10-Punkte-Plan für die Zukuft des österreichischen Start-up-Ökosystems
Noch nie haben Österreichs Start-ups so hohe Finanzierungen lukriert wie 2021 und sind damit stark in den öffentlichen Fokus gerückt. Allerdings bleiben die Kapitalspritzen im internationalen Vergleich klein und ausländische Investorengruppen geben den Ton an. Welche zehn Stellschrauben jetzt dringend gedreht werden sollten, um das Start-up-Ökosystem in Österreich zu unterstützen.
„Millioneninvestment für österreichisches Start-up“ – diese oder ähnliche Überschriften waren 2021 öfter zu lesen als je zuvor. Daher war es bereits im September soweit: Die Grenze von einer Milliarde Euro Risikokapital für das österreichische Start-up-Ökosystem ist geknackt – das sind schon jetzt mehr als vier Mal so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2020. Mit GoStudent und Bitpanda verfügt Österreich seit heuer sogar über zwei „Unicorns“ mit einer Unternehmensbewertung oberhalb der Milliardengrenze. Also alles eitel Wonne?
Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet die Entwicklung des heimischen Start-up-Ökoystems im Detail, gibt es auch Indikatoren, die die allgemeine Jubelstimmung trüben: Angetrieben durch das Niedrigzinsumfeld und die gut gefüllten Kassen von VCs surft das gesamte europäische Start-up Ökosystem auf einer Erfolgswelle – auch in Relation zu vergleichbaren Ländern hinsichtlich der Bevölkerungszahl wie Finnland oder Schweden bleiben die Finanzierungsrunden in Österreich klein. Bei den größeren Millionenrunden geben durchgehend ausländische Investoren – vor allem aus den USA und Asien – den Ton an. Damit steigt mit jeder großen Runde das Risiko, dass Intellectual Property abwandert. Dazu kommt, dass der Wachstumskurs heimische Start-ups früher oder später an andere Wirtschaftsstandorte führt – ein klares Zeichen dafür, dass die Rahmenbedingungen für Gründer:innen, Investor:innen und Start-up-Mitarbeiter:innen hierzulande wettbewerbsfähiger werden müssen. Mit diesem 10-Punkte-Plan kann das positive Momentum in einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für das heimische Ökosystem umgemünzt werden.
1. Den Scheinwerfer auf die Wertschöpfung von Start-ups lenken
Innovationstreiber, Disruptor, Ideengeber – viel zu oft wird die Rolle von Start-ups auf diese – natürlich richtigen und wichtigen – Faktoren reduziert. Dass Start-ups viel mehr sind und leisten als die Rolle einer „Trophy Company“, die man quasi als ökonomischem Aufputz gerne zu öffentlichen Anlässen mitnimmt, bleibt dabei oft auf der Strecke. Dabei schaffen Start-ups überdurchschnittlich viele hochqualifizierte und gut bezahlte Stellen, ziehen internationale Top-Talente an, tätigen laufend Investitionen und bessern mit ihrer starken Exportorientierung – mehr als 90 Prozent der Start-ups machen laut Austrian Startup Monitor bereits Umsätze im Ausland – die Handelsbilanz auf. Um die eigene Stimme zu stärken, muss diese Wertschöpfung beziffert und greifbar gemacht werden.
2. Mehr Anreize für Risikokapitalinvestitionen setzen
Das ist der Evergreen und Spitzenreiter unter den Forderungen. Während sich Österreich auf der einen Seite durch eine auch international herausragende Frühphasen- und Anschubfinanzierung auszeichnet, wird es beim Wachstums- und Risikokapital schnell dünn. Die Folge ist eine Abhängigkeit von ausländischen Investor:innen, insbesondere aus den USA. Dementsprechend gilt auch bei den Deals der letzten Jahre: Je größer die Runde, desto weniger Österreich – und auch Europa, dazu mehr beim nächsten Punkt. Es braucht dringend Anreize für Risikokapitalinvestitionen privater und auch institutioneller Investorengruppen wie Pensionskassen und Versicherungen. Ansätze dafür wären die Errichtung eines Dachfonds – wie im Regierungsprogramm verankert –, die Einführung eines Beteiligungsfreibetrags oder die Vereinfachung der Verlustverrechnung. Damit könnte die aufgrund des Niedrigzinsumfelds anhaltende Lust auf alternative Investments bedient und gleichzeitig die Eigenkapitalausstattung heimischer Start-ups verbessert werden.
3. Das europäische Ökosystem stärken
Was das österreichische Start-up-Ökosystem für Europa ist, ist das europäische Start-up-Ökosystem im weltweiten Vergleich: Seit Jahren eine stabile positive Entwicklung, im internationalen Vergleich aber auf niedrigem Niveau. Während Investor:innen aus den USA und Asien auf großer Shopping-Tour durch Europa ziehen, stehen europäische Investorengruppen gerade bei großen Runden ab dem hohen zweistelligen Millionenbereich oft nur an der Seitenlinie. Bei den großen Runden über 100 Millionen Dollar kam 2020 bereits der Großteil des Kapitals aus Nordamerika, bei den ganz großen Runden sind Investor:innen aus Asien tonangebend. Intellektuelles Eigentum ist damit nicht mehr so eng an Europa gebunden und eine Abwanderung vorprogrammiert. Damit wächst mit jeder Runde die Gefahr eines Know-how-Ausverkaufs in Europa, insbesondere im Tech-Bereich. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, reichen Investitionskontrollen nicht aus. Es braucht unbedingt eine gemeinsame europäische Start-up-Strategie und gezielte Maßnahmen, um das Ökosystem zu stärken und Investitionen anzukurbeln. Kurz: Die bei den diesjährigen Digital Days der Europäischen Union formulierten Ambitionen hinsichtlich Start-ups müssen rasch mit Leben gefüllt werden.
4. Eine klare österreichische Start-up-Standortstrategie herausarbeiten
Damit österreichische Start-ups diese noch zu errichtende bzw. auszuschmückende europäische Start-up-Bühne bestmöglich nutzen können und noch größere Finanzierungsrunden abzuschließen, braucht es eine klar formulierte Strategie für den Start-up-Standort Österreich. Als Inspiration lohnt sich ein Blick in die vergleichbaren Ländern Schweden und Finnland, die sich einen ausgezeichneten Ruf als DeepTech-Start-up-Hubs erarbeitet haben. In beiden Fällen wurde eine Krisensituation – in Schweden eine Bankenkrise, in Finnland die Schieflage von Nokia als größtem Arbeitgeber – genutzt, um eine Standortstrategie zu verabschieden und mit gezielten Maßnahmen wie Förderung von gründer- und investorenfreundlichen Rahmenbedingungen, Investitionen in technologische Infrastruktur oder Modellen für die enge Zusammenarbeit von Unternehmen, Start-ups, Universitäten, Investor:innen und Gemeinden umzusetzen. Für Österreich könnte die Coronakrise der Auslöser für diesen Weg sein. Stärken gibt es genug: Österreich verfügt über sehr hohe Kompetenz in der Forschung, auch bei den wichtigsten Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Technologie / Digitalisierung braucht der Standort den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen. Die große Chance für den Standort liegt in der pointierten Verstärkung und Kombination dieser Faktoren. Wenn sich schon jetzt laut Austrian Startup Monitor drei Viertel der Start-ups als grün einstufen, erscheint die Ambition eines „Green-Innovation-Hubs Österreich“ gar nicht unrealistisch. Lohnenswert wäre sie jedenfalls.