9 Minuten Lesezeit 4 März 2019
Aufladen von Elektroautos

Warum der Lebenszyklus von Batterien wichtiger ist als die Laufzeit

Autoren
John Simlett

EY Global Future of Mobility Leader

All things mobility. Innovative thinker. Entrepreneurial mindset. Strategic partner and consultant for the auto and transport industries.

Thierry Mortier

EY Global Innovation Lead for Power & Utilities

Innovative and creative leader. Curious accelerator and visionary. Technology enthusiast interested in agile, blockchain, artificial intelligence, mixed reality, Internet of Things, market and trends.

Co-Autoren
9 Minuten Lesezeit 4 März 2019

Mit einer anderen Sicht auf die Batterien von E-Autos eröffnen sich große Chancen für neue Geschäftsmodelle.

Genau wie Batterien in Zahnbürsten, Kameras oder Handys halten die von elektrischen Fahrzeugen (Electric Vehicles, EV) nicht ewig. Nach einigen Tausend Ladezyklen reicht die Leistung eines typischen Lithium-Ionen-Batterien für den Antrieb des E-Fahrzeugs nicht mehr aus: Er muss gegen einen neuen ausgetauscht werden.

Doch das muss nicht das Ende für die Batterie bedeuten. In den richten Systemen und Märkten können die ausrangierten Batterien eine zweite, dritte oder gar vierte Anwendung in einem weniger anspruchsvollen Bereich finden. Schon heute setzen zum Beispiel Sendemastbetreiber und Versorgungsunternehmen auf sogenannte „Second Life Batterien“, um ihre Betriebskosten zu senken.

Mit einer weltweiten Absatzprognose für Elektrofahrzeuge von 11 Millionen bis 2025 wird die Frage, wie mit dem wachsenden Berg an Batterien umgegangen werden soll, dringend zu beantworten sein – sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht. Der Schlüssel zur Zukunft der E-Mobilität könnte womöglich im Battery Life Cycle Management liegen.

Frau joggt über Betontreppe
(Chapter breaker)
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Kapitel 1

Eine Hürde zur Chance machen

Batterien für E-Autos sind teuer. Doch die Wertschöpfungskette aus Nutzung, Wiederverwendung und Recycling bietet Umsatzpotenzial.

Batterien, die nicht mehr ihren ursprünglichen Zweck erfüllen, einfach wegzuwerfen, kann nicht der Sinn einer nachhaltigen Technologie sein. Batterien sind kostspielig, stecken voll knapper Rohstoffe und sind schwer umweltfreundlich zu entsorgen. Die Entsorgungsökonomie ist aktuell wenig attraktiv.

Das Battery Life Cycle Management bietet hier eine riesige Chance, um zu verhindern, dass die Batterien als teurer und giftiger Deponiemüll enden. Die optimale Nutzung der Möglichkeiten erfordert jedoch eine neue Ebene der Zusammenarbeit – nicht nur in den Bereichen Batteriefertigung, Autoindustrie, Betriebsstoffe, Metalle und Bergbau, sondern auch in F&E-Abteilungen und der Start-up-Community.

Es würde sich lohnen: Statt die Weiterentwicklung der E-Mobilität womöglich auszubremsen, steckt in Battery Life Cycle Management die große Chance, den Absatz von E-Autos in Zukunft zu beschleunigen und zu steigern.

Auch die Batterie ist ein Asset

Die Batterie ist ein wichtiges Asset und sollte auch als solches betrachtet werden – und nicht nur als Bauteil eines Fahrzeugs. Dieser Perspektivwechsel würde sicherstellen, dass die Batterie zu einer wichtigen, zusätzlichen Einnahmequelle entwickelt wird, die über Jahrzehnte sprudeln kann.

Ein Beispiel:

Neue Batterien kosten derzeit rund 200 US-Dollar pro nutzbarer kWh. Insgesamt machen sie mehr als 50 Prozent der Fahrzeugkosten aus. Alte Batterien, die aus E-Autos wiederverwendet werden, könnten die Kosten auf nur 49 US-Dollar pro nutzbare kWh senken.

