Welche Auswirkungen haben die globale Mindestbesteuerung und geopolitischen Unsicherheiten - und wie meistert die Schweiz den Balanceakt zwischen Offenheit und regulatorischer Souveränität? In einer Zeit wachsender Unsicherheit durch geopolitische Spannungen, protektionistische Tendenzen im Welthandel und steuerliche Reformen steht auch der stabile Wirtschaftsstandort Schweiz vor grossen Herausforderungen. Viele Unternehmen stoppen Investitionen und M&A-Aktivitäten geraten ins Stocken. Die Schweiz hat sich über Jahrzehnte als attraktiver Standort für internationale Investoren – insbesondere aus den USA – etabliert. Doch aktuelle Entwicklungen im globalen Freihandel und auch die viel diskutierten Zölle gefährden diese Positionierung. Gleichzeitig gilt es, im Inland die wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen aktiv zu gestalten, um den Standort Schweiz auch in einem zunehmend herausfordernden Umfeld zu stärken.
Die Schweiz und die globale Mindestbesteuerung
Mit der Einführung der nationalen Ergänzungssteuer für grosse multinationale Unternehmen (QDMTT) im Januar 2024 und der internationalen Ergänzungssteuer (IIR) ein Jahr später hat sich die steuerliche Wettbewerbslandschaft in der Schweiz spürbar verändert. Die effektive Steuerbelastung ist gestiegen. Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Schweiz? Eine rein fiskalische Betrachtung greift zu kurz. Zielführender ist es, die Position der Schweiz als kleines, aber stark global vernetztes Land im Kontext der wirtschaftlichen und politischen Dynamiken ihrer Partner – insbesondere der EU und den USA – zu betrachten.
Besonders wirft die die Haltung der Vereinigten Staaten Fragen auf. Präsident Trumps Äusserung, das OECD-Abkommen zur Mindestbesteuerung habe in den USA „keine Gültigkeit oder Wirkung“, sorgt international für Verunsicherung. Die US-amerikanische Haltung ist dabei kritisch, aber nicht kategorisch ablehnend. Vielmehr verlangt Washington spezifische Ausnahmeregelungen zum Schutz der eigenen Unternehmen.
Zugleich bleibt die Schweiz für viele US-Konzerne ein zentraler Standort – ein Faktor, den die Schweizer Politik aktuell berücksichtigt. So hat man bislang bewusst auf die Einführung der UTPR (Undertaxed Profit Rule) verzichtet – ein Zeichen vorsichtiger Distanz zur OECD-Linie. Es ist auch durchaus angebracht, dass die Schweiz sich kritisch zur globalen Mindeststeuer äussert, da aufgrund des «Ausstiegs» der USA grosse Wettbewerbsnachteile für EU und schweizerische Konzerne im Vergleich zu ihren US-amerikanische Konkurrenten resultieren werden. Ein überhasteter Ausstieg aus dem Regelwerk würde aber dennoch mehr schaden als nützen. Der potenzielle Reputations- und Standortschaden könnte erheblich sein – das wäre derzeit der falsche Weg.
Standortpolitik: Mehr als nur Steuersätze
Mit dem schrittweisen Verlust steuerlicher Anreize stellt sich die Frage nach alternativen Hebeln zur Sicherung der Standortattraktivität. Hier kommen die bewährten Stärken der Schweiz zum Tragen: ein schlanker Regulierungsrahmen, wirtschaftliche Freiheit und ein robuster Schutz des geistigen Eigentums. In vielen europäischen Ländern hingegen ist eine Regulierungsflut erkennbar, die Innovation bremst. Die Schweiz hat sich bislang erfolgreich ein gewisses Mass an Flexibilität bewahrt – ein Vorteil, den es zu nutzen und auszubauen gilt.
Es ist aber auch in der Schweiz Reformbedarf nötig: Im globalen Vergleich, insbesondere gegenüber den USA, besteht Aufholbedarf – etwa bei der Geschwindigkeit von Genehmigungsprozessen oder in der strategischen Förderung von Schlüsselindustrien.
