8 Minuten Lesezeit 15 Juni 2018
Ein lächelnder Mann zahlt am Strand mit Smartphone.

Wie globale Initiativen und andere Trends den Zahlungsverkehr modernisieren

Von Hamish Thomas

EY EMEIA Payments Leader and UK Advisory Banking Technology Leader

Transformation leader in payments and open banking. Passionate about technology’s potential to create opportunity and manage risk. Optimistic runner. Film enthusiast.

8 Minuten Lesezeit 15 Juni 2018

Die Zahlungsverkehrsbranche verändert sich grundlegend. Überholte Strukturen werden durch neue Standards ersetzt, die in der Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden entstehen.

Bisherige Zahlungsdienstleister verlieren zunehmend an Bedeutung. An ihre Stelle treten fortschrittliche Akteure mit innovativen Angeboten, die die Zahlungsabwicklung für Kunden um neue Funktionen bereichern. Die Verbrauchererwartungen verschieben sich grundlegend.

Bislang ist die Zahlungsinfrastruktur häufig jedoch nicht flexibel und fortschrittlich genug, um die Vorteile der neuen Technologien voll auszuschöpfen. In Ländern mit hoch entwickelten Finanzsystemen sind die Zahlungsverkehrsstrukturen aufgrund ihrer schrittweisen Entwicklung mittlerweile komplex, ineffizient und unflexibel. Ländern mit weniger entwickelten Finanzsystemen fehlt es dagegen an Strukturen, die die Ansprüche der Verbraucher erfüllen können. In diesen Ländern gibt es darüber hinaus eine große Zahl an Verbrauchern, die bislang gar keine Bankendienstleistungen nutzen. Auch gibt es viele Neukunden, die von Zahlungssystemen ausgeschlossen sind oder nur begrenzt Zugang zu diesen haben.

Aufsichtsbehörden und andere Akteure der Zahlungsverkehrsbranche haben sich daher zum Ziel gesetzt, einen strategischen Wandel einzuleiten:

  • Von der Branche initiierte Veränderungen: Seit einigen Jahren ist eine beispiellose Zusammenarbeit in der Zahlungsverkehrsbranche zu beobachten. Banken und andere Zahlungsdienstleister haben erkannt, dass sie den Wandel mitgestalten müssen, wenn sie am Markt bestehen wollen.
  • Aufsichtsbehördliche Veränderungen: In einigen Ländern haben Gesetzgeber und Regulierungsbehörden eine Führungsrolle im Modernisierungsprozess übernommen. Sie schaffen neue regulatorische Rahmenbedingungen oder leiten und koordinieren branchenseitige Initiativen.
  • Innovation auf Unternehmensebene: FinTech-Unternehmen und andere Disruptoren setzen neue Standards im Zahlungsverkehr.
Hongkong Luftaufnahme
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Kapitel 1

Zahlreiche Regionen bereiten sich auf den Wandel im Zahlungsverkehr vor.

Erfahren Sie, wo Großbritannien, Australien, Kanada, Singapur, Hongkong und Europa derzeit stehen.

Großbritannien

Im Gegensatz zu anderen Ländern konzentriert Großbritannien seine Strategie nicht allein auf neue Zahlungsinfrastrukturen. Es gibt parallele Vorhaben, deren Ziel es ist, durch gemeinsame Anstrengungen die Finanzkriminalität zu bekämpfen und für mehr Vertrauen in die Zahlungssysteme zu sorgen.

2017 veröffentlichte das Payments Strategy Forum, das 2015 von der britischen Aufsichtsbehörde für den Zahlungsverkehr (PSR) ins Leben gerufen wurde, eine Blaupause für die Zukunft des Zahlungsverkehrs in Großbritannien. Der Entwurf sieht eine Architektur aus mehreren Ebenen mit einer schlanken Kooperationsinfrastruktur vor, um Wettbewerb und Innovation zu fördern. Die Übernahme internationaler Standards (u. a. ISO 20022) ist ebenfalls Bestandteil des Plans. Ende des Jahres wurden die vom Forum vorgeschlagenen Initiativen an den britischen Zahlungssystembetreiber New Payments System Operator (NPSO) und den Branchenverband UK Finance übergeben, die die Vorhaben nun weiterverfolgen.

Australien

An dem im Jahr 2013 initiierten Programm New Payments Platform (NPP) beteiligen sich 13 Finanzinstitutionen. Ihr Ziel ist, eine maßgebliche Zahlungsverkehrsinfrastruktur zu entwickeln, die den Bedürfnissen moderner Verbraucher gerecht wird.

Die NNP ist derzeit mit der Umsetzung verschiedener Maßnahmen beschäftigt: So soll es ein Zahlungssystem mit Echtzeitfähigkeit geben, die Zahlungsarchitektur soll flexibler gestaltet und Zahlungsdaten sollen angereichert werden. Eine weitere Maßnahme ist die Umsetzung von PayID, einer Funktion, mit der Nutzer den Zahlungsempfänger über wiedererkennbare Informationen wie etwa eine Handynummer identifizieren können.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfolgt stufenweise im Verlauf des Jahres 2018. Echtzeitbezahlsysteme sollen dabei unter den ersten Funktionen sein. Je mehr Banken und Zahlungsdienstleister diese Methode übernehmen, desto mehr Verbraucher wird die Plattform erreichen.

Kanada

Kanada wird im Zusammenhang mit Zahlungsdiensten häufig als führend bezeichnet. Wie viele andere Länder und Regionen mit entwickelter Zahlungsinfrastruktur auch arbeitet Kanada jedoch immer noch mit Altsystemen, die mittlerweile überholt sind. Als Reaktion darauf hat der kanadische Zahlungsverkehrsverband, die Canadian Payments Association (CPA), nun Pläne für die Modernisierung der Zahlungsverkehrsbranche des Landes vorgelegt.

Bis zum Jahr 2020 soll die Modernisierungsstrategie in mehreren Schritten umgesetzt werden. Sie besteht aus fünf Säulen:

  • Neues zentrales Clearing- und Abrechnungssystem
  • Zahlungsmodelle mit Echtzeitfähigkeit
  • Erweiterte automatisierte Überweisungsfunktionen
  • Anpassung des automatisierten Clearing- und Abrechnungssystems an globale regulatorische Bestimmungen
  • Modernisierung des Regelwerks

Singapur

Anders als in Großbritannien, Australien und Kanada zahlen die Menschen in Singapur mehrheitlich noch in bar. Vor diesem Hintergrund fördert die Geldbehörde des Stadtstaates, die Monetary Authority of Singapore (MAS), die Verbreitung ihrer Fast and Secure Transfers (FAST) -Plattform zur Abwicklung von Zahlungen in Echtzeit. Sie ist der Kern von Smart Nation, einer Vision der Behörde.

Singapurs Smart Nation-Strategie für den Zahlungsverkehr ist Teil einer umfassenderen Initiative, mit der die Regierung Innovationen branchenübergreifend fördern und den Lebensstandard des Insel- und Stadtstaats steigern will. Neben einer Ausweitung von elektronischen Echtzeitzahlungssystemen soll das Vorhaben den Wettbewerb und die Kompatibilität fördern, Effizienz und Sicherheit verbessern sowie einen verbesserten Kundenservice standardisieren.

Hongkong

Im September 2017 hat die Geldbehörde Hongkongs, die Hong Kong Monetary Authority (HKMA), eine neue Ära des Smart-Banking eingeläutet. Dahinter steht die Vision einer effizienten, flexiblen und sicheren Zahlungsverkehrsbranche, die auf der Konvergenz von Bankenwesen und Technologien gründet.

Die erste Maßnahme des Plans umfasst ein Echtzeitzahlungssystem, das bis September 2018 im Rahmen des sogenannten Faster Payment System umgesetzt wurde. Im Anschluss daran sollen sechs weitere Programme Innovation und Wettbewerb fördern, den Ausbau des technologischen Know-hows ermöglichen und für weniger Reibung zwischen gesetzlichen Vorgaben und digitalen Angeboten sorgen.

Europa

Zahlungsverkehrsbranche des Kontinents. Zahlungsdienste müssen mehrere sich überschneidende und teilweise nebeneinander existierende Vorgaben einhalten, etwa die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Im Januar 2016 veröffentlichte die EU die weitreichendste Zahlungsverkehrsgesetzgebung der letzten Jahre – die zweite Payment Services Directive (PSD2). Ziel der Richtlinie ist, innovative Lösungen zur elektronischen Zahlungsabwicklung stärker zu fördern. Dies soll durch die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen (eines sogenannten Level Playing Field) für neue Marktteilnehmer erfolgen.

