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DBA-Schweiz: Besteuerung von Grenzgängern und anderen Arbeitnehmern ab 2024


Änderungsprotokoll vereinbart

Am 21.08.2021 haben Deutschland und die Schweiz ein Änderungsprotokoll zum DBA-Schweiz und zum dazugehörigen Protokoll unterzeichnet. Ein wesentlicher Teil der Regelungen betrifft Arbeitnehmende und insbesondere Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Wer hier auf Vereinfachungen im Zusammenhang mit Homeoffice-Tätigkeit gehofft hat, wird allerdings enttäuscht. Wesentliche Punkte sind unter anderem die Besteuerung von Zahlungen im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen und die Ermittlung der Nichtrückkehrtage von Grenzgängern.

Änderungsprotokoll übernimmt teilweise Regelungen der Konsultationsvereinbarungen

Bisher enthält das Protokoll zum DBA-Schweiz keine Hinweise zur Anwendung von Art. 15 oder Art. 15a des DBA. Die Finanzverwaltungen der beiden Staaten haben sich im Rahmen von Konsultationsvereinbarungen zur Anwendung dieser Artikel in Bezug auf verschiedene Einzelfragen geeinigt. Allerdings hat der Bundesfinanzhof diesen Vereinbarungen und der Verordnung zur deren Umsetzung (KonsVerCHEV, BStBl. I 2018, 1103) insoweit eine Absage erteilt, als sie dem Wortlaut des DBA widersprechen.

Der Gesetzgeber hat nun mit dem Änderungsprotokoll zum DBA die betreffenden Regelungen in weiten Teilen in das Protokoll zum DBA-Schweiz übernommen. Damit sorgt er unter anderem dafür, dass die dort verankerte Rechtsauffassung auch für die Finanzgerichte bindend ist. Das Änderungsprotokoll schafft jedoch nicht nur Rechtssicherheit in diesen strittigen Fragen, sondern trifft auch mehrere für Beschäftigte und ihre Arbeitgeber relevante neue Regelungen.

Aufteilung von Arbeitslohn

In das Protokoll zum DBA wurde der Hinweis eingefügt, dass bei der Aufteilung von Arbeitslohn nach Art. 15 Abs. 1 auf die tatsächlichen Arbeitstage abzustellen ist und der Arbeitgeber die Arbeitstage und Tätigkeitsorte zu bescheinigen hat. Aus deutscher Sicht ist schon seit 2015 auf die tatsächlichen Arbeitstage abzustellen.

Freistellung von der Arbeitsausübung

Neu ist die Regelung zur Freistellung von der Arbeitsausübung in der künftig geltenden Fassung des Protokolls. Danach können Vergütungen, die ein von der Arbeitsausübung freigestellter Arbeitnehmer bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die Arbeit ohne die Freistellung ausgeübt worden wäre. Soweit dieser Vertragsstaat die betreffenden Einkünfte nicht besteuert, kann sie der Ansässigkeitsstaat besteuern.

Das BMF-Schreiben vom 03.05.2018 zur steuerlichen Behandlung von Arbeitslohn nach den DBA unterscheidet dagegen zwischen unwiderruflicher und widerruflicher Freistellung. Ist die Freistellung unwiderruflich, steht danach das Besteuerungsrecht dem Staat zu, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist (Rn. 316). Bei der widerruflichen Freistellung ist der tatsächliche Aufenthaltsort maßgeblich.

Erfüllt der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Freistellung die Voraussetzungen für die Behandlung als Grenzgänger, soll Art. 15a bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses weiter anzuwenden sein. Beginnt die Freistellung innerhalb des Kalenderjahres, werden die unschädlichen Nichtrückkehrtage bis zur Freistellung von der Arbeitsausübung zeitanteilig berücksichtigt. Das heißt, für jeden vollen Monat der Beschäftigung sind fünf, für jede volle Woche ein Nichtrückkehrtag unschädlich.

Besteuerung von Abfindungen

Die Regelungen der KonsVerCHEV zu Abfindungen wurden in das Änderungsprotokoll übernommen. Dort wird unter anderem bestimmt, dass sich das Recht zur Besteuerung einer Abfindung für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nach dem Besteuerungsrecht im Erdienungszeitraum richtet. Neu eingefügt wurde die Einschränkung, dass hierbei höchstens das Jahr der Zahlung der Abfindung und die fünf vorangegangenen Jahre der aktiven Tätigkeit einzubeziehen sind.

