Wann wird Ihr Markt superfluide? Fünf wichtige Fragen

Von EY Global

Multidisciplinary professional services organization

8 Minuten Lesezeit 27 März 2018

Da traditionelle Grenzen zwischen Branchen immer mehr abnehmen, werden alle Märkte superfluide. Doch welcher ist zuerst an der Reihe?

Unternehmen wirtschaften zwar in bestimmten Branchen, doch das wirkliche Unterscheidungsmerkmal sind die Qualität und Leichtigkeit, mit denen sie in Märkten agieren. Dies trifft unabhängig vom Austauschmechanismus oder Kundentypus zu und hängt auch nicht davon ab, ob das, was gekauft, verkauft oder gehandelt wird, aus Atomen oder Bits besteht.

Merkmale des superfluiden Marktes

Was bedeutet es, wenn wir sagen, dass Märkte superfluide werden? Ein superfluider Markt besitzt folgende Eigenschaften:

  1. Digitale Produkte und Dienstleistungen: Das Produkt- oder Dienstleistungsangebot ist digital oder wird durch digitale Werttreiber ergänzt.
  2. Digitale Infrastruktur: Die Infrastruktur als „Rohrleitung“ für den Wertaustausch zwischen Käufern und Verkäufern ist digital.
  3. Kaum Zwischenhändler: Der Markt kommt entweder ohne wertabschöpfende Zwischenhändler aus (der Austausch findet Peer-to-Peer oder direkt mit dem Kunden statt), oder es gibt digitale Mittelsmänner, die den Branchenteilnehmern erheblich nutzen (zum Beispiel durch Aggregation der Nachfrage).
  4. Superfluide Unternehmen: Unternehmen, die erfolgreich am Markt agieren, investieren in Technologien wie künstliche Intelligenz, Robotik, IoT, Datenanalyse, 3D-Druck und/oder Blockchain, um ihre Geschäftsaktivitäten mit Partnern, Zulieferern, Kunden und Stakeholdern erheblich zu optimieren.

Technologische Fortschritte senken kontinuierlich die Transaktionskosten und machen den Handel damit einfacher und günstiger. Einige Märkte befinden sich bereits im superfluiden Stadium oder stehen kurz davor. Andere sind noch weit davon entfernt. Die Entwicklungsgeschwindigkeit variiert je nach Markt und Branche.

Gibt es eine Möglichkeit, diese Geschwindigkeit zu messen? Die folgenden fünf Fragen sind eine Orientierungshilfe. Die ersten beiden beziehen sich auf die Leichtigkeit des Übergangs zur Superfluidität, während die letzten drei den Nutzen betreffen, der aus diesem Übergang gezogen werden kann.

Der digitale Vorsprung

1. Lässt sich das Produkt oder die Dienstleistung digitalisieren?

Auf die Frage, wie Märkte zum superfluiden Zustand übergehen, sagt Martin Rerak von Tokenly: „Wenn es bereits Flügel besitzt, wird auch das Fliegen leichter.“ Anders gesagt entwickeln sich Märkte, in denen das Produkt oder die Dienstleistung leicht ins digitale Format überführt werden kann, schnell zum superfluiden Zustand.

Wenn es bereits Flügel besitzt, wird auch das Fliegen leichter.
Martin Rerak
Chief Strategy Officer bei Tokenly

Mit dem Internet wurden in den Aktienmärkten Anteilsscheine auf Papier durch elektronische Anteile ersetzt. In der Musikbranche wurde die Aufnahme von Schallwellen auf ein Medium durch das digitale Sound Encoding ersetzt. Elektronische Versionen von Büchern wurden neben den Printausgaben verfügbar. Bei drei Beispielen wurde jeweils eine gesamte Branche durch neue Wettbewerber komplett verändert, die digitale Formate früh verwendeten und kapitalisierten. Kunden profitierten von einer besseren Verfügbarkeit, niedrigeren Preisen und mehr Auswahl.

Physische Waren lassen sich indes schwer in ein digitales Format überführen. Doch dank künstlicher Intelligenz, Sensortechnologie und dem Internet of Things (IoT) können sie durch digitale Werttreiber aufgewertet werden. Die Digitalisierung physischer Produkte könnte reichen von Arzneiflaschen, die von selbst Nachschub ordern, über Kleidungsstücke, die die passenden Accessoires empfehlen bis zu Triebwerken, die von selbst rechtzeitig Austauschbedarf melden. Traditionelle Handelsprinzipien beruhen auf einer eingebauten Produktüberalterung. Märkte werden superfluider, wenn Kunden Updates und Reparaturen direkt in das Produkt laden können, damit die Nutzungsdauer verlängern und sich so enger an die Hersteller binden.