PSD2 sieht vor, dass Banken ihre Kundendaten mit Drittanbietern teilen. So soll ein Kräftegleichgewicht zwischen neuen Akteuren und etablierten Geldinstituten hergestellt werden. Als Folge verändert sich die Wettbewerbslandschaft, und die Verbraucher haben größere Wahlmöglichkeiten. Innovationen werden dabei der Erfolgsfaktor im Wettbewerb sein.

Die Frist für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) zur Umsetzung der PSD2-Richtlinien in nationales Recht ist im Januar 2018 abgelaufen. Bislang erfolgt die Umsetzung jedoch uneinheitlich. Obwohl diese EU-Richtlinien für einen einheitlichen, innovativen Zahlungsmarkt in Europa sorgen sollen, stellt die Tatsache, dass die EU und der EWR ein Verbund autonomer Staaten sind, nach wie vor eine Herausforderung dar.

Ein Asiate bezahlt mit Kreditkarte am Tablet-Terminal eines Food Trucks.
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Kapitel 2

Globale Trends: Wie sieht die Zukunft des Zahlungsverkehrs aus?

Unbegrenzte Zahlungsabwicklung in Echtzeit ist einer der führenden Trends in der globalen Zahlungsverkehrsbranche. Die Umsetzungsmöglichkeiten unterscheiden sich jedoch von Region zu Region.

Zahlungen in Echtzeit

Unbegrenzte Zahlungsabwicklung in Echtzeit ist einer der führenden Trends in der globalen Zahlungsverkehrsbranche, der den Endverbrauchern erhebliche Vorteile bringt. Die Länder sind jedoch unterschiedlich weit in der Umsetzung.

  • Großbritannien ist führend im Bereich Echtzeitzahlungen. Der Service ist großflächig und praktisch unbegrenzt verfügbar. Der britische Faster Payments Service steht beispielsweise für Beträge bis 250.000 Pfund 365 Tage im Jahr rund um die Uhr zur Verfügung.
  • Japan und Kanada haben bereits ebenfalls Möglichkeiten der Echtzeitzahlung geschaffen. Der Service fällt allerdings immer wieder aus. Beide Länder planen, Modelle zur unbegrenzten Echtzeitzahlung umzusetzen.
  • Hongkong verfügt derzeit über keine Kapazitäten zur Zahlungsabwicklung in Echtzeit.

Wettbewerb und Innovation fördern

Für Innovation ist Wettbewerb unverzichtbar. Allerdings gibt es in der Zahlungsverkehrsbranche hohe Markteintrittsbarrieren für neue Akteure. Diese Zugangsbeschränkungen unterscheiden sich je nach Rechtsprechung, beinhalten aber folgende Aspekte: Zugang zu Daten und Zugang zu Abwicklungs- und Clearing-Systemen sowie die Kosten und Herausforderungen, die entstehen, wenn sich Unternehmen in unterschiedlichen Standards und Systemen bewegen.

Der Abbau dieser Zugangsschranken und die Förderung des Wettbewerbs stehen im Zentrum der Vorhaben, die wir in diesem Artikel vorstellen. Einige Beispiele:

  • Großbritannien hat Programme entwickelt, die den direkten und indirekten Zugang zu Zahlungsdienstleistern im Nichtbankenbereich ermöglichen.
  • Japan und die Schweiz haben vor Kurzem für eine Reihe von Nichtbanken, darunter auch Zahlungsdienstleister, einen direkten Zugang zum Abrechnungssystem geschaffen.
  • Die Canadian Payments Association will sich verstärkt um die Optimierung indirekter Zugänge und Schnittstellen über bestehende Akteure kümmern.

Kompatibilität

Die Länder haben in der Vergangenheit jeweils ihre eigene, isolierte Zahlungsinfrastruktur geschaffen, was eine Kompatibilität der Systeme erschwert. Mit dem Ergebnis, dass internationale Zahlungen zu langsam, zu ineffizient, zu wenig transparent und zu teuer sind. Die internationale Zahlungsabwicklung stellt auch für Zahlungen im B2B-Bereich eine Schwierigkeit dar: Aufgrund fehlender Transparenz im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr sind ein tagesaktuelles Reporting und Liquiditätsmanagement nur begrenzt möglich.

