Neues Konsumverhalten: Erlebnis, Werte und Verantwortung

Wir befinden uns in einer Zeit des schnellen Wandels, was nicht zuletzt an den sich veränderten Kundenbedürfnissen abzulesen ist.


Überblick

  • Heute definieren nicht die Marken die Verbraucher:innen, sondern Konsument:innen erhalten mehr und mehr Macht über Marken.
  • Konsument:innen wollen ihre Werte in ihren Kauf- und Konsumentscheidungen zum Ausdruck bringen und ziehen Marken, die dagegensprechen, nicht in Betracht.
  • Zukünftig wollen Konsument:innen zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung genaue Einblicke in die Auswirkungen des Konsums haben.

Gleichzeitig breitet sich das weltweite Phänomen der „großen Resignation“ aus – Menschen überdenken und trennen sich von ihren vorpandemischen Lebenszielen und (Konsum-)Verhalten. Die erfolgreichen Produkte und Dienstleistungen der Zukunft gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht, sie beeinflussen aber heute schon die Entscheidungen für oder gegen eine Marke. Konsument:innen erwarten sich mehr Transparenz, Personalisierung und Konnektivität, als heute tatsächlich möglich ist. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu sein, sollten sich Unternehmen stärker mit den Bedürfnissen der Konsument:innen auseinandersetzen und ihr Unternehmen entsprechend ausrichten.

Ein weiterer Einflussfaktor ist die Erwartungshaltung der Konsument:innen an ihre Zukunft. Bereits vor dem Ukraine-Krieg blickten sie nicht sehr optimistisch in die Zukunft, die jüngsten Entwicklungen haben diesen negativen Trend weiter beschleunigt. Darüber hinaus zeigt der EY Future Consumer Index 2022, dass die Sorge nicht mehr ausschließlich einkommensschwache Personen betrifft. Insgesamt geben 52 Prozent der Befragten an, dass es aufgrund der steigenden Kosten für Produkte und Dienstleistungen immer schwieriger wird, sich etwas zu leisten.

Diese Faktoren treiben die schnelle Veränderung des Konsumverhaltens voran. Die wichtigsten Veränderungen lassen sich in drei Perspektiven zusammenfassen:

Perspektive 1: Experience first - Das Erlebnis schafft Loyalität und steigert den Kundenwert

 

Aus der „Experience first“-Perspektive definieren nicht die Marken die Verbraucher:innen, sondern umgekehrt – es entsteht eine weitere Verlagerung der „Macht“ von Marken zu Konsument:innen und von älteren Generationen zu jungen. Die Produktzyklen passen sich in Echtzeit an hyperfluide Geschmacksveränderungen an, und die Verbraucher:innen werden durch die Verwendung von Basisdesigns zu Mitgestaltern.

 

In der frühen Phase der Pandemie hatte das Konsumsegment „Experience first“ noch den kleinsten Anteil, zeigt jedoch seither einen deutlichen Anstieg. Die Konsument:innen sind anspruchsvoller als je zuvor. 36 Prozent der Befragten des Future Consumer Index geben an, dass sie nur noch Geschäfte besuchen werden, die ihnen ein besonderes Erlebnis bieten. Daraus folgt, dass es für Marken schwieriger ist, die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen und vor allem zu halten. Statt einer Marke gegenüber loyal zu sein, wollen die Verbraucher:innen das Gefühl haben, Teil von etwas zu sein, das sie mit definiert und geschaffen haben.

 

Konsument:innen ist die Qualität der verbrachten Zeit wichtiger als verdientes Geld. Sie wollen eher Erlebnisse, statt einfach Produkte oder Services zu kaufen. 42 Prozent geben an, dass sie in der Kategorie „Experience first“ mehr ausgeben wollen. Im Einklang mit dem wachsenden Wunsch nach einfacher Flexibilität werden die attraktivsten Erlebnisse diejenigen sein, die leicht zugänglich sind und nur wenig Zeit in Anspruch nehmen. Das bedeutet, dass die Nachfrage nach digitalen Erlebnissen weiter steigt.

 

Dieses „superfluide“ Konsumverhalten nimmt zu und macht es schwieriger Konsumentenentscheidungen vorherzusagen, speziell wenn unzureichend Kundendaten vorhanden sind. 45 Prozent der Konsument:innen geben an, mehr im Moment zu leben und weniger in die Zukunft zu planen. Somit werden Käufe zwar überlegter, aber dafür kurzfristiger und müssen den individuellen Bedürfnissen entsprechen. Konsument:innen werden zukünftig Waren, Dienstleistungen und Erlebnisse in Mikro-Momenten kaufen: Sie entscheiden sich für einen Kauf, schließen die Transaktion ab und erhalten das, wofür sie bezahlt haben, in immer kürzer werdenden Zeitspannen. Oft werden sie nicht wissen, wer das Gekaufte tatsächlich liefert, und es ist ihnen auch egal; Technologien wie KI steuern und orchestrieren Auswahl und Lieferung.

 

Um in diesem Kontext einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, müssen Unternehmen in der Lage sein, die Nachfrage zu gestalten, indem sie ihr Angebot, den Zeitpunkt und den Preis ständig anpassen – für jede:n einzelne:n Verbraucher:in, in jedem Mikro-Moment. Alles, was diesen Prozess verlangsamt, ist eine unerwünschte Reibung, die konsumentenseitig nicht toleriert wird. In dieser Welt des aufsteigenden Konsums sind Marken, die eine Millisekunde hinter der Konkurrenz zurückbleiben, sofort irrelevant.

 

Ein Vorteil dieser sich ändernden Regeln des Handels ist jedoch, dass Marken freier experimentieren können, indem sie viele mögliche Kundenerlebnisse in Betracht ziehen und dann Daten und Analysen zur Entscheidungsfindung nutzen. Das Testen von Ansätzen und der Einsatz von Datenwissenschaft, um ein klares Verständnis der Kund:innen und ihrer wirklichen Interessen zu gewährleisten, ist die Grundlage für Innovation und authentische Kundenerlebnisse.

Perspektive 2: Value Driven - Das wertegetriebene Einkaufsverhalten

Aus der „Value Driven“-Perspektive geht es um (persönliche) Werte, die für Konsument:innen an Bedeutung gewinnen. Sie wollen diese Werte in all ihren Kauf- und Konsumentscheidungen zum Ausdruck bringen und werden Marken, die ihren Ansprüchen nicht genügen, nicht in Betracht ziehen.
Menschen sind nicht mehr bereit, Zeit oder Geld in Produkte oder Services zu investieren, die ihnen nicht den maximalen persönlichen Wert bieten. Der EY Future Consumer Index zeigt, dass 34 Prozent der Konsument:innen weniger Produkte als vor der Pandemie kaufen, weil sie diese nicht brauchen. 42 Prozent sagen, sie werden nur noch bei Marken einkaufen, die mit ihren Werten übereinstimmen.

Um erfolgreich zu sein, müssen Marken somit zukünftig ihre Werte und ihr Handeln an jenen Menschen ausrichten, die das größte mittelfristige Kaufpotenzial aufweisen und dem Unternehmenserfolg schaden können, wenn sie nicht gewonnen werden. Bei der Entscheidung der Konsument:innen, welche Marken sie kaufen, ob sie sich für eine Eigenmarke entscheiden oder das Produkt gar nicht kaufen, prüfen sie (bewusst oder unbewusst), ob ihre Anliegen und Prioritäten widergespiegelt werden. Sie schauen daher nicht nur auf das Produkt, sondern zunehmend auch auf das Unternehmen dahinter, inwieweit es Einfluss auf die Welt hat und dieser Einfluss mit den eigenen Werten übereinstimmt.

Erfolgreiche, kundenzentrierte Unternehmen haben dies erkannt und stellen den Zweck in den Mittelpunkt ihrer strategischen Präsentationen. Allerdings dürfen der Zweck bzw. die zugehörigen Werte nicht zu grob definiert sein. Gegenwärtig verankern Unternehmen häufig ihren Zweck in einer Reihe von Werten, denen die meisten Menschen zustimmen würden, wie z. B. sich mehr um die Umwelt zu kümmern. Zu breit gefasste Werte reduzieren das Potenzial, Kund:innen tatsächlich anzusprechen und zu binden, da sie austauschbar bleiben.

Konkret zeigt der EY Future Consumer Index, dass Menschen mehr Geld für eine Marke ausgeben, die sich für soziale Belange einsetzt, als für Marken, die dies nicht tun. Auch wenn es ein höheres Risiko birgt, zeigt der Markt vermehrt, dass die Orientierung an kulturellen Bewegungen ein wichtiger Eckpfeiler für den Aufbau von Kundenbindung und die Verbesserung des Kundenerlebnisses ist.

Unternehmen müssen daher das Risiko eingehen, sich von der Masse abzuheben, und somit die Möglichkeit schaffen, tiefe, dauerhafte und gewinnbringende Beziehungen zu knüpfen. Alles, was das Unternehmen tut, muss seinen Zweck zum Ausdruck bringen – und nicht nur spiegeln.

Perspektive 3: Responsible Action - Auswirkungen und Einfluss des Konsums komplett verstehen

Die intelligenten Verbraucher:innen der Zukunft werden wollen, dass die quantifizierbaren Folgen jeder Kaufentscheidung völlig transparent für sie sind. Aus der „Responsible Action“-Perspektive wollen Konsument:innen zum Zeitpunkt der Entscheidung genaue Einblicke in die Auswirkungen des Konsums haben – von den Auswirkungen auf ihre persönliche und geistige Gesundheit über ihr soziales und finanzielles Wohlergehen bis hin zu den Auswirkungen auf die Gemeinschaft, die Umwelt und die Weltbevölkerung.

Die Erfahrung mit der Pandemie hat die Menschen sehr viel widerstandsfähiger gegenüber Veränderungen und Unsicherheit gemacht. Sie wollen ihr Leben zunehmend aktiv steuern und nach ihren eigenen Bedürfnissen und Prioritäten gestalten, auch wenn die Welt immer neue Herausforderungen für sie bereithält. So geben 58 Prozent der Befragten des EY Future Consumer Index 2022 an, dass sie das Gefühl haben, ihr Leben selbst in der Hand zu haben, und dass sie dieses Gefühl sowohl schützen als auch ausbauen und nicht mehr nur auf Ereignisse reagieren wollen.

Verbraucherorientierte Unternehmen können heute neue Wege der Wertschöpfung schaffen, indem sie diesen Wandel von allgemeinen Markenversprechen hin zu messbaren, personalisierten Ergebnissen antizipieren. Dadurch werden diese Unternehmen den Kundenerwartungen nach einem hohen Maß an Kontrolle, individueller Anpassung und Service gerecht.

Erlebnis, Werte und Auswirkungen als Schlüsselparameter

Erfolgreiche Unternehmen müssen lernen, sich in allen drei Perspektiven zu bewegen, um den neuen, sich veränderten, immer komplexer werdenden Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Der Aufbau eines kundenzentrierten Unternehmens (Aufbau, Kultur, Struktur) ermöglicht es, nachhaltig und rasch die notwendige Basis zu schaffen, um auf immer neue Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Das EY-Evolutionsmodell für kundenzentrierte Unternehmen definiert hierfür zwölf Schlüsselelemente, die als Bausteine für eine entsprechende Transformation eingesetzt werden.


Fazit

Durch eine kundenzentrierte Ausrichtung des gesamten Unternehmens werden stärker personalisierte Erlebnisse geschaffen, die in Echtzeit auf den individuellen Konsumentenbedarf angepasst werden. Sind die Auswirkungen und Implikationen des Konsums völlig transparent, so bietet dies einen klaren Wettbewerbsvorteil – und später wird es eine Mindestanforderung sein. Eine stärkere Ausrichtung des Erlebnisses und des Angebots an die individuellen Werte der Konsument:innen bietet einen strategischen Vorteil und schafft eine nachhaltige Bindung, solange das Unternehmen diese Werte durchgehend lebt.

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