„Auch wenn wir punktuell immer mehr Nachhaltigkeitsinitiativen bei heimischen Unternehmen beobachten, herrscht nach wie vor mehrheitlich ein strategisches Vakuum im Nachhaltigkeitsbereich. Das bringt große Risiken mit sich: Nicht nur gefährdet dieser Entwicklungsstand die Erreichung der österreichischen und EU-weiten Nachhaltigkeits- und Klimaneutralitätsziele, sondern wir verpassen als Wirtschaftsstandort vielleicht sogar eine Chance, um zukünftige Wachstumspotenziale zu nutzen. Nachhaltigkeit ist der bestimmende Megatrend des 21. Jahrhunderts – die Zukunft gehört jenen Unternehmen, die jetzt schon investieren und ihre Organisationen nachhaltig aufstellen“, warnt Martin Unger, Leiter der Strategieberatung von EY-Parthenon, der Strategieberatungsmarke von EY.
„Aufholbedarf gibt es in allen Branchen – besonders in sehr CO2-intensiven Wirtschaftszweigen wie der Transportindustrie, der Immobilien- und Baubranche sowie der Industrie. Hier liegt der Anteil jener Unternehmen, die aktuell über eine schriftliche Nachhaltigkeits- und Klimastrategie verfügen, sogar unter dem Durchschnitt“, so Unger.
Fehlende Maßnahmenpläne bei vielen Betrieben lassen Klimaneutralität in weite Ferne rücken
Handlungsbedarf gibt es auch bei den Maßnahmenplänen zur Erreichung der Klimaneutralität. Zwei von fünf Unternehmen (39 %) verfügen im Moment über keinen Maßnahmenplan und haben auch nicht vor, einen solchen zu erstellen. Immerhin zehn Prozent der befragten Betriebe sind nach eigenen Angaben bereits klimaneutral, jeder sechste (16 %) will noch vor 2040 klimaneutral sein. Insgesamt ist nur ein Drittel der mittelständischen Betriebe in diesem Bereich gut aufgestellt: 16 Prozent haben bereits einen Maßnahmenplan finalisiert, 19 Prozent entwickeln derzeit gerade einen.
„Ohne konkreten Maßnahmenplan in jedem einzelnen österreichischen Betrieb ist ein klimaneutrales Österreich bis zum Jahr 2040 nicht erreichbar“, erklärt Georg Rogl, Leiter des Bereich Climate Change & Sustainability Services bei EY Österreich. Der Experte rät Unternehmen, sich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen und an entsprechenden Plänen zu arbeiten.
Unger ergänzt: „Langfristig werden Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen deutlich mehr Zuspruch seitens der Gesellschaft erhalten – und damit auch profitabler sein. Genau dafür braucht es Nachhaltigkeitsstrategien, genau dafür braucht es Maßnahmenpläne.“
Positiv hingegen sei laut Rogl der wachsende Anteil an Unternehmen, die grundsätzlich Maßnahmen gegen den Klimawandel setzen – auch ohne konkrete Pläne. Hier hat es in vielen relevanten Bereichen im letzten Jahr deutliche Zuwächse gegeben: Die präferierte Maßnahme der Unternehmen bleibt auch heuer wie in den Vorjahren die Bewusstseinsbildung bei den Mitarbeitenden (57 %, Vorjahr: 39 %). Aber auch der Bezug von Energie aus erneuerbaren Quellen (48 %, Vorjahr: 20 %) sowie das Einbeziehen von Nachhaltigkeitsaspekten bei Investitionsentscheidungen (45 %, Vorjahr: 26 %) und die Ökologisierung des Fuhrparks (40 %, Vorjahr: 28 %) haben deutlich dazugewonnen.
„Die populäreren Maßnahmen in diesem Jahr zielen bei vielen Betrieben sicher auch auf die Reduktion von Energiekosten aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise ab. Aber auch Maßnahmen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Thema Energie stehen, haben deutlich dazugewonnen – zum Beispiel die Investitionen in Forschung zur Senkung des ökologischen Fußabdrucks im Wertschöpfungsprozess. Das setzt mittlerweile immerhin mehr als ein Fünftel der Unternehmen um“, so Rogl. Wichtig sei jetzt noch, die Maßnahmen strategisch und zielorientiert auszurichten und in einen ganzheitlichen Plan zu gießen.
Immerhin: Gar keine Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen, erlaubt sich mittlerweile nur mehr die Minderheit der Unternehmen (14 %, Vorjahr: 31 %).
Gefahren des Klimawandels für Geschäftsmodelle: Risikobewusstsein steigt
Im Vergleich zu den Vorjahren ist zudem das Risikoempfinden im Hinblick auf den Klimawandel deutlich gestiegen: 29 Prozent der österreichischen Betriebe sehen im Klimawandel ein Risiko für ihr Geschäftsmodell, im Vorjahr war der Anteil mit 18 Prozent noch deutlich niedriger. Genauso viele Betriebe (29 %) erkennen im Klimawandel hingegen eine Chance – hier ist der Anteil deutlich gesunken (Vorjahr: 47 %). Erstmals seit Beginn der Erhebungen überwiegt damit nicht mehr der Anteil der Optimist:innen.
Unger dazu: „Wir müssen Nachhaltigkeit als Chance begreifen – nur so können wir den Raum für die notwendigen Innovationen und Technologien schaffen. Nachhaltiges Wirtschaften birgt große Potenziale für den Wirtschaftsstandort Österreich und für Europa. Wir können hier eine echte Vorreiterrolle einnehmen, der viele Länder über kurz oder lang folgen werden müssen.“ Wichtig sei laut Unger auch, dass vor allem regulatorische Vorgaben im Bereich Nachhaltigkeit nicht zu Lasten der Unternehmen und der Wirtschaft gehen dürfen: „Das wäre der falsche Weg. Seitens der Politik braucht es Anreize für die Wirtschaft, diesen Weg hin zur Nachhaltigkeit zu gehen, keine Barrieren und bürokratischen Hindernisse verbunden mit massiven Kosten.“