3 Minuten Lesezeit 23 November 2021
Office meeting

Wie Österreichs Start-up-Ökosystem sein großes Potenzial entfalten kann

Von Florian Haas

Leiter Start-up-Ökosystem | Head of Brand, Marketing & Communications | Österreich

Baut Brücken zwischen wachsenden Start-ups und gewachsenen Unternehmen. Fördert die positive öffentliche Wahrnehmung von Gründung und Unternehmertum.

3 Minuten Lesezeit 23 November 2021

10-Punkte-Plan für die Zukuft des österreichischen Start-up-Ökosystems

Noch nie haben Österreichs Start-ups so hohe Finanzierungen lukriert wie 2021 und sind damit stark in den öffentlichen Fokus gerückt. Allerdings bleiben die Kapitalspritzen im internationalen Vergleich klein und ausländische Investorengruppen geben den Ton an. Welche zehn Stellschrauben jetzt dringend gedreht werden sollten, um das Start-up-Ökosystem in Österreich zu unterstützen.

„Millioneninvestment für österreichisches Start-up“ – diese oder ähnliche Überschriften waren 2021 öfter zu lesen als je zuvor. Daher war es bereits im September soweit: Die Grenze von einer Milliarde Euro Risikokapital für das österreichische Start-up-Ökosystem ist geknackt – das sind schon jetzt mehr als vier Mal so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2020. Mit GoStudent und Bitpanda verfügt Österreich seit heuer sogar über zwei „Unicorns“ mit einer Unternehmensbewertung oberhalb der Milliardengrenze. Also alles eitel Wonne?

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet die Entwicklung des heimischen Start-up-Ökoystems im Detail, gibt es auch Indikatoren, die die allgemeine Jubelstimmung trüben: Angetrieben durch das Niedrigzinsumfeld und die gut gefüllten Kassen von VCs surft das gesamte europäische Start-up Ökosystem auf einer Erfolgswelle – auch in Relation zu vergleichbaren Ländern hinsichtlich der Bevölkerungszahl wie Finnland oder Schweden bleiben die Finanzierungsrunden in Österreich klein.  Bei den größeren Millionenrunden geben durchgehend ausländische Investoren – vor allem aus den USA und Asien – den Ton an. Damit steigt mit jeder großen Runde das Risiko, dass Intellectual Property abwandert. Dazu kommt, dass der Wachstumskurs heimische Start-ups früher oder später an andere Wirtschaftsstandorte führt – ein klares Zeichen dafür, dass die Rahmenbedingungen für Gründer:innen, Investor:innen und Start-up-Mitarbeiter:innen hierzulande wettbewerbsfähiger werden müssen. Mit diesem 10-Punkte-Plan kann das positive Momentum in einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für das heimische Ökosystem umgemünzt werden

1.     Den Scheinwerfer auf die Wertschöpfung von Start-ups lenken

Innovationstreiber, Disruptor, Ideengeber – viel zu oft wird die Rolle von Start-ups auf diese – natürlich richtigen und wichtigen – Faktoren reduziert. Dass Start-ups viel mehr sind und leisten als die Rolle einer „Trophy Company“, die man quasi als ökonomischem Aufputz gerne zu öffentlichen Anlässen mitnimmt, bleibt dabei oft auf der Strecke. Dabei schaffen Start-ups überdurchschnittlich viele hochqualifizierte und gut bezahlte Stellen, ziehen internationale Top-Talente an, tätigen laufend Investitionen und bessern mit ihrer starken Exportorientierung – mehr als 90 Prozent der Start-ups machen laut Austrian Startup Monitor bereits Umsätze im Ausland – die Handelsbilanz auf. Um die eigene Stimme zu stärken, muss diese Wertschöpfung beziffert und greifbar gemacht werden.