Das Protokoll geht hier deutlich weiter als die Bestimmung in § 50d Abs. 12 EStG. Dort wird lediglich festgelegt, dass Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, bei der Anwendung eines DBA grundsätzlich als für eine frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt zu behandeln sind.

Grenzgängerregelung

Arbeitsort, Wochenenden, Feiertage, Geschäftsreisen

Unter anderem die Bestimmungen zum Arbeitsort und zur Behandlung von Wochenenden, Feiertagen und Geschäftsreisen als Nichtrückkehrtage wurden aus der KonsVerCHEV wortgleich bzw. inhaltsgleich in das Protokoll zum DBA übernommen.

Nichtrückkehrtage

Die Grenzgängereigenschaft entfällt, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2). Als Arbeitstage im Sinne dieser Bestimmung definiert das geänderte Protokoll die im Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Fehlt eine solche Vereinbarung, sind die tatsächlichen Arbeitstage zugrunde zu legen. Die KonsVerCHEV stellt dagegen auf die Verpflichtung zur Anwesenheit am Arbeitsort ab.

Ferien- und krankheitsbedingte (lt. KonsVerCHEV: krankheits- und unfallbedingte) Abwesenheiten gelten nicht als Arbeitstage.

Begriff der regelmäßigen Rückkehr

Der Begriff der regelmäßigen Rückkehr war in der KonsVerCHEV nicht explizit enthalten. Allerdings regelt § 7 für geringfügige Arbeitsverhältnisse, dass eine regelmäßige Rückkehr auch dann gegeben ist, wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsvertrags mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an den Arbeitsort und zurück begibt.

Das Änderungsprotokoll bestimmt nun, dass generell eine regelmäßige Rückkehr vorliegt, wenn sich der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags oder der Arbeitsverträge an mindestens 20 Prozent der vereinbarten Arbeitstage im Kalenderjahr vom Wohnsitz an den Arbeitsort und zurück begibt.

Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) bisher anders gesehen (Urteil vom 01.06.2022, I R 32/19): Nach Auffassung des BFH setzt der Begriff „regelmäßig“ in Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 keine Mindestanzahl Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus (Urteil vom 01.06.2022, Rz. 24 ff.). Die Regelung des § 7 KonsVerCHEV ändere daran nichts, denn sie verstoße gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Urteil vom 01.06.2022, Rz. 28). Mit dem geänderten Protokoll wird diese Rechtsprechung künftig allerdings nicht mehr einschlägig sein.

Rückkehr nicht möglich oder nicht zumutbar

Erst kürzlich hat das Finanzgericht Baden-Württemberg erläutert, dass die Zuteilung des Besteuerungsrechts nicht von der individuellen Entscheidung über das genutzte Verkehrsmittel abhängig gemacht werden kann. Denn Anknüpfungspunkt für die Zuteilung eines Besteuerungsrechts nach Art. 15a Abs. 2 DBA CHE sei die Rückkehr bzw. die Nichtrückkehr „aufgrund der Berufsausübung“ nach Arbeitsende (Urteil vom 23.11.2022, 12 K 623/22, Rn. 103). Das FG widerspricht damit der betreffenden Passage in der der KonsVersCHEV.

Genau dieser Text der Konsultationsvereinbarung vom 12.10.2018 wurde nun wortgleich in das Protokoll zum DBA übernommen: „Eine Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung liegt namentlich dann vor, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs ist eine Rückkehr der unselbstständig erwerbstätigen Person nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar, wenn die kürzeste Straßenentfernung für die einfache Wegstrecke über 100 Kilometer beträgt. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist eine Rückkehr nach Arbeitsende an den Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar, wenn die schnellste Verbindung zu den allgemein üblichen Pendelzeiten für die einfache Wegstrecke länger als 1,5 Stunden braucht. Von einem Nichtrückkehrtag ist bei vorliegender Unzumutbarkeit der Rückkehr nur auszugehen, wenn die unselbstständig erwerbstätige Person glaubhaft macht, dass sie tatsächlich nicht an ihren Wohnsitz zurückgekehrt ist.“

Allerdings hat das FG in diesem Urteil auch ausgeführt, dass die Verwendung der Begriffe „namentlich“ und „insbesondere“ in der KonsVerCHEV bedeutet, dass die Typisierung im Einzelfall widerlegbar ist. Daher sei auch bei einer möglichen