Die exponentielle Zunahme der Vorschriften zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten hat diese Themen auf die Tagesordnung der Unternehmen gebracht, wobei das Konzept der Lieferketten-Due-Diligence-Prüfung mehrere Jahrzehnte zurückreicht. Aufsehenerregende Berichte über Ausbeutung in der Bekleidungs- und Elektronikindustrie brachten in den 1990er Jahren unethische Praktiken in Zulieferbetrieben ans Licht. Nach diesen Ereignissen wurden im Jahr 2000 durch den UN Global Compact und später durch die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) sowie im Jahr 2011 durch die überarbeiteten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen formelle Rahmenwerke für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln definiert. Heute dienen diese Rahmenwerke als Vorlage für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten und wurden seitdem als De-facto-Methodik in globale Due-Diligence-Vorschriften übernommen, beispielsweise in den Gesetzen zur Bekämpfung moderner Sklaverei im Vereinigten Königreich und in Australien (Modern Slavery Acts), im kalifornischen Gesetz zur Transparenz in Lieferketten (California Transparency in Supply Chains Act), im norwegischen Transparenzgesetz (Transparency Act) und in jüngster Zeit in der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit.
Überblick über die EU-Lieferkettenrichtlinie
Ein wichtiger Schwerpunkt der EU-Lieferkettenrichtlinie besteht darin, sicherzustellen, dass Unternehmen tatsächliche und potenzielle nachteilige Auswirkungen angehen. Aus menschenrechtlicher Sicht sind als Beispiele Zwangsarbeit, Kinderarbeit sowie Gesundheits- und Sicherheitsrisiken zu nennen. Aus ökologischer Perspektive zählen hierzu beispielsweise Wasserverschmutzung, Biodiversitätsverlust und CO2-Emissionen. Unser Ansatz für den angemessenen Umgang mit diesen nachteiligen Auswirkungen orientiert sich an den in den OECD-Leitsätzen vorgeschlagenen Sorgfaltspflichten und lässt sich in den folgenden vier Schritten zusammenfassen:
1. Ermittlung und Bewertung (potenziell negativer) Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt
2. Prävention und Minderung, verbunden mit der Ergreifung angemessener Massnahmen auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse
3. Verfolgung und Überwachung der Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen
4. Kommunikation und Berichterstattung über ergriffene Massnahmen und erzielte Fortschritte
Um Risiken und Chancen adäquat zu adressieren, sollten diese Schlüsselelemente unabhängig von spezifischen Compliance-Anforderungen und regulatorischen Debatten in die Richtlinien und (Compliance- und Risiko-)Managementsysteme von Unternehmen integriert werden. Die vorrangigen Bereiche für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sollten risikobasiert sein und sich auf die wichtigsten geschäftlichen Auswirkungen konzentrieren. Diese sollten auch mit den Ergebnissen der Bewertung der doppelten Wesentlichkeit abgestimmt werden und umgekehrt.
Änderungsvorschläge im Omnibus-Vereinfachungspaket der EU («Omnibus-Vorschlag»)
Die vorgesehenen Überarbeitungen sind umfangreich, würden den Bedarf an Due-Diligence-Prüfungen bei indirekten Geschäftspartnern erheblich verringern sowie die von KMU geforderten Informationen stärker eingrenzen. Zu den wichtigsten vorgeschlagenen Änderungen des ursprünglichen Omnibus-Vorschlags, die in einem EY-Thought-Leadership-Beitrag zusammengefasst sind und nachstehend aufgeführt werden, gehören Folgende:
- Anwendungsbereich: Der Anwendungsbereich bleibt unverändert (Angleichung der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) an den Schwellenwert der EU-Lieferkettenrichtlinie).
- Zeitplan: Der Beginn der Anwendung wird voraussichtlich um ein Jahr auf Juli 2028 verschoben.
- Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette: In der Regel konzentriert sich die Due-Diligence-Prüfung auf direkte Lieferanten. Liegen jedoch plausible Informationen über potenzielle oder tatsächliche nachteilige Auswirkungen bei indirekten Partnern der nachgelagerten Stufen vor, sollten auch diese bewertet werden. Im Falle nicht konformer Lieferanten stehen zunächst die Aussetzung der Geschäftsbeziehung und Abhilfemassnahmen im Vordergrund – vor einer möglichen Vertragsbeendigung. Ziel ist eine maximale Harmonisierung innerhalb der EU, um strengere Anforderungen in bestimmten Bereichen der Sorgfaltspflicht zu vermeiden.
- Zivilrechtliche Haftung: Die EU-weite zivilrechtliche Haftungsregelung wird abgeschafft, der Zugang zur Justiz und die Entschädigung von Opfern bleiben jedoch gewahrt.
- Sanktionen: Die Mindestgrenze von 5% des weltweiten Umsatzes wird aufgehoben, Geldbussen sind jedoch weiterhin vorgesehen.
- Definition von Stakeholder: Stakeholder werden neu definiert und auf relevante Stakeholder oder Rechteinhaber beschränkt, die «direkt betroffen» sind.
- Übergangsplan: Die Verpflichtung zur Umsetzung eines Übergangsplans für den Klimaschutz zur Anpassung an die CSRD entfällt und es wird vorgeschlagen, dass Übergangspläne nunmehr «eine Beschreibung der geplanten und getroffenen Umsetzungsmassnahmen» enthalten sollten.