2. Lässt sich die Markt-Infrastruktur digitalisieren?

Superfluide Märkte sind außerdem durch digitale Infrastrukturen geprägt, die die Marktentwicklung und die Abstimmung von Angebot und Nachfrage ermöglichen. Elektronische Börsen haben das Handelsparkett verdrängt. Digitale Musik-Streamingdienste haben Plattenläden in den Bankrott getrieben. Die Verfügbarkeit von E-Books hat im Zusammenspiel mit dem Online-Kauf den Vertriebskanal stationärer Buchläden dezimiert.

Damit ein Markt superfluide werden kann, müssen Unternehmen ihren eigenen Aufbau und Geschäftsprozesse digitalisieren und sich digital mit dem neuen Markt-Ökosystem vernetzen.

Die Transformation der Medienbranche ist ein gutes Beispiel. Supply-Side-Plattformen (SSPs) schufen neue Möglichkeiten der Beschaffungsaggregation und helfen Verlegern, Online-Werbung über Anzeigenbörsen und Netzwerke zu verkaufen. Demand-Side-Plattformen (DSPs) ermöglichen es den Anzeigenkunden, auf Online-Werbung in automatisierten Live-Auktionen zu bieten. Abseits dieser besseren Abstimmung von Angebot und Nachfrage investieren die Marktteilnehmer auch in Daten-Management-Plattformen (DMPs), um Daten zu Werbekampagnen und der First- und Third-Party-Audience zu verwalten.

Neuere Technologien – wie Deep Learning-basierte künstliche Intelligenz, Blockchain, virtuelle Realität und andere – werden diese Komplexität noch erhöhen.

Blockchain-basierte Lösungen entwickeln sich langsam zur wichtigsten Waffe im Kampf gegen Betrug in der digitalen Werbewelt. Jüngst wurde adChain gelauncht, eine Kollaboration von Ethereum und MetaX. Dieses Protokoll arbeitet über alle digitalen Werbekanäle hinweg und ermöglicht es Anzeigenkunden, Verlegern, SSPs, DSPs und anderen Marktteilnehmern, in einem betrugsfreien Ökosystem zu interagieren. 

Dies alles zeigt grundsätzlich, wie schwierig es für etablierte Marktteilnehmer ist, superfluide Lösungen zu integrieren. Unternehmen aller Art haben mit tief verankerten Geschäftsprozessen und ihren technologischen Altsystemen zu kämpfen.

Superfluidität wird zwar als reibungsloser zukünftiger Idealzustand dargestellt, doch er braucht die bestehende Infrastruktur, um zu funktionieren.
Ryan McManus
Senior Vice President von EVRYTHING

Ryan McManus von EVRYTHNG sagt, dass „die neuen Technologien, die zur Superfluidität beitragen, auf Daten und Inhalten beruhen, die bereits vor ihnen existiert haben. Und große Marktsegmente haben sich bereits auf eine bestimmte Technologie und Lösung, statt auf eine umfassende Geschäftsstrategie spezialisiert. Superfluidität wird zwar als reibungsloser zukünftiger Idealzustand dargestellt, doch er braucht die bestehende Infrastruktur, um zu funktionieren."

Bei einem kürzlich von EYQ initiierten Roundtable zu superfluiden Märkten wiesen die Teilnehmer darauf hin, dass Branchen mit geringerer digitaler Reife – wie beispielsweise das Gesundheitswesen, Bildung, Immobilien, Bergbau, Öl & Gas und Bauwesen – es schwerer haben werden, die superfluiden Spitzenreiter einzuholen. Doch letztendlich wird die Aussicht, Reibung aus den Märkten zu vertreiben, einfach unwiderstehlich sein.

Die Kosten der Viskosität

3. Sind die Transaktionskosten hoch?

In einigen Märkten sind die Transaktionskosten gering, während andere – viskose – Märkte hohe Transaktionskosten generieren. Der Auto- oder Hauskauf zieht höhere Transaktionskosten nach sich als der Kauf eines Fertigprodukts. Der Unterschied beruht dabei offensichtlich auch auf dem Wert des Produkts, das gekauft und verkauft wird. Doch es gibt auch Branchen, in denen hohe Transaktionskosten ein Erbe jahrelanger Ineffizienzen sind.

Märkte, in denen hohe Transaktionskosten aufgrund von Ineffizienzen zum Alltag gehören, haben umso mehr Grund, superfluide Lösungen zu suchen. Nehmen Sie zum Beispiel das Gesundheitswesen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass jede manuelle Transaktion die Leistungsanbieter und Kostenträger rund drei US-Dollar mehr kostet als eine elektronische Transaktion. Angesichts der Tatsache, dass jährlich mehr als drei Milliarden manuelle Transaktionen zwischen amerikanischen Krankenkassen und Leistungsträgern durchgeführt werden, könnte der Umstieg auf elektronische Transaktionen jährlich rund 9.4 Milliarden US-Dollar an direkten Kosten einsparen.

