was sich lohnt und was weniger. So werden auch Fehlinvestitionen vermieden. ESG-Daten bieten die Möglichkeit zur Übersetzung in Finanzzahlen, die für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich sind. Unternehmen, die die Zusammenhänge zwischen ihren veröffentlichten Informationen und externen ESG-Ratings verstehen, können zudem vom wachsenden Interesse der Investoren an nachhaltigen Anlagestrategien profitieren.

Die Ratings, Standards und Frameworks in Bezug auf ESG sind noch lange nicht perfekt. Aber sie sind derzeit die einzige Arbeitsgrundlage, die zur Verfügung steht. Wie das mit verhältnismäßig neuen Ideen so ist: Die guten brauchen ihre Zeit, bis sie Brillanz entfalten. Daran wird international bereits poliert. Doch es wäre ein Fehler, dieses Ergebnis tatenlos abzuwarten. Wer die aktuelle Entwicklung unternehmerisch mitgeht, kann nicht nur bereits jetzt bessere Ergebnisse erzielen, sondern vor allem auch später Schritt halten

Fazit

Unternehmen müssen die Kriterien von ESG (Environmental, Social, Governance) vermehrt erfüllen und sich hier engagieren: Das fordern Markt, Investoren und Regulatorik in steigendem Maße. Doch die Bewertung durch ESG-Rating-Agenturen ist uneinheitlich, was ihre Wirkung schmälert und Kritik erzeugt. Die Quantifizierung und Analyse von ESG-Daten ist jedoch auch unter den gegebenen Umständen möglich und in Anbetracht der zunehmenden Relevanz sogar notwendig. Sie kann entscheidende Hilfestellung liefern, um Wertsteigerung und Total Shareholder Return zumindest in einigen Sektoren positiv zu steuern.

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Michael Bley

Director, Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Liebt den Beraterberuf, weil er den Dingen auf den Grund gehen will. Lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in der Studentenstadt Tübingen.

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Erfahrener Transaktionsfachmann. Sieht Transparenz in Managemententscheidungen als wichtigen Faktor für tragfähige Strategien. Musikfan, Läufer und Mountainbiker.

Célien Fitoussi

Senior Manager, Lead ESG in Transactions and Corporate Finance | EY Switzerland

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