6 Minuten Lesezeit 4 September 2019
Junge Geschäftsleute im Open space office

Warum die Trennung zwischen Geschäfts- und IT-Organisation vorüber ist

Von Marc Wennmann

Partner, Technology Consulting | Deutschland

Steigert leidenschaftlich die nachhaltige Leistungsfähigkeit von Unternehmen durch IT und der IT-Organisation. Familienvater, passionierter Sportler (Golf, Laufen, Taekwondo) und Coach.

6 Minuten Lesezeit 4 September 2019

IT verändert inzwischen Geschäftsmodelle. Die Bedeutung und der Umfang von zentralen IT-Organisationen werden gerade deswegen sinken.

Der Satz klingt wie eine Plattitüde, aber er beschreibt treffend die großen Umwälzungen und Folgen für jedes Unternehmen, jeden CIO und so gut wie jeden Mitarbeiter: Die Digitalisierung von nahezu allen Geschäftsmodellen schreitet weiter stark voran. Sie bietet großes Potential – und sie erhöht gleichzeitig den Veränderungsdruck enorm. Während Unternehmen zunehmend unter hoher Unsicherheit handeln, wird Innovationsführerschaft am Markt immer wichtiger.

Viele Unternehmen befinden sich auf diesem Weg bereits mitten in der Transformation: Neue Methoden wie Design Thinking, Agile und SCRUM sind aus dem Pilotierungsstatus längst herausgewachsen und die IT-Organisationen nehmen Kunden und Produkte deutlich stärker in den Fokus.

Um Unternehmen auf die strategischen Ziele auszurichten, müssen häufig Aufbau- und Ablauforganisationen angepasst werden. Die Schwerpunkte des Geschäfts und die daraus abgeleiteten Anforderungen der Stakeholder bestimmen deren genaue Ausprägung. Eine Blaupause für alle Unternehmen gibt es längst nicht mehr, in der heutigen Praxis existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Organisationsvarianten.

Die Prinzipien zur Gestaltung der IT-Organisation verändern sich. Es gibt nicht mehr „die“ Best-Practice-Organisation, die für alle gilt. 

Trotzdem dienen allgemeine Prinzipien und Organisationsformen als Start- und Referenzpunkt beim Organisationsdesign. EY unterscheidet hierbei die folgenden Kategorien:

IT-Organisationsprinzipien

  • Management von Operational Excellence

Sie war für lange Zeit das primäre und entscheidende Prinzip beim Design von IT-Organisationen. Basierend auf dem Grundgedanken von Shared Services werden alle zusammenhängenden IT-Aktivitäten in einer Organisationseinheit gebündelt, um große Skaleneffekte zu erzielen. Für die Geschäftsbereiche bedeutet dies, IT-Leistungen zwangsläufig über die unternehmenseigene zentrale IT Organisation zu beziehen. Darüber hinausgehende Effizienzziele führen dazu, dass Standard-IT-Leistungen an externe Dienstleister ausgelagert werden. Mancherorts bleiben IT-Experten in einzelnen Geschäftsbereichen – oft aber nur noch, um dort IT-Anforderungen zu planen und zu koordinieren.

  • Management von Innovationen

Mit Einzug der Digitalisierung in allen Industrien verlagert sich der Fokus auf die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle, die Förderungen von Kundenerlebnissen und die Optimierung interner Abläufe. Inzwischen fällt es schwer, Unternehmen und deren IT-Organisationen zu finden, die sich nicht mit agilen und produktzentrischen Methoden befassen, um Geschwindigkeit und Innovationsgrad zu erhöhen. Einige Organisationen befinden sich hierbei im Pilotstadium, andere sind diesem bereits entwachsen und skalieren die neuen Methoden unternehmensweit. Dabei werden häufig Methoden wie SAFe (Scaled Agile Framework)/LeSS (Large Scale Scrum) oder Scrum of Scrums verwendet.

  • Management im „VUCA“-Kontext

VUCA steht für „Volatility“, „Uncertainty“, „Complexity“ und „Ambiguity“ – auf Deutsch Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Unbestimmtheit. Hier geht es also um das richtige Agieren in komplexen und sich stark verändernden Umgebungen. Eine der maßgeblichen Strategien ist hierbei der Umbau stark hierarchisch gegliederter Organisationen in kleine, autonome und agile Einheiten, sogenannte „Squads“, die flexibler auf sich verändernde Anforderungen reagieren können. Diese Art der Organisationsentwicklung ist bereits Standard in technologie-basierten Start-ups und wird zunehmend auch in klassischen Industrieunternehmen adaptiert.

Bewertung des eigenen Status quo im IT-Transformationsprozess

An welcher Stelle der Transformation befindet sich nun ein Unternehmen und wie sieht die optimale Organisationsstruktur der IT aus? Eine Klassifizierung mit fünf Stufen hilft sowohl bei der Verortung als auch beim Ableiten notwendiger Maßnahmen.

Auf Stufe 0 stehen Unternehmen, die sich in stabilen Geschäftsmodellen bewegen und deren Hauptfokus auf betrieblicher Effizienz liegt. Vertriebskanäle, Produkte und Prozesse werden evolutionär entwickelt. Agile und dezentrale Entwicklung wären hier eher kontraproduktiv. Allerdings werden diese stabilen Geschäftsmodelle immer seltener, selbst in ehemals stark regulierten Industrien wie der Energieerzeugung und -versorgung verändern sich die Geschäftsmodelle. Neue Technologien wie Internet of Things (IoT) spielen eine wichtige Rolle, um zukünftig am Markt erfolgreich zu sein.

Unternehmen auf Stufe 1 testen agile und kundenzentrierte Methoden hauptsächlich in Piloten. Klassische Versuchsfelder sind die Einführung neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Big Data oder Internet of Things (IoT). IT-Organisationen auf dieser Stufe haben vor allem die Herausforderung, zahlreiche Projekte zu unterstützen, die von der Geschäftsseite angestoßen werden. Viele Projekte mit „Proofs of Concept“ (PoCs), „Minimal Viable Products“ (MVPs) oder „Speedboats” führen allerdings noch zu technologischen Insellösungen. Sie scheitern oft an der Integration in bestehende Produktivumgebungen oder an noch vorherrschenden „Wasserfallprozessen“ und „Releasekalendern“.

Auf Stufe 2 stehen Unternehmen, die vor allem versuchen, die Erkenntnisse aus den Piloten im Unternehmen zu skalieren. Scrum of Scrums, LeSS (Large Scale Scrum) oder SAFe (Scaled Agile Framework) sind hier populäre Prozess-Frameworks, die bei der Skalierung helfen. Unternehmen haben hier vor allem die Herausforderung, dass eine alleinige Prozesseinführung limitiert ist und bestehende Kulturen, Organisationen oder IT-Architekturen ebenfalls angepasst werden müssen.

Auf Stufe 3 haben Organisationen bereits einen starken Kunden- und Produktfokus. Die agile Zusammenarbeit zwischen Geschäfts- und IT-Seite wird über virtuelle Projekt- und Produktorganisationen verwirklicht. Teilweise verstärken Kompetenzzentren die Fähigkeit, Innovationen mit neuen Methoden und Technologien zu entwickeln.

Dabei erleben die IT-Organisationen den kontinuierlichen Konflikt, die richtige Balance zwischen Innovation und Effizienz bei steigender Nachfrage und geschäftskritischeren Anforderungen zu finden. Kann die IT-Organisation hier nicht liefern, entsteht in den Geschäftsbereichen häufig eine lokale Schatten-IT oder externe Anbieter werden von den Fachbereichen direkt beauftragt.

Stufe 4: Droht das eigene Geschäftsmodell wegzubrechen, besteht Handlungsdruck, und schnelle Anpassungsfähigkeit sowie Innovationsführerschaft sind führende Prinzipien der Organisationsentwicklung. Als Resultat werden geschäftskritische IT-Fähigkeiten in die Geschäftsbereiche integriert und aufgebaut. Nicht-kritische Fähigkeiten werden weiter standardisiert und ausgelagert. Hoheitlich verbleibt lediglich eine zentrale IT-Governance für IT-Architekturrichtlinien.

Auf Stufe 5 sind Unternehmen produktorientiert organisiert und integrieren alle notwendigen wertschöpfenden Fähigkeiten in entsprechenden autonomen Produkteinheiten mit eigener Geschäftsverantwortung. Notwendige IT-Fähigkeiten werden dynamisch nach Bedarf zusammengestellt und nicht in klassischen Strukturen organisiert.

Was müssen Unternehmen bei einer Transformation der IT berücksichtigen?

Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus EY-Projekterfahrungen ableiten:

  1. Eine Trennung zwischen agiler und „Wasserfall-IT“ (bi-modal) oder die dogmatische Anwendung agiler Prinzipien zur Umsetzung aller Anforderungen sind nicht immer das Allheilmittel. Vielmehr müssen der Unternehmenskontext, die Kultur und die Art der Anforderungen berücksichtigt werden.
  2. Ab der genannten dritten Transformationsstufe betreffen die Veränderungen mehrere Unternehmensteile. Ein maßgeblicher Erfolgsfaktor ist die holistische Betrachtung von notwendigen Veränderungen auf Geschäfts- und IT-Seite.
  3. Innovation und Umgang mit Unsicherheit erfordern in Unternehmen einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Veränderungsprozess. Wer Mitarbeiter direkt beim Formulieren von Zielen einbindet, wird besonders erfolgreich sein.
  4. Zwischen Strategie, Organisation, Governance, Prozesse, IT-Architektur und Mitarbeiterfähigkeiten bestehen vielfältige Zusammenhänge. Diese sind in IT-Transformationen integriert zu berücksichtigen und zu entwickeln.


Es gibt nicht die eine Blaupause, um IT zu organisieren. Aber wenn Disruption zur Norm wird, werden starre funktionale Aufbauorganisationen ihren Wert verlieren und durch agile Strukturen mit virtuellen Teams abgelöst.

Fazit

Lange Zeit haben IT-Organisationen und CIOs mit sich und ihrem Stellenwert im Unternehmen gehadert. Mit Einzug neuer Technologien ist IT aber inzwischen dem Maschinenraum entwachsen und findet sich in nahezu allen Unternehmensteilen wieder. Damit gehen allerdings neue Herausforderungen für die CIOs einher. Die Nachfrage nach neuen IT-Fähigkeiten wächst beständig. Geschäftsbereiche haben immer vielfältigere Anforderungen, darunter mehr Agilität, höhere Kundenorientierung und eine produktorientierte Entwicklung.  Die betriebliche Effizienz als führendes Organisationsprinzip im Unternehmen tritt dadurch zunehmend in den Hintergrund. Um der zunehmenden Disruption nahezu aller Geschäftsmodelle zu begegnen, werden die klassischen Grenzen zwischen IT- und Geschäftsorganisation verschwinden. 

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Von Marc Wennmann

Partner, Technology Consulting | Deutschland

Steigert leidenschaftlich die nachhaltige Leistungsfähigkeit von Unternehmen durch IT und der IT-Organisation. Familienvater, passionierter Sportler (Golf, Laufen, Taekwondo) und Coach.

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