Derart große Einsparungen lassen sich erreichen durch:

  1. ein Management der Batterien über ihren gesamten Lebenszyklus mit separaten Eigentums- und Tracking-Modellen für das Fahrzeug – möglicherweise mit Nutzung von Blockchain und Smart Contracting
  2. den Aufbau eines Marktes für das einfache Überführen der Batterie in wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsalternativen, einschließlich der Speicherung von Wind- und Solarenergie, Netzstabilisierung, Notstromversorgung und sogar des Aufladens von E-Autos
  3. die Einführung neuer Geschäftsmodelle wie „Storage on Demand“ und „Storage as a Service“, die es aufstrebenden Energieunternehmen ermöglichen würden, neue Einnahmequellen zu generieren, ohne in den Vermögensaufbau investieren zu müssen

So könnten Autohersteller neue kommerzielle Möglichkeiten erschließen, die sich aus der Wiederverwendung von Batterien ergeben. Ihr Barwert ließe sich dazu nutzen, die Anschaffungskosten für ein E-Auto zu senken und damit die schnellere Verbreitung zu forcieren. Für Energieversorger, von denen einige bereits Unternehmen für die Zweitnutzung von Batterien aufbauen oder zukaufen, sind Elektrofahrzeuge nichts anderes als ein Speicher auf Rädern und ein möglicher Weg, die Rechnungen ihrer Kunden möglichst niedrig zu halten.

Im Zuge dieser Veränderung ist es notwendig, dass Automobilunternehmen, Energieversorger und die Metall- und Bergbauindustrie zusammenarbeiten, um gemeinsam einen wirtschaftlich tragfähigen Markt aufzubauen, auf dem sich der ökonomische Nutzen einer Batterie in ihrem Lebenszyklus voll ausschöpfen lässt. Um das zu erreichen, sollten sich die Branchen von traditionellen, linearen Wertschöpfungsketten verabschieden und sich stattdessen einem zirkulären Ökosystem-Modell zuwenden.

Die Wertschöpfungskette als Kreis

Die Wertschöpfungskette aus Nutzung, Wiederverwendung und Recycling von Batterien entspricht einem Kreislaufwirtschaftsmodell. Irgendwann sind verbrauchte Batterien tatsächlich verbraucht: Wenn sie sich selbst nicht mehr für einfache Speicheraufgaben eignen, werden sie recycelt, und ihre Rohkomponenten können erneut in den Prozess einfließen.

Eine zirkuläre Wertschöpfungskette ist weniger verschwenderisch, aber wesentlich komplizierter als eine herkömmliche lineare Kette. Denn alle Überlegungen zur Produktlebenszeit müssen von Anfang an einbezogen statt ignoriert oder als Problem eines anderen betrachtet zu werden.

Die Herausforderungen beim Recycling sind vielfältiger, weil die Komplexität rund um die Wiederverwendung von Batterien hauptsächlich aus dem Bedarf nach neuen wirtschaftlichen Partnerschaften und Geschäftsmodellen entsteht. 

Wanderer Berggipfel
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Kapitel 2

Ein Markt mit großem Potenzial und einigen Einschränkungen

Schwierig ist, dass einige Batterie-Typen nicht recycelt werden können. Doch das könnte sich bald ändern.

Obwohl Recycling riesige Chancen bietet, werden diese aktuell nicht ergriffen. Nur etwa 5 Prozent der Lithium-Ionen-Batterien werden derzeit recycelt. Laut Bloomberg NEF wird der Batterie-Müllberg im Jahr 2030 auf rund 11 Millionen Tonnen angewachsen sein.