2.     Mehr Anreize für Risikokapitalinvestitionen setzen

Das ist der Evergreen und Spitzenreiter unter den Forderungen. Während sich Österreich auf der einen Seite durch eine auch international herausragende Frühphasen- und Anschubfinanzierung auszeichnet, wird es beim Wachstums- und Risikokapital schnell dünn. Die Folge ist eine Abhängigkeit von ausländischen Investor:innen, insbesondere aus den USA. Dementsprechend gilt auch bei den Deals der letzten Jahre: Je größer die Runde, desto weniger Österreich – und auch Europa, dazu mehr beim nächsten Punkt. Es braucht dringend Anreize für Risikokapitalinvestitionen privater und auch institutioneller Investorengruppen wie Pensionskassen und Versicherungen. Ansätze dafür wären die Errichtung eines Dachfonds – wie im Regierungsprogramm verankert –, die Einführung eines Beteiligungsfreibetrags oder die Vereinfachung der Verlustverrechnung. Damit könnte die aufgrund des Niedrigzinsumfelds anhaltende Lust auf alternative Investments bedient und gleichzeitig die Eigenkapitalausstattung heimischer Start-ups verbessert werden.

3.     Das europäische Ökosystem stärken

Was das österreichische Start-up-Ökosystem für Europa ist, ist das europäische Start-up-Ökosystem im weltweiten Vergleich: Seit Jahren eine stabile positive Entwicklung, im internationalen Vergleich aber auf niedrigem Niveau. Während Investor:innen aus den USA und Asien auf großer Shopping-Tour durch Europa ziehen, stehen europäische Investorengruppen gerade bei großen Runden ab dem hohen zweistelligen Millionenbereich oft nur an der Seitenlinie. Bei den großen Runden über 100 Millionen Dollar kam 2020 bereits der Großteil des Kapitals aus Nordamerika, bei den ganz großen Runden sind Investor:innen aus Asien tonangebend. Intellektuelles Eigentum ist damit nicht mehr so eng an Europa gebunden und eine Abwanderung vorprogrammiert. Damit wächst mit jeder Runde die Gefahr eines Know-how-Ausverkaufs in Europa, insbesondere im Tech-Bereich. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, reichen Investitionskontrollen nicht aus. Es braucht unbedingt eine gemeinsame europäische Start-up-Strategie und gezielte Maßnahmen, um das Ökosystem zu stärken und Investitionen anzukurbeln. Kurz: Die bei den diesjährigen Digital Days der Europäischen Union formulierten Ambitionen hinsichtlich Start-ups müssen rasch mit Leben gefüllt werden.

4.     Eine klare österreichische Start-up-Standortstrategie herausarbeiten

Damit österreichische Start-ups diese noch zu errichtende bzw. auszuschmückende europäische Start-up-Bühne bestmöglich nutzen können und noch größere Finanzierungsrunden abzuschließen, braucht es eine klar formulierte Strategie für den Start-up-Standort Österreich. Als Inspiration lohnt sich ein Blick in die vergleichbaren Ländern Schweden und Finnland, die sich einen ausgezeichneten Ruf als DeepTech-Start-up-Hubs erarbeitet haben. In beiden Fällen wurde eine Krisensituation – in Schweden eine Bankenkrise, in Finnland die Schieflage von Nokia als größtem Arbeitgeber – genutzt, um eine Standortstrategie zu verabschieden und mit gezielten Maßnahmen wie Förderung von gründer- und investorenfreundlichen Rahmenbedingungen, Investitionen in technologische Infrastruktur oder Modellen für die enge Zusammenarbeit von Unternehmen, Start-ups, Universitäten, Investor:innen und Gemeinden umzusetzen. Für Österreich könnte die Coronakrise der Auslöser für diesen Weg sein. Stärken gibt es genug: Österreich verfügt über sehr hohe Kompetenz in der Forschung, auch bei den wichtigsten Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Technologie / Digitalisierung braucht der Standort den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen. Die große Chance für den Standort liegt in der pointierten Verstärkung und Kombination dieser Faktoren. Wenn sich schon jetzt laut Austrian Startup Monitor drei Viertel der Start-ups als grün einstufen, erscheint die Ambition eines „Green-Innovation-Hubs Österreich“ gar nicht unrealistisch. Lohnenswert wäre sie jedenfalls. 

Österreich verfügt über sehr hohe Kompetenz in der Forschung; auch bei den wichtigsten Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Technologie/Digitalisierung braucht der Standort den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen.
Florian Haas
Leiter Start-up-Ökosystem | Head of Brand, Marketing & Communications | Österreich

5.     Ökosysteme an der Schnittstelle zwischen Forschung und Unternehmertum forcieren

Gemeinsam sind wir stärker - diese Devise diente Schweden und Finnland wie skizziert als Leitfaden, um sich zu tonangebenden Tech-Start-up-Standorten von heute zu entwickeln. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor dafür war nämlich die Bildung von Hubs an der Schnittstelle von Unternehmen, Start-ups, Universitäten, Investor:innen und den jeweiligen Regionen bzw. Gemeinden. Um das volle Potenzial des heimischen Start-up Ökosystems zu entfesseln, braucht es auch hierzulande solche Innovation Cluster. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Spin-offs, quasi die unternehmerische Manifestation des herausragenden Forschungs-Know-hows. Gerade in diesem Punkt gibt es Luft nach oben. Zur Einordnung: In den letzten Jahren wurden nur je 20 Spin-offs pro Jahr aus öffentlich-rechtlichen Universitäten gegründet – so viele sind es allein bei der ETH Zürich. Initiativen wie Spin-off Austria setzen hier wesentliche Impulse, um die rund 400.000 universitären Mitarbeiter:innen und Studierenden in Österreich zu Unternehmensgründungen zu motivieren. Die Etablierung von Entrepreneurship als dritter Säule neben Forschung und Lehre an Hochschulen kann wesentlich dazu beitragen, den Bund zwischen Forschung und Unternehmertum noch enger zu schmieden.

6.     Die Beteiligung von Mitarbeiter:innen erleichtern 

Für die Umsetzung ihrer visionären Ideen und innovativen Geschäftsmodelle sind Start-ups auf hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen. Im „War for Talent“ steigen sie mit den globalen Schwergewichten und Digital Champions in den Ring. Neben überzeugenden Argumenten braucht es vor allem ein überzeugendes Compensation Package, um High Potentials und Top-Fachkräfte zu gewinnen. Hier kann die Übertragung von Unternehmensanteilen und damit die Teilhabe am Unternehmenserfolg ein entscheidendes Lockmittel sein – zumindest theoretisch, denn aktuell sind die Bedingungen dafür wenig attraktiv. Es braucht dringend eine einfachere Form einer richtigen Mitarbeiter:innenbeteiligung mit möglichst geringem bürokratischen Aufwand und einfacher, attraktiver Besteuerung. Das gilt für direkte Beteiligungen ebenso wie für virtuelle Beteiligungsmodelle und Substanzgenuss-Modelle. Quasi als Nebeneffekt würde diese Maßnahme auch ein Boost für Unternehmertum in Österreich sein. Das angekündigte Gründerpaket der Bundesregierung könnte hier neue Möglichkeiten schaffen. Der kürzlich im Rahmen der Steuerreform präsentierte Ansatz einer steuerfreien Prämie bis zu 3.000 Euro am Gewinn ist jedenfalls keine Lösung, um Mitarbeiter:innen am Wachstum und an der Skalierung eines Start-ups zu beteiligen.

7.     Verfahren zur Anstellung von Fachkräften von außerhalb der EU beschleunigen

Bei ihrer Suche nach den am besten qualifizierten Mitarbeiter:innen strecken Start-ups ihre Fühler weltweit aus. Dementsprechend international ist ihre Belegschaft auch: 56 Prozent der Start-ups beschäftigen Mitarbeiter:innen aus dem Ausland, in jedem achten Unternehmen sind Nicht-EU-Staatsbürger:innen beschäftigt. Gewinnen sie den harten Wettbewerb um die Top-Fachkräfte und wollen diese nach Österreich holen, muss es schnell und unkompliziert gehen. Bei diesem Punkt hapert es in der aktuellen Umsetzung der Rot-Weiß-Rot-Karte. Viele international tätige Start-ups entscheiden sich daher, Top-Kräfte an anderen Standorten anzustellen – ein erheblicher Nachteil für den Wirtschaftsstandort Österreich. Dementsprechend würden nicht nur Start-ups, sondern der gesamte Standort von einer Vereinfachung und Beschleunigung der Prozesse profitieren.

8.     Unternehmensgründungen vereinfachen und digitaler machen

Wer Unternehmertum will, muss Gründungen einfach machen. So einfach diese Faustregel sein mag, so wichtig ist sie. Bereits seit vielen Jahren fordert die Start-up-Szene eine neue Rechtsform als Alternative zur österreichischen GmbH. Die Anforderungen an diese neue Gesellschaftsform: Entbürokratisierung, Digitalisierung, Vereinfachung der Übertragung von Anteilen und von Kapitalerhöhungen. Unter dem Stichwort FlexCo – früher Austria Limited – wird seit längerem eine neue Gesellschaftsform diskutiert – jetzt gilt es, diese neue Rechtsform rasch detailliert auszugestalten und einzuführen.

