4 Minuten Lesezeit 13 Oktober 2021
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Warum Ihre Lieferkette für eine nachhaltige Zukunft eine Blockchain braucht

Von Christoph Pressleitner

Leiter Supply Chain and Operations | Teil der Initiative EY Sustainability | Österreich

Unterstützt Supply-Chain-Transformationen, um Einkauforganisationen effizient aufzustellen, Planungssicherheit zu gewährleisten und Produktionsprozesse zu vereinfachen.

4 Minuten Lesezeit 13 Oktober 2021

Der Druck im Konsummarkt in puncto Nachhaltigkeit steigt. Was das für traditionelle Supply Chains bedeutet und warum die Blockchain eine Lösung sein kann, erklären wir in diesem Artikel.

Überblick
  • Nachhaltigkeit transformiert Konsumverhalten massiv, COVID-19 als Katalysator
  • Nachhaltige Transformation muss angestoßen werden, um Transparenz der Lieferkette sicherzustellen
  • Blockchain als mögliche Lösung

Drei Viertel der europäischen Konsument:innen haben nach eigenen Angaben ihr Konsumverhalten zumindest teilweise aufgrund der Auswirkungen auf die Umwelt angepasst. Gleichzeitig würde die Hälfte von ihnen höhere Preise für Produkte mit einem positiven sozialen und ökologischen Effekt bezahlen, wie beim EY Future Consumer Index erhoben wurde. Diese Zahlen zeigen die Chancen, die Nachhaltigkeit für Unternehmen bereithalten kann – wenn diese gewillt sind, ihre Geschäftsmodelle darauf auszurichten. Die Supply Chain dieser Unternehmen stellt dabei das Herzstück der Bemühungen dar. Sie braucht eine fundamentale Neuausrichtung an den geänderten Anforderungen und die entsprechenden Mechanismen, um die notwendige Transparenz für die Konsument:innen zu schaffen. 

Nachhaltigkeit als Gebot der Stunde

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Hiobsbotschaften hinsichtlich des Klimawandels, ob es nun um nachhaltige Veränderungen im Strömungssystem der Weltmeere – Stichwort Golfstrom – oder um Waldbrände im Mittelmeerraum geht. Nachhaltigkeit bedeutet aber mehr als Klimawandel, umfasst viele Dimensionen und wird aus verschiedenen Richtungen getrieben. Wesentliche Treiber sind folgende:

  • Regierungen und Unternehmen weltweit verkünden immer ambitioniertere Ziele, um ihren CO2-Fußabdruck zu vermindern und dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dafür gibt es vielfältige Beispiele. Die Automobilindustrie fordert von ihren Lieferanten jetzt schon umfangreiche Bekenntnisse zur Klimaneutralität, in Deutschland wurde das Lieferkettengesetz verabschiedet.
  • Daneben sehen Regierungen auch vermehrt die Möglichkeit, über gezielte Förderungen Arbeitsplätze und Wachstum zu generieren. Das kann zum einen über die Entwicklung neuer Sektoren erfolgen, aber auch durch die Rückholung der Produktion von Schlüsselindustrien – ein Thema, das global in den USA, China, Japan und Europa stark diskutiert wird.
  • Konsument:innen erwarten immer häufiger ein klares Bekenntnis zu Nachhaltigkeit. Damit steigen die Anforderungen an die Transparenz in der Supply Chain. Die Nachhaltigkeit der Supply Chain muss für Kund:innen erlebbar gemacht werden.

COVID-19 als Katalysator für die Veränderung der Supply Chain

Dabei ist das Thema Nachhaltigkeit in der Supply Chain nichts Neues. Der Generationenwechsel, der aufkeimende Protektionismus nach der Finanzkrise 2008/09 und sich häufende Umweltkatastrophen haben bereits in den letzten Jahren einen klaren Trend erkennen lassen. Diese einzelnen Faktoren wurden aber während der Corona-Pandemie noch weiter verstärkt – die Krise wirkt als Katalysator der Veränderung.

Erst kürzlich veröffentlichte der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) eine Studie zu überregionalen Einkaufsstrukturen mit dem Ergebnis, dass ein Großteil der befragten Unternehmen Änderungsbedarf in der Sourcing-Strategie sieht und sich das bereits an einer signifikant stärkeren Fokussierung auf Sourcing innerhalb Europas ablesen lässt. Auch an der Verlagerung der Konsument:innen in Richtung Onlinehandel lässt sich häufig eine bewusstere Beschäftigung mit dem Produkt ablesen, und auch wenn die derzeitige wirtschaftliche Erholung eine nachhaltige ist, hat der Paradigmenwechsel in der Supply Chain längst begonnen.

Klassische globalisierte Lieferketten sind nicht nachhaltig

Lieferketten wurden bislang vornehmlich linear gesehen und als solche optimiert. Das zugrunde liegende Konzept war die Kostenoptimierung unter Nutzung globaler Potenziale. Transportkosten sind beständig gesunken und Zollbarrieren wurden abgebaut, sodass die Ausnutzung von Lohngefällen und Economies of Scale die Konzentration der industriellen Fertigung auf bestimmte Standorte und Weltregionen gefördert hat. Nachhaltigkeit hat dabei bislang weder im Hinblick auf ökologische noch auf soziale Aspekte eine wesentliche Rolle gespielt. Globale Megatrends stellen diese Einstellung auf eine harte Probe, was auch schon vor der Pandemie klar erkennbar war.

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Die Zukunft liegt in lokalisierten, zirkulären Ökosystemen

Jeder dieser Megatrends wirkt sich in mehrfacher Hinsicht auf die Wertschöpfungskette aus. Um diesen zu begegnen und Supply Chains nachhaltiger zu gestalten, sind mehrere Voraussetzungen notwendig:

  • Transparenz der gesamten Supply Chain, im Idealfall bis zum Tier-n-Lieferanten
  • Neue Werkzeuge, um die Komplexität der daraus entstehenden Ökosysteme steuerbar zu machen
  • Adaption des Supply Chain Operating Model in Richtung Kreislaufwirtschaft
  • Zunehmende Automatisierung und Nutzung digitaler Technologien, um die Kosten zu senken

Die Erfüllung dieser Voraussetzungen und deren Nutzung als strategisches Differenzierungsmerkmal bedingt nicht nur Investitionen in die Supply Chain, sondern einen nachhaltigen Paradigmenwechsel. Eine rein lineare Optimierung wird diesen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden können. Zirkuläre Geschäftsmodelle bedingen die Überarbeitung von Netzwerken und Produktionskonzepten, eine verstärkte Regionalisierung und eine stärkere Kooperation mit Lieferanten, Kund:innen und Mitbewerbern. Die gesteigerten Anforderungen der Konsument:innen werden zu einer stärkeren Kooperation mit Lieferanten, Kund:innen und Mitbewerbern führen. Das Ziel sind lokalisierte, zirkuläre Ökosysteme, die für sich genommen weitgehend autonom funktionieren können, entsprechend kurze Durchlaufzeiten ermöglichen und Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen.

Entwicklung

Die Funktionen der Supply Chain sind dabei in ihrer gesamten Breite betroffen. Wesentliche Fähigkeiten und Charakteristika, die Supply Chains entwickeln müssen, sind die folgenden:

  • Sicherstellung einer nachhaltigen und diversen Lieferantenlandschaft: Unter dem Stichwort Sustainable Procurement werden Modelle implementiert, um die Lieferanten strukturiert auf die verschiedenen Elemente von Nachhaltigkeit zu screenen und entsprechend diesen Kriterien zu selektieren.
  • Dekarbonisierung der Lieferkette: Die deutsche Automobilindustrie gibt hier den Weg vor. Künftig werden wir mehr Industriezweige sehen, die Lieferanten auffordern werden, CO2-neutral zu produzieren. Das erfordert eine intensive Beschäftigung mit der Beschaffung von Rohmaterialien, mit der eingesetzten Energie und mit innerbetrieblichen Transporten und der Distribution zum:zur Kund:in.
  • Einführung zirkulärer Geschäftsmodelle: Ob als Wiederverwendung eigener Produktkomponenten oder als Recycling von Altprodukten bedingt Zirkularität eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Produktdesign und den Möglichkeiten, Produkte in der Produktion wiederaufzubereiten.
  • Schaffung von Möglichkeiten zur Nachverfolgbarkeit und Offenlegung: Um die Nachhaltigkeit auch Kund:innen gegenüber garantieren zu können, braucht es Tools, um alle Elemente vom Tier-n-Lieferanten bis zum:zur Endkund:in sichtbar zu machen und als Differenzierungsmerkmal zum Wettbewerb auch gegenüber den Kund:innen offenzulegen.

Ein konsequenter Schritt Richtung Nachhaltigkeit erfordert Transparenz und Nachverfolgbarkeit

Die Erweiterung des Supply-Chain-Begriffs auf ein Ökosystem, das für die Erfüllung der gestellten Anforderungen notwendig ist, erfordert neue Wege, um den Strategiewechsel der Lieferketten in Richtung Nachhaltigkeit für Konsument:innen spürbar zu machen. Dabei handelt es sich um eine ideale Spielwiese für die Verwendung von Blockchain-Lösungen.