Der Markt für Recycling birgt ein enormes Potenzial, wird aber durch mehrere Faktoren eingeschränkt: Nicht alle Batteriechemikalien sind für das Recycling gleichermaßen geeignet, außerdem wird eine Vielzahl verschiedener Chemikalien und Batteriepacktypen verwendet. Zudem ist der Prozess selbst sehr aufwendig und teuer: Beim Einschmelzen entsteht ein Mischprodukt, aus dem das wertvolle Lithium in speziellen Verfahren, die zusätzliche Kosten erzeugen, herausgelöst werden muss. Der Rohstoffwert beträgt ungefähr ein Drittel der Kosten – wirtschaftlich gesehen lohnt sich das Geschäft momentan also nicht.

Da die Versorgung mit recycelbaren Batterien von E-Autos wächst, steigt damit auch der wirtschaftliche Anreiz, viele der derzeit kostspieligen Schwierigkeiten beim Recycling zu überwinden. Schon jetzt arbeiten Start-ups und Prozess-Innovatoren an stark verbesserten Recycling-Technologien, die eine Rückgewinnungsrate von mehr als 90 Prozent für die Schlüsselmineralien Lithium und Kobalt versprechen.

Um jedoch möglichst effektiv und effizient zu sein, wird die Standardisierung der Batterietypen auf Branchenebene erforderlich sein. Und die Batterien sollten von Beginn an auf Recycling ausgelegt sein.

Regulierung könnte den Markt mitgestalten

Geänderte Vorschriften tendieren dazu, die Verantwortung für den Umgang mit Alt-Batterien auf die Autohersteller zu übertragen. Derartige Regularien gelten bereits in China, der EU und einigen US-Bundesstaaten wie Kalifornien, Minnesota und New York.

Das US-Bundesrecht schreibt indes nur das Recycling von Nickel-Cadmium- und Bleisäure-Batterien vor. Nur einige US-Bundesstaaten haben Entsorgungsvorschriften für Lithium-Ionen-Batterien. Europäische Vorschriften verpflichten die Hersteller von Batteriezellen (einschließlich der Automobilhersteller), die Kosten für die Sammlung, Behandlung und das Recycling aller gesammelten Batterien zu übernehmen. China hat ebenso Übergangsvorschriften erlassen, nach denen die Automobilhersteller für die Rückgewinnung und das Recycling von Batterien verantwortlich sind.

Was zu erwarten ist

Es sollte deutlich geworden sein, dass kein auch noch so großer Einzelspieler über alle Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen kann, die es für das Battery Life Cycle Management braucht.

Deshalb arbeiten bereits mehrere Initiativen an Antworten darauf, wie man vorgehen sollte, was zu erwarten ist – und wie die Ergebnisse und neuen Geschäftsmodelle aussehen könnten.

Die Automobilhersteller prüfen verschiedene Ansätze, um die Chancen der entstehenden Wertschöpfungskette zu nutzen. Diese Ansätze reichen vom Aufbau eigener Energieunternehmen bis zur Entwicklung eines dreistufigen Kreislaufwirtschaftsmodells für ihre Batterie, in dem Partnerschaften die Wiederverwendung und das Recycling regeln.

Zudem formieren sich Start-ups, die hinsichtlich des Battery Life Cycle Management mit Autoherstellern zusammenarbeiten und die Batterie über seine Lebensdauer in ihrem Auftrag managen. Dabei fließen Aspekte wie Reparatur, Wiederverwendung, Recycling und logistische Rahmenbedingungen ein.

Dies zeigt anschaulich, wie vielfältig die Ansätze und Partnerschaften sind. Und es unterstreicht die Bedeutung einer kollaborativen Denkweise, mit der sich Battery Life Cycle Management überhaupt erst realisieren lässt.

Unternehmen sollten geeignete Geschäftspartner finden und entwickeln – ganz gleich, ob es sich dabei um kleine, innovative Start-ups oder große Konzerne handelt. Und sie sollten nicht vergessen, in die Zukunft zu investieren – durch die Zusammenarbeit mit branchenübergreifenden Industrien und akademischen F&E-Kooperationen.