Seit einigen Jahren besteht jedoch weitgehend Konsens darüber, dass es einer größeren globalen Vereinheitlichung bedarf, um Kooperation und Wettbewerb zu fördern. Nun soll die ISO-20022-Norm der neue Nachrichtenstandard für Echtzeitzahlungen werden. Die Norm wurde bereits in großem Maße angenommen, und zahlreiche weitere Länder planen ihre Einführung.

Auch die Distributed-Ledger- und Blockchain-Technologie wird zunehmend als Möglichkeit gesehen, Interoperabilität zu gewährleisten.

Angereicherte Daten und Nutzerkontrolle

In der Zahlungswelt von morgen wird es Verbrauchern möglich sein, ihren Transaktionen angereicherte Daten beizufügen. Dies kann eine Zeichenfolge, ein Link zu einer Webseite oder einem Dokument sein, aber auch – und das ist das ehrgeizigste Vorhaben – ein ganzes Dokument, das gemeinsam mit der Zahlung übermittelt wird.

Durch diese angereicherten Daten werden Zahlungsinformationen zu einem noch wertvolleren Datengut und ermöglichen Innovationen. So werden Nutzer beispielsweise zukünftig in der Lage sein, Zahlungen von anderen einzufordern, und die Schuldner erhalten Kontrolle darüber, wie und wann sie auf die Zahlungsaufforderung reagieren. Darüber hinaus werden angereicherte Daten zu einer verbesserten Abstimmungsfähigkeit führen.

Vereinfachte Zahlungsadressen

Bei Erneuerungen und Veränderungen im Zahlungsverkehr steht in der Regel der Nutzer im Mittelpunkt. Nutzer sprechen sich immer häufiger dafür aus, Zahlungen möglichst ohne banktypische Angaben abwickeln zu können. Es überrascht deshalb nicht, dass Kanada, Australien und Indien derzeit daran arbeiten, klassische Identifikationsangaben wie Bankleitzahl und Kontonummer durch benutzerfreundlichere zu ersetzen. Dies kann zum Beispiel eine Handynummer sein – ein Verfahren, das bereits häufig eingesetzt wird.

Die zentrale Zahlungsbehörde Indiens, die National Payments Corporation of India, hat sogar bereits die Notwendigkeit des Bankkontos abgeschafft. In dem neuen Zahlungsökosystem, das gerade eingeführt wird, können Kunden verschiedene virtuelle Adressen über ein sogenanntes Unified Payments Interface (UPI) nutzen. Dadurch können sie Zahlungen veranlassen und empfangen, indem sie einfach ihre Personalausweisnummer, Handynummer oder eine Identifikationsnummer angeben, die sie von ihrem Zahlungsdienstleister oder einer anderen Adresse erhalten haben.

Was noch wichtiger ist: Das System erlaubt es Nutzern, Geldbeträge zu überweisen oder zu empfangen, ohne dass dabei eine Bank im Spiel ist. Seit ihrer Einführung im Jahr 2010 haben mobile Zahlungen an Beliebtheit gewonnen, sodass mittlerweile auch mehr als 76 Banken diesen Service anbieten.

Flexible Architektur

Die in diesem Artikel vorgestellten Strategien und Programme verlangen nach einer skalierbaren, flexiblen Architektur, die agil genug ist, auch den Anforderungen von morgen gerecht zu werden. Australien und Großbritannien arbeiten deshalb derzeit daran, ein Zahlungssystem mit mehreren Ebenen zu konzipieren.

Jede Ebene in dieser Architektur kann von den anderen abgetrennt werden, wodurch einzelne Änderungen am System möglich sind, ohne dadurch die anderen Teile zu beeinträchtigen. So erfolgt zum Beispiel der tatsächliche Geldtransfer auf einer anderen Ebene als ein Overlay-Service. Diese Overlay-Services erlauben es den Zahlungsdiensten, spezielle Angebote zu schaffen, ohne die zugrunde liegende Botschaft zu verändern.

Fazit

Bestehende Zahlungsdienstleister werden in der Branche nach wie vor eine Rolle spielen, wenn es ihnen gelingt, mit dem Wandel Schritt zu halten und zu verstehen, wie die großen Trends ihre Geschäfte und Kunden verändern. Sie sind also aufgefordert, anpassungsfähiger, innovativer und technologisch versierter zu werden, um auch im zukünftigen Wettbewerbsumfeld erfolgreich zu sein.

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Von Hamish Thomas

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