Cyberabwehr ohne Kompass: Vielen fehlt eine übergreifende Strategie
Trotz der hohen Risikowahrnehmung fehlt vielen Unternehmen eine klare Gesamtstrategie für Cybersicherheit. Maßnahmen werden punktuell umgesetzt, doch ein strukturierter Fahrplan ist selten vorhanden. Ohne strategischen Rahmen bleiben Investitionen unkoordiniert – und die Wirksamkeit der Abwehr gering. Die fehlende Steuerung zeigt sich besonders bei den Budgets. 34 Prozent der Unternehmen verfügen über kein festes Cybersecurity-Budget, weitere 42 Prozent können ihre Ausgaben nicht beziffern. Nur 9 Prozent investieren mehr als 25.000 Euro jährlich in IT-Sicherheit. Immerhin plant ein Fünftel der Befragten eine Erhöhung der Ausgaben in den kommenden zwei Jahren.
„Das Fehlen klarer Budgets ist ein Alarmsignal. Ohne ausreichende und gezielt eingesetzte Mittel bleiben selbst die besten Sicherheitskonzepte Theorie. Unternehmen sollten Cybersicherheit als Dauerinvestment verstehen – vergleichbar mit Versicherungen oder Qualitätsmanagement“, so Bernhard Zacherl, Senior Manager bei EY Österreich.
Phishing dominiert – doch viele Unternehmen ohne Notfallpläne
Phishing ist mit 73 Prozent die am häufigsten genannte Angriffsart. Malware (44 %) und Ransomware (19 %) folgen mit deutlichem Abstand. Auffällig ist, dass organisatorische Gegenmaßnahmen oft fehlen: Nur 57 Prozent der Unternehmen haben Notfallpläne oder Incident-Response-Teams eingerichtet. Angriffe zielen gezielt auf sensible Abteilungen: 38 Prozent betreffen Finanz- und Kreditabteilungen, 30 Prozent den Vertrieb, 25 Prozent das Management. Auch das Personalwesen (24 %) ist zunehmend gefährdet. Zwar sind 71 Prozent der Angreifer kürzer als einen Tag aktiv und 95 Prozent der betroffenen Unternehmen konnten die Qualität des Betriebs rasch wiederherstellen – doch viele reagieren noch ohne klaren Prozess.
„Phishing-Mails sind oft der Türöffner für weitergehende Attacken. Ohne strukturierte Notfallpläne verlieren Unternehmen im Ernstfall wertvolle Zeit – und riskieren, dass ein lokaler Vorfall zur systemweiten Krise eskaliert“, erklärt Tonweber.
Regelmäßige Schwachstellen-Tests gehören zu den effektivsten Maßnahmen gegen Cyberangriffe. Dennoch verzichten 31 Prozent der Unternehmen vollständig darauf. Nur 13 Prozent testen monatlich, 29 Prozent einmal jährlich. Insgesamt führen nur 61 Prozent Penetrationstests oder Audits durch. Diese Versäumnisse stehen im Widerspruch zur hohen Risikowahrnehmung. Wer Risiken erkennt, sie aber nicht überprüft, verschiebt die Verteidigung in die Theorie.
KI zur Cyberabwehr – ein Nischenthema
Trotz der zunehmenden Bedrohung setzen nur 15 Prozent der Unternehmen auf KI-Technologien zur Abwehr von Cyberangriffen. Diese Zahl ist zwar ein kleiner Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (12 %), bleibt jedoch insgesamt niedrig. Die häufigste Verwendung von KI liegt in der automatisierten Sicherheitsüberwachung (52%) und Anomalieerkennung (48 %). Fast jedes dritte Unternehmen plant aber den Einstieg, davon 11 Prozent bereits mit konkreten Projekten. „Die Implementierung von KI-gestützten Sicherheitslösungen hat enormes Potenzial, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Der geringe Einsatz von KI zeigt jedoch, dass viele Unternehmen hier erst am Anfang stehen“, erklärt Zacherl.
Faktoren, die die Anwendung von KI in der Cyberabwehr einschränken, sind Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Ethik (28 %) sowie hohe Implementierungskosten (21 %). Auch der Mangel an qualifiziertem Personal (14 %) wird als Herausforderung angesehen.
NIS2-Richtlinie: Umsetzung stockt in Österreich
Ein Viertel der befragten Unternehmen ist zudem direkt oder indirekt von der neuen NIS2-Richtlinie betroffen. Von diesen haben zwar 70 Prozent begonnen, die Vorgaben umzusetzen, aber erst 25 Prozent haben die Anforderungen vollständig erfüllt. Besonders weit sind Unternehmen bei technischer Sicherheit (67 %), Personalsicherheit (61 %) und Risikomanagement (58 %). Gleichzeitig kennen 47 Prozent der Befragten die Details der Richtlinie noch nicht. „NIS2 ist nicht nur regulatorische Pflicht, sondern Chance, Sicherheitsstandards auf ein neues Niveau zu heben. Wer hier proaktiv handelt, stärkt nicht nur die Compliance, sondern die gesamte Resilienz des Unternehmens“, so Tonweber.