Muss man ein Auto besitzen, um ab und zu im Auto zu sitzen?

Von Constantin M. Gall

Managing Partner Strategy and Transactions & Leiter Mobility | Deutschland, Schweiz, Österreich

Constantin M. Gall blickt auf über 14 Jahre Erfahrung in der Strategy and Transactions und Automobilbranche zurück. Er selbst ist ein Autoenthusiast, der gerne mit Familie und Freunden reist.

3 Minuten Lesezeit 6 August 2019

Elektroautos stehen hoch im Kurs. Dabei wäre der sinnvollere Ansatz, die Individualmobilität stärker auf Sharing-Angebote zu verlagern. 

Eine Mehrheit der potenziell kaufbereiten Klientel für Elektroautos – Menschen in Städten mit grünem Bewusstsein und entsprechendem Gehalt – lebt in Wohnungen oder in dicht an dicht gebauten Stadthäusern ohne eigenen Parkplatz. Also ohne die Möglichkeit, eine private Ladesäule aufzustellen. Wer aber sein Elektroauto nicht vor der Haustür laden kann, wird sich angesichts der noch lückenhaften öffentlichen Ladeinfrastruktur wohl genau überlegen, ob und wann er ein Elektroauto kauft. Dabei gilt doch der batteriebetriebene Elektromotor aus Sicht der Industrie als einer der wichtigsten Treiber für die Mobilitätswende.

Für eine umweltgerechte Mobilität ist das Teilen von Autos entscheidender als die doch eher schleppend verlaufene E-Revolution. Carsharing und Ridesharing sind wichtige Säulen für die neue Mobilität, denn Privatautos stehen fast 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. Rund um den Globus wird in großen Städten zu viel Platz fürs Parken bereitgestellt – das ist volkswirtschaftlich nicht unbedingt sinnstiftend. Das Ziel muss sein, weniger Autos besser zu nutzen. Das senkt Emissionen und verkleinert unsere CO2-Footprints. Und das funktioniert vor allem mit innovativen Lösungen des Sharings. 

Neuanmeldungen: Anteil von Sharing-Fahrzeugen

46 Millionen

Autos wurden 2018 zugelassen – nur 0,04 Prozent davon für Sharing-Flotten.

Allerdings steckt das Thema noch in den Kinderschuhen. 2018 wurden in Deutschland mehr als 46 Millionen Autos zugelassen. Nur 17.950 Pkw gehörten zu Sharing-Flotten – ein verschwindend geringer Anteil von 0,04 Prozent. Ein Grund dafür: Viele Angebote beschränken sich derzeit auf innerstädtische Gebiete. Wer aber aus dem Speckgürtel einer Großstadt in die City pendelt, wer die Kinder zum Auswärtsspiel ihres Fußballvereins an den Stadtrand chauffieren will, wer in einer Kleinstadt oder auf dem Land lebt, der bewegt sich oft außerhalb der Geschäftsbereiche der großen Anbieter – und steigt letztendlich doch ins eigene Auto.

Sharing spart auch Anschaffungskosten

Hier ist der Staat gefragt. Die Menschen müssen mit sinnvollen Angeboten aus der Individualmobilität weggelockt werden. Statt der Versuche, den Markt der zumeist teuren Hybrid- und Elektroautos sinnlos mit Kaufprämien anzukurbeln und statt Fördertöpfe für Ladestationen aufzumachen, die dann keiner baut, sollten Anreize für intelligente Sharing-Konzepte geschaffen werden.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Anschaffungskosten eines eigenen Autos werden eingespart, außerdem lassen sich ganz einfach Praxis-Erfahrungen mit neuen Antriebsarten wie dem batteriebetriebenen Elektromotor oder Brennstoffzellen-Aggregaten sammeln. Hinzu kommt: Den Entwicklern neuer Technologien bietet sich die Möglichkeit, Sharing-Fahrzeuge als Technologieträger im echten Langzeit-Praxistest zu nutzen.

Ridesharing als günstige Taxi-Alternative

Insbesondere das Ridesharing ist ein wichtiges Thema, weil klassische Car sharing-Angebote selbst innerstädtisch oft an ihre Grenzen stoßen. Gerne zeigt einem die App von Free-Floating-Anbietern – also jenen Anbietern, deren Autos man überall anmieten und auch wieder abstellen kann – ein frei verfügbares Fahrzeug an, das sieben Querstraßen weiter parkt. Will man aber zehn Minuten laufen, womöglich im Regen?

Verfügbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium für den gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Erfolg von Sharing-Angeboten. Beim Ridesharing tritt die Verfügbarkeit in den Hintergrund. Das Sharing-Mobil wird gerufen wie ein Taxi. Man sitzt zwar eventuell neben anderen Fahrgästen, spart aber Geld, muss keinen Parkplatz suchen und wird von Tür zu Tür gefahren.

Es wächst eine neue Generation von Autonutzern heran, die nicht unbedingt mehr selbst fahren oder besitzen müssen oder wollen.

Mittlerweile gibt es auch Modelle, bei denen das eigene Auto über Peer-to-Peer-Sharing-Plattformen an andere Fahrer vermietet wird. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber es wächst eine neue Generation von Autonutzern heran, die eben nicht unbedingt mehr selbst fahren oder besitzen müssen oder wollen. Eine Generation, die in einer Welt des Sharings und des Streamens aufwächst, in einer Welt, in der der Besitz von Dingen nicht mehr wichtig ist. Darauf muss sich die Industrie einstellen – und sinnvolle Lösungen anbieten, auch wenn diese nicht gleich am ersten Tag Gewinn abwerfen.

Fazit

Einer der wichtigsten Treiber der Mobilitätswende soll der Elektromotor werden – doch schon mit Blick auf die Ladeinfrastruktur verläuft der Prozess zäh. Staat und Industrie sollten parallel Angebote wie das Car- oder Ridesharing fördern und damit der Individualmobilität etwas entgegensetzen. Denn Tauschen und Teilen wird bei der jungen Generation einen weitaus höheren Stellenwert einnehmen.

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Von Constantin M. Gall

Managing Partner Strategy and Transactions & Leiter Mobility | Deutschland, Schweiz, Österreich

Constantin M. Gall blickt auf über 14 Jahre Erfahrung in der Strategy and Transactions und Automobilbranche zurück. Er selbst ist ein Autoenthusiast, der gerne mit Familie und Freunden reist.