Wer Unternehmertum will, muss Gründungen einfach machen. So einfach diese Faustregel sein mag, so wichtig ist sie.
Florian Haas
Leiter Start-up-Ökosystem | Head of Brand, Marketing & Communications | Österreich

9.     Die Eigenkapitalausstattung verbessern

Die Ausstattung mit Eigenkapital ist eine Achillesferse bei österreichischen Unternehmen. In vielen Fällen ist die Abhängigkeit von Fremdkapital, insbesondere Bankkrediten, zu groß – die Folge ist Wachstum auf Pump und damit weniger Widerstandsfähigkeit im Krisenfall. Die Coronakrise hat diese Herausforderung weiter verstärkt: So gibt rund ein Drittel der Start-ups im aktuellen Austrian Startup Monitor an, dass sich die Finanzierungsmöglichkeiten in Bezug auf externes Eigenkapital durch die Pandemie weiter verschlechtert haben. Gerade jetzt ist es daher umso wichtiger, staatliche Maßnahmen zur Unterstützung des betrieblichen Eigenkapitals wie beispielsweise in Form eines Eigenkapital-Fonds zu setzen. Der Erfolg des Covid-Start-up-Hilfsfonds unterstreicht den Bedarf an Eigenkapital-Vehikeln.

10.     Die Diversität des Start-up-Ökosystems fördern

Last but definitely not least: Wie in allen Bereichen der Gesellschaft und Wirtschaft würde auch das Start-up-Ökosystem von mehr Vielfalt und Diversität profitieren. Je nach Dimension sieht der Status quo sehr unterschiedlich aus. Während die Start-up-Szene in puncto unterschiedliche Backgrounds und Herkunft federführend ist, gibt es gerade beim Thema Female Entrepreneurship viel Luft nach oben. Immer noch ist die Start-up- und Investorenszene stark männerdominiert. Österreich liegt mit einem Anteil von 18 Prozent Frauen unter den Gründer:innen im europäischen Durchschnitt, bei den Mitarbeiter:innen liegt der Frauenanteil ungefähr bei zwei Dritteln. Innerhalb der Investor:innenszene ist das Ungleichgewicht noch stärker ausgeprägt. Das ist wiederum ein Problem für weibliche Founder, denn wie unterschiedliche Studien zeigen tendieren männliche Investoren dazu, ihr Geld eher männlichen Gründern zu geben. Dass sich Initiativen wie Female Founders oder auch die Start-up-Beauftrage des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Lisa-Marie Fassl schwerpunktmäßig diesem Thema widmen, verdient volle Unterstützung.

Neben diesen – sicher nicht abschließenden, aber zentralen – zehn Punkten braucht es eine wesentliche Grundlage für ein erfolgreiches, international wettbewerbsfähiges Start-up-Ökosystem: Eine positive Grundstimmung für Unternehmertum. Es braucht gemeinsame Anstrengungen und gezielte Initiativen, um das Image von Unternehmer:innen in Österreich zu verbessern und ihre immense Bedeutung für gesellschaftlichen Wohlstand hervorzustreichen.

Fazit

Wir bei EY holen erfolgreiche Unternehmerpersönlichkeiten und ihre Geschichten auf die Bühne: Das machen wir unter anderem mit dem EY Entrepreneur Of The Year, dem größten Unternehmer:innenpreis der Welt, oder ab nächstem Jahr mit unserem neuen EY Scale-up Award, dem anspruchsvollsten Award für Start-ups in Österreich. In der „Start-up-Champions-League“ stellen wir die Geschäftsmodelle von herausragenden Start-ups ins Scheinwerferlicht und arbeiten gemeinsam mit ihnen daran, sich fit für den nächsten Wachstumsschritt zu machen. Bewerbungen sind ab Jänner 2022 unter www.ey-scale-up-award.at möglich.

Über diesen Artikel

Von Florian Haas

Leiter Start-up-Ökosystem | Head of Brand, Marketing & Communications | Österreich

Baut Brücken zwischen wachsenden Start-ups und gewachsenen Unternehmen. Fördert die positive öffentliche Wahrnehmung von Gründung und Unternehmertum.