Unternehmensreaktionen auf geopolitische Unsicherheiten
Wie begegnen Unternehmen der wachsenden Unsicherheit rund um die Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung, den jüngsten protektionistischen Signalen, etwa durch Zolldrohungen und Zollsanktionen sowie geopolitischen Veränderungen? Es gibt aktuell zwei Hauptreaktionen von Unternehmen auf die wachsenden Unsicherheiten: Einerseits das verstärkte Engagement auf Policy-Ebene, etwa durch eine proaktivere Teilnahme an Konsultationen. Das ist entscheidend – denn eine wirtschaftspolitische Regulierung ohne wirtschaftliche Stimme wird zwangsläufig an der Realität vorbeisteuern.
Andererseits ist eine intensive strategische Auseinandersetzung von Unternehmen mit Risiken feststellbar. Das erhöht die Nachfrage nach Expertenwissen in diesen Bereichen. Diese Beratung zielt oft darauf, kurzfristige Schocks – etwa Zollbelastungen oder regulatorische Unsicherheiten – abzufedern, unter anderem durch umfassende Szenarioanalysen mit robusten Handlungsempfehlungen für verschiedene geopolitische Entwicklungspfade.
Die Komplexität liegt hier insbesondere in den global verzweigten Lieferketten. Diese lassen sich nicht ohne Weiteres national neu ausrichten – zu stark sind die internationalen Abhängigkeiten. Dennoch gibt es Stellschrauben zur Optimierung, beispielsweise durch gezielte Standortanalysen, durch Sensitivitätsmodelle und durch flexible Strukturen, die eine Anpassung an kurzfristige politische Entwicklungen ermöglichen. Ziel ist ein resilienter Ordnungsrahmen, sowohl operativ als auch strategisch.
Investitionskontrollen: Abschottung oder Offenheit?
Im Unterschied zur EU oder den USA ist die Schweiz in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen bislang sehr liberal. Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen – etwa bei Investitionen aus China – stellt sich die Frage nach der Einführung von Investitionskontrollmechanismen. Für die Schweiz wären solche Instrumente kontraproduktiv.
Der Standort Schweiz hat sich über Jahrzehnte als verlässlich, offen und unternehmerfreundlich positioniert. Dieser Ruf ist ein zentrales Kapital, das es zu bewahren gilt. Gerade für multinationale Konzerne ist das liberale, vorhersehbare Schweizer Rechtssystem ein Standortvorteil. Investitionskontrollen nach dem Vorbild der EU oder der USA könnten dieses Vertrauen untergraben und das Investitionsklima empfindlich stören. Statt regulatorischer Abschottung sollte die Schweiz ihren Fokus auf Rahmenbedingungen legen, die Offenheit mit Sicherheit in der Sache verbinden. Beispielsweise mittels sektorenspezifischer Regeln dort, wo berechtigte nationale Interessen betroffen sind.
Dennoch nimmt der Druck zu: Die neue US-Regierung fordert von ihren Partnern ein härteres Vorgehen gegen chinesische Investoren. Die Schweizer Rechtsordnung zeichnet sich durch Verlässlichkeit und marktwirtschaftliche Offenheit aus. Diese Prinzipien sollten nicht vorschnell aufgegeben werden.
Darüber hinaus verschieben sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse. Anpassungen sind denkbar aber nur aus strategischer Perspektive und nicht als direkte Reaktion auf bilateralen Druck.
Studien belegen: CEOs weltweit sind besorgt
Diese Unsicherheiten zeigen sich auch in den Sorgen der Wirtschaftskapitäne und Unternehmen weltweit und werden durch Zahlen belegt. Gemäss einer Studie von EY Parthenon vom April 2025 haben 94% der Unternehmen weltweit Zeit und Ressourcen für geopolitische Themen erhöht – mehr oder weniger alle. Im Juni 2025 publizierten EY CEO Outlook bezeichnen 42% von weltweit befragten Führungskräften die aktuelle geo- und handelspolitische Unsicherheit als Hauptrisiko für ihr Unternehmen. In der Schweiz teilen sogar mehr als die Hälfte (52%) der Befragten diese Meinung.