8 Minuten Lesezeit 22 Jänner 2020
Die Maschine übernimmt die Arbeit vom Menschen

Industrie 4.0 – Maschine, übernehmen Sie

Österreichs Industriebetriebe setzen auf die Digitalisierung der Produktion. Die Inspiration liefern oft Start-Ups.

P

rodukte, die ihre eigene Herstellung steuern, und Roboter, die fehlerlos und flexibel arbeiten – nichts weniger ist die Vision von Industrie 4.0. Auch in Österreich setzen Industriebetriebe auf die Karte „digitale Produktion“. Um zu wachsen, müssen Industrieunternehmen diese Revolution annehmen und ihre Produktion zukunftsfit machen. Die Inspiration dafür liefern junge Start-up-Unternehmen.

Am Anfang war ein Turnschuh: Ein großer US-Sportartikelhersteller bot seinen Kunden schon vor über zehn Jahren die Möglichkeit, Sportschuhe individuell zu designen und herzustellen. Die Individualisierbarkeit fand damit Einzug in die Massenfertigung. Die in großen Teilen automatisierte und digitalisierte Abwicklung von Bestellung, Produktion und Versand durch miteinander kommunizierende Maschinen markiert einen Paradigmenwechsel, der heute als vierte industrielle Revolution bekannt ist. Das Potenzial von Industrie 4.0 ist enorm, der Veränderungsdruck ist es auch.

Schöne neue (Industrie-)Welt?

Es klingt fast zu schön: Industrie 4.0 steigert die Produktivität, minimiert die Kosten und senkt die Ausfallzeiten. In der Realität nähern sich viele Industrieunternehmen nur zögerlich der vierten industriellen Revolution – vielleicht, weil Revolutionen vielen Unternehmern per se suspekt sind, vielleicht aber auch, weil einer „analog“ aufgewachsenen Generation von Unternehmern die Vorzüge von Industrie 4.0 und Digitalisierung doch zu utopisch erschienen. Zwischenzeitlich hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Industrie 4.0 und Digitalisierung gar nicht so utopisch sind. Dabei dürfte die Motivation für zahlreiche Aktivitäten zum einen eine Angst vor der Erosion der eigenen Wertschöpfungskette sein, andererseits aber auch das Erkennen neuer Chancen. Durch Industrie 4.0 werden Produkte in die Lage versetzt, dem Produktionssystem ihren aktuellen Standort und den Stand ihrer Fertigstellung und gegebenenfalls mögliche Produktionsfehler mitzuteilen. Produktionsanlagen mit solchen Fähigkeiten können extrem flexibel arbeiten und je nach Konzeption selbst die „Losgröße eins“ wirtschaftlich fertigen. Dieser Aspekt dürfte in Zeiten der zunehmenden Individualisierung von Produkten immer mehr an Bedeutung gewinnen und neues Wachstum versprechen.

Fast jeder dritte Industrie-Euro in Österreich kommt aus digitaler Produktion

Entgegen landläufigen Meinungen sind Österreichs Industriebetriebe bei der vierten industriellen Revolution zwar nicht die Speerspitze, aber zumindest voll dabei. Eine Mehrheit von 60 Prozent und damit mehr als zum Beispiel in Deutschland produziert bereits zumindest teilweise digital. Derzeit erwirtschaften die Unternehmen, die zumindest zum Teil digitale Produktionsprozesse nutzen, nach eigenen Angaben im Durchschnitt 31 Prozent ihres Gesamtumsatzes – also jeden dritten Euro – mit Produkten, die durch Industrie-4.0-Technologien hergestellt wurden. 2020 soll dieser Anteil bereits bei 39 Prozent liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird momentan aber noch zu wenig Geld in die Hand genommen: Die meisten Unternehmen hierzulande investieren nur ein bis zwei Prozent des Gesamtumsatzes in digitale Technologie. Und knapp ein Viertel der Betriebe möchte gar nicht auf digitale Produktion umstellen. Mit dieser Verweigerungshaltung nehmen sie allerdings bewusst Wettbewerbsnachteile in Kauf.

Digitaler Wachstumsbeschleuniger

Industrieunternehmen konzentrierten sich in den letzten beiden Jahren vor allem auf Produktivität; das Wachstum blieb hingegen auf der Strecke und hinter anderen Branchen zurück. Die digitale Revolution als Überbegriff für neue technologische Gegebenheiten wie Internet of Things, Big Data oder Industrie 4.0 eröffnet bislang ungeahnte Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Die kontinuierliche Verbesserung der Abläufe in Unternehmen an sich ist keine Neuerung der Digitalisierung oder durch Industrie 4.0. Neu in diesem Bereich ist allerdings die Möglichkeit, dass die an diesem Wertschöpfungsprozess beteiligten Maschinen bzw. Automaten und die Produkte miteinander bzw. über eine „Leitstelle“ kommunizieren. Unter den vielen unterschiedlich benannten Megatrends verspricht „Machine to Machine“ (M2M), also der automatisierte Informationsaustausch zwischen Endgeräten untereinander oder über eine zentrale Kommunikationsschnittstelle, aus Sicht der Industrieverantwortlichen das größte Potenzial. Im Bereich M2M agieren intelligente Maschinen, Lagersysteme oder Betriebsmittel, die autonom Daten untereinander austauschen, Fertigungsschritte veranlassen und sich gegenseitig steuern. Auf diese Weise steuert sich eine Produktion selbst. 

Start-ups: Inspiration für Innovation

Doch auch inmitten der Revolution ist es nur vermeintlich einfach, Neues zu wagen. Innovationen brauchen Mut und sie brauchen Inspiration. Diese sollten sich Industrieunternehmen bei stark wachsenden jungen Unternehmen und Branchen suchen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie anders denken, sich anders organisieren, eine andere Art von Mitarbeiter anziehen, anders priorisieren und anders investieren. Industrieunternehmen brauchen eine kontrollierte, selbst initiierte Disruption, um nicht machtlos von außen verändert zu werden und um wieder mehr Wachstumskompetenz zu bekommen. Die Kombination aus den richtigen gewachsenen Industrieunternehmen mit starkem Marktanteil und den richtigen wendigen Start-ups mit innovativen Ideen hat sich als zukunftsträchtiges Modell erwiesen, um die Kreativität und Dynamik der Prozesse zu erhöhen. Der Erfolg von Industrieunternehmen wird in Zukunft viel stärker als je zuvor von ihrer Fähigkeit, in Kooperationen und Netzwerken zu arbeiten, abhängen.

Fazit

Um zukunftsfit zu bleiben, müssen Österreichs Industrieunternehmen die digitale Revolution annehmen. Wichtig ist, das Unternehmen den Mut für neue Wege aufbringen und gezielte Investitionen tätigen.