Die Verwendung von Blockchain als Enterprise-Technologie abseits von Kryptowährungen ist seit einigen Jahren ein wichtiger Bestandteil vieler Projekte. Insbesondere im Bereich Transport, Logistik und Supply Chain sehen viele Branchen ein enormes Potenzial für neue Geschäftsmodelle. Ein wesentlicher Nutzen dieser verteilten Systeme liegt in den Themen Sicherheit, Unverfälschbarkeit und Nachvollziehbarkeit von firmenübergreifenden Transaktionen. Man nennt es auch oft „Notarisierung“, weil man den Notar, den Aufpasser, den „Intermediär“ durch Technologie ersetzt.

Zwei Beispiele aus der Praxis zeigen mögliche Einsatzfelder für Blockchain-Lösungen:

Ein klassisches Anwendungsfeld für Blockchain-Projekte ist der Lebensmittelhandel. Firmen wie Carrefour und bofrost in Italien pilotieren derzeit Blockchain-Lösungen, mit deren Hilfe Zulieferer von Fisch- und Hühnerprodukten Herkunft, Fangmethoden, Verarbeitungsmethoden etc. offenlegen und über eine Blockchain nachvollziehbar machen. Das Ergebnis ermöglicht einerseits die Nachverfolgung ihrer Vereinbarungen mit den entsprechenden Lieferanten, vor allem erzeugt es aber eine enorme Transparenz gegenüber Endkund:innen. Visualisiert wird es in einer ansprechenden App, die die Bemühungen der Unternehmen für die Konsument:innen erlebbar macht und Vertrauen in die Marken schafft.

Die Blockchain Initiative Logistik (www.ey.com/at/BIL) ist ein Co-Creation-Projekt mit DB Schenker, LKW Walter, GS1 und EDITEL, in dem der Frachtbrief (CMR) digitalisiert wurde und mithilfe von Blockchain notarisiert wird. Das Projekt wird bislang vor allem aus Überlegungen hinsichtlich Prozesskosten getrieben, es zeigt aber vor allem die Stärken der Verknüpfung von Daten in Prozessen, die sich über eine Vielzahl von Beteiligten erstrecken. Die Möglichkeiten, die sich darüber hinaus in der Visibilität der einzelnen Prozessschritte und der eingesetzten Transportmittel bieten, sind vielfältig, auch im Sinne der Nachhaltigkeit.

Beide Beispiele zeigen das Potenzial für die Nutzung von Blockchain-Lösungen in der Supply Chain und ermöglichen einen Weg, um nachhaltige Strategien für Kund:innen spürbar zu machen und den Verdacht von „Greenwashing“ im Keim zu ersticken.

Auf den Punkt gebracht

Der Druck, Supply Chains nachhaltiger zu gestalten, wird – getrieben durch Regierungen, Konsument:innen und einige Schlüsselindustrien – immer stärker. Die Corona-Pandemie wirkt dabei als Katalysator, der die Entwicklung weiter beschleunigt und uns die Unzulänglichkeiten klassischer, linear optimierter Supply Chains aufgezeigt hat.

Die Zukunft liegt in lokalisierten, zirkulären Ökosystemen. Diese erfordern einen Paradigmenwechsel in der Lieferkette und lassen Marktteilnehmer die eigene Supply-Chain-Strategie neu denken – angefangen bei sich selbst bis hin zur Zusammenarbeit mit neuen Partnern und sogar Mitbewerbern. Dieser Wechsel ermöglicht es aber, sich nachhaltig vom Wettbewerb zu differenzieren. Wesentliche Elemente bei der Gestaltung zu mehr Nachhaltigkeit sind die Implementierung von Sustainable-Procurement-Elementen, eine Fokussierung auf die Dekarbonisierung der Lieferkette, die Einbindung von Nachhaltigkeit in die Produktentwicklung, die Einführung zirkulärer Geschäftsmodelle und die Schaffung von Transparenz hinsichtlich der gesamten Supply Chain bzw. deren Offenlegung gegenüber den eigenen Kund:innen.

Fazit

Der Nutzen digitaler Technologien wie Blockchain liegt dabei auf der Hand. Er zeigt sich in mehreren Aspekten der Nachhaltigkeit, die im Moment in einer Vielzahl von Pilotprojekten in der Industrie validiert wird. Die Lösungen zeigen dabei großes Potenzial, sowohl intern als auch um sich vom Verdacht des „Greenwashing“ zu lösen und das auch den Konsument:innen transparent zu machen.

Über diesen Artikel

Von Christoph Pressleitner

Leiter Supply Chain and Operations | Teil der Initiative EY Sustainability | Österreich

Unterstützt Supply-Chain-Transformationen, um Einkauforganisationen effizient aufzustellen, Planungssicherheit zu gewährleisten und Produktionsprozesse zu vereinfachen.