Die hohen Transaktionskosten im Gesundheitswesen veranlassen zahlreiche Start-ups dazu, superfluide Lösungen zu entwickeln. Wie intensiv das Gesundheitswesen nach Möglichkeiten zur Lösung seiner Problemfelder sucht, zeigt sich darin, dass digitale Gesundheitsinnovatoren 2016 weltweit rund
6.1 Milliarden US-Dollar an Beteiligungsfinanzierungen einwarben – im siebten Wachstumsjahr in Folge.

4. Wird der Markt durch teure Zwischenhändler bestimmt?

Digitale Innovatoren werden weiterhin Märkte aufbrechen, die über Zwischenhändler funktionieren und so die Transaktionskosten hochtreiben, ohne dass sie einen angemessenen Nutzen hätten.

Dazu gehört zum Beispiel das Maklerwesen, seit langem ein viskoser Markt. Immobilienmakler, Broker, Anwälte, Hypothekengeber, Prüfer, Gutachter, Rechtstitelversicherer und viele andere bilden ein teures Netz. Was wäre, wenn die Immobilienwirtschaft zu einem superfluiden, von wenigen Mittelsmännern bestimmten Markt werden könnte?

Velox.RE ist eines der vielen Start-ups, die die Immobilienwirtschaft über Peer-to-Peer Anwendungen auf Basis einer öffentlichen Blockchain revolutionieren wollen. Diese Technologie könnte dafür sorgen, dass „jedes Objekt auf der ganzen Welt eine korrespondierende digitale Adresse erhält, in der die Belegung, die Finanzen, die rechtlichen Rahmenbedingungen, der Gebäudebetrieb und die physischen Attribute fortwährend festgehalten, übermittelt und dokumentiert werden." … Die Transaktionsgeschwindigkeit könnte so von Tagen/Wochen/Monaten auf Minuten oder Sekunden sinken.“ Für den Anfang hat sich Cook County, Illinois, mit Velox zusammengetan und testet die Blockchain-basierte Übertragung von Grundbesitz.

Doch die Immobilienwirtschaft ist nur ein Markt, der für die Ausmerzung des Mittelsmanns offen ist. Blockchain Start-ups konzentrieren sich auf so unterschiedliche Industrien wie Energie, Musik, Ridesharing, Leasing und andere. In einigen Fällen, etwa beim Ridesharing, wurde der Mittelsmann bereits beseitigt und durch digitale Agenten ersetzt.

Die superfluiden Märkte der Zukunft kommen entweder ganz ohne Mittelsmann (Peer-to-Peer) oder nur mit wenigen Zwischenhändlern aus (wenn der digitale Agent oder Marktmacher einen signifikanten Wertzuwachs ermöglicht, statt einen unverhältnismäßigen Teil des Marktwerts abzuschöpfen). 

5. Sind Fehler teuer?

Auch Märkte, in denen durch Fehler verursachte Kosten besonders hoch sind, werden sich in Richtung Superfluidität bewegen. Fehler können finanzielle und reputationsbezogene Kosten verursachen.

So leiden etwa Diamantenschürfer und -händler unter finanziellen Verlusten durch Produktdiversifizierung und Fälschungen. Sie riskieren zudem einen Imageschaden, wenn Blutdiamanten in ihren Lieferketten auftauchen. Das Londoner Start-up Everledger, das ein weltweites digitales Register für Diamanten auf Blockchain-Basis betreibt, versucht, den Markt superfluider zu machen, indem es solche Fehler reduziert.

Fehler im Gesundheitswesen verursachen meist höhere finanzielle Kosten auf der Makroebene. Eine Schätzung von 2016 bezifferte die Kosten durch Behandlungsfehler auf 20.8 Milliarden US-Dollar jährlich. Auf der Mikroebene können „Transaktionsfehler“ Leben kosten. Eine 2016 in BMJ veröffentlichte Studie hielt fest, dass Behandlungsfehler jährlich die dritthäufigste Todesursache in den USA sind.

Fazit: Die Geschwindigkeit auf dem Weg zur Superfluidität einschätzen

Damit Märkte superfluide werden, bedarf es entsprechender Impulse. Dazu gehören die Möglichkeit und Fähigkeit zur Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen und zur Teilnahme an digitalen Ökosystemen, um die Bedürfnisse von Käufern und Verkäufern besser zu verstehen. Auch muss sich durch die Beseitigung von Ineffizienzen und typischen Kundenbarrieren ein erhebliches Ertragspotential ergeben. Wie würde Ihr Unternehmen diese fünf Fragen beantworten?

  1. Lässt sich das Produkt oder die Dienstleistung digitalisieren?
  2. Lässt sich die Markt-Infrastruktur digitalisieren?
  3. Sind die Transaktionskosten hoch?
  4. Wird der Markt durch teure Mittelsmänner bestimmt?
  5. Sind Fehler teuer?

Fazit

Digitale und finanzielle Chancen liefern den richtigen Anreiz, um superfluide Märkte zu erschaffen.

Über diesen Artikel

Von EY Global

Multidisciplinary professional services organization