Mehrere Autohersteller auf der ganzen Welt haben Vereinbarungen getroffen, über die alte Batterien vielfältig wieder verwendet werden – zum Beispiel als Speicher für erneuerbare Energien, zur Netzstabilisierung und Notstromversorgung und zum Aufladen von E-Autos.

Andere arbeiten mit Recyclingunternehmen zusammen, wiederum andere schließen langfristige Lieferverträge ab, um entweder den Nachschub an Batterien oder die Versorgung mit Rohstoffen sicherzustellen.

Obwohl es noch zu früh ist, um von einem weitverbreiteten Battery Life Cycle Management in der Industrie zu sprechen, wird die Zahl dieser Initiativen nur noch zunehmen. Sie werden stärker integriert und skalierbar sein, wenn sich neue Märkte und Akteure entwickeln. 

Rettungsschwimmer Kajak Ironman Rennen
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Kapitel 3

Speerspitze im Battery Life Cycle Management

Durch Partnerschaften und neue Geschäftsmodelle können Autohersteller einen Mehrwert für Kunden schaffen und sich vom Wettbewerb abheben.

Um alle Vorteile des Battery Life Cycle Managements zu nutzen, sollte die Branche drei entscheidende Faktoren berücksichtigen.

  1. Allianzen als Schlüssel. Autohersteller sollten mit einer Vielzahl von Branchen zusammenarbeiten – vom Batterie-Hersteller über den Wiederverwerter (z. B. Versorgungsunternehmen und Smart-Power-Start-ups) bis zum Recyclingunternehmen und Technologie-Anbieter. So kann der gesamte Prozess kontrolliert, aufgezeichnet und abgestimmt werden. Um diese Allianzen zu identifizieren und umzusetzen, braucht es neue Fähigkeiten und ein offeneres Mindset. Denn in einer kreisförmigen Wertschöpfungskette steht niemand ganz oben und niemand ganz unten.  
  2. Neue Geschäftsmodelle. Der Trend zur Entkopplung der Besitzverhältnisse von E-Auto und Batterie sollte sich beschleunigen. Es braucht flexiblere und mehrstufige Leasingverträge – nicht nur für die Erstanwendung, sondern auch für den zweiten, dritten und vierten Produktlebensabschnitt. Dazu sind neue Management- und Informationssysteme erforderlich, die das Tracking der Batterie, inklusive Lade-Historie, Eigentumsverhältnisse und damit verbundene Transaktionen, übernehmen. Hierfür sind Blockchain-Plattformen und Smart Contracting einsetzbar.
  3. Mehrwert für den Kunden. Die Einnahmen aus der Wiederverwendung und dem Recycling von alten Batterien sollten eingepreist und in einen Mehrwert für neue EV-Kunden übersetzt werden. Durch die Reduzierung der Anschaffungskosten werden E-Autos erschwinglicher, was wiederum das Verbrauchervertrauen und den Umsatz erhöht. 

In der Entwicklung eines Marktes für gebrauchte Batterien liegen viele Chancen, wie Branchenteilnehmer neue Assets generieren, wertvolle Einnahmequellen erschließen und die Versorgung mit Rohstoffen sicherstellen können. Letztendlich wird so auch die Verbreitung von E-Autos vorangetrieben. Ein solcher Markt ist ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit der E-Mobilität und wird sich zum wesentlichen Wettbewerbsvorteil entwickeln. Die Grenze verläuft dann zwischen denen, die diesen Markt voranbringen und jenen, die nur zuschauen.

Fazit

In der Entwicklung eines Marktes für gebrauchte Batterien liegen viele Chancen, wie Branchenteilnehmer neue Assets generieren, wertvolle Einnahmequellen erschließen und die Versorgung mit Rohstoffen sicherstellen können. Letztendlich wird so auch die Verbreitung von E-Autos vorangetrieben. Ein solcher Markt ist ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit der E-Mobilität und wird sich zum wesentlichen Wettbewerbsvorteil entwickeln. Die Grenze verläuft dann zwischen denen, die diesen Markt voranbringen und jenen, die nur zuschauen.  

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