- Überwachung: Die Bewertungsintervalle werden von jährlich auf alle fünf Jahre verlängert. Bei wesentlichen Änderungen der Geschäftsbeziehungen erfolgen Ad-hoc-Prüfungen.
- Verbandsklage: Die Bestimmungen über Verbandsklagen werden gestrichen, sodass die nationalen Regelungen und Traditionen weiterhin gelten.
Zu beachten ist, dass sich die oben genannten Punkte aufgrund der laufenden Beratungen zum revidierten Text der EU-Lieferkettenrichtlinie noch ändern können und dass weiterhin Aktualisierungen sowie Anpassungen zu erwarten sind.
Zeitplan
Eine der wichtigsten vorgeschlagenen Änderungen ist die Verschiebung des Umsetzungszeitplans für die EU-Mitgliedstaaten auf Juli 2027, wobei die Anwendung für die erste Unternehmensgruppe, die die EU-Lieferkettenrichtlinie umsetzen muss, für Juli 2028 vorgesehen ist. Diese Verlängerung wurde am 3. April 2025 vom EU-Parlament gebilligt und gibt Unternehmen mehr Zeit, um bewährte Verfahren für die Sorgfaltsprüfung zu entwickeln und umzusetzen. Unternehmen können diese Zeit nutzen, um ihre bestehenden Risikomanagementprozesse und -kontrollen zu optimieren, mit Stakeholdern in Kontakt zu treten und sich auf die Compliance vorzubereiten.
Bei welchen ausgewählten wesentlichen Aspekten der Gesetzgebung wird es keine Änderungen geben?
Die Anforderungen an die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten bleiben unverändert bestehen. Durch die vorgeschlagenen Änderungen des Omnibus-Pakets beziehen sich diese jedoch nur auf die eigenen Tätigkeiten eines Unternehmens sowie auf die seiner Tochtergesellschaften und direkten Geschäftspartner. Das heisst, dass verpflichtende vertiefte Prüfungen rein aus Compliance-Sicht vor allem auf direkte Partner ausgerichtet sein werden. Wenn einem Unternehmen jedoch plausible Informationen vorliegen, die auf potenzielle nachteilige Auswirkungen auf der Ebene eines indirekten Geschäftspartners hinweisen – beispielsweise glaubwürdige Medienberichte oder Berichte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) –, muss es eine Risikobewertung durchführen und geeignete Massnahmen ergreifen.
Die Wahrscheinlichkeit derartiger Auswirkungen sowie die Notwendigkeit eingehender Prüfungen unterscheiden sich jedoch je nach Branche. So sind beispielsweise bestimmte Branchen, wie die Rohstoffindustrie und die Landwirtschaft, naturgemäss stärker von Menschenrechtsverletzungen und sozialen Auswirkungen betroffen. Eine Risikobewertung kann dabei helfen, die Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette zu bestätigen und die Geschäftsbeziehungen (Lieferanten) mit den höchsten Risiken zu identifizieren. So können Prozesse und Ressourcen für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten auf die wichtigsten Auswirkungen und Geschäftsbeziehungen konzentriert werden.
Welche Auswirkungen könnten die vorgeschlagenen Änderungen auf Unternehmen haben?
Begrenzung der Wertschöpfungskette
Kleinere Unternehmen unterliegen im Rahmen der EU-Lieferkettenrichtlinie zwar nicht direkt der Verpflichtung, können jedoch indirekt betroffen sein, wenn grosse Unternehmen, die in den Anwendungsbereich einbezogen sind, Informationen einholen, um ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Der Vorschlag zielt darauf ab, diese Ersuchen auf die im freiwilligen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (VSME-Standard) genannten Informationen zu beschränken. Ausnahmen sind möglich, wenn es relevante Auswirkungen gibt, die nicht durch den Standard abgedeckt sind. Es bleibt abzuwarten, ob dieser «Einheitsansatz für alle Branchen» in der bevorstehenden Debatte infrage gestellt wird.
«No-Regret»-Massnahmen im Bereich der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für Schweizer Unternehmen
Die Verschiebung der Inkraftsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie gibt Unternehmen mehr Zeit, ihre bestehenden Bemühungen zur Entwicklung umfassender und robuster Due-Diligence-Ansätze gemeinsam mit ihren Geschäftspartnern in der Wertschöpfungskette sorgfältig vorzubereiten und weiter auszubauen. Unternehmen, die diese Möglichkeit nutzen und früh mit dem Aufbau von Programmen beginnen, sind bereit, die steigenden Erwartungen von Regulierungsbehörden, Investoren und weiteren Stakeholdern zu erfüllen. So können sie ein Unternehmen aufbauen, das starke finanzielle und soziale Renditen erzielt.
Um widerstandsfähige Lieferketten aufzubauen, sollten Unternehmen versuchen, die folgenden «No-Regret»-Massnahmen einzuführen. Dabei sollten sie auf bestehenden Arbeiten aufbauen, die bereits im Rahmen der CSRD oder anderer Due-Diligence-Vorschriften (wie der EU-Entwaldungsverordnung und der EU-Verordnung über Zwangsarbeit) durchgeführt wurden, um doppelte Compliance-Bemühungen zu vermeiden. Für grosse Unternehmen empfiehlt EY folgende «No-Regret»-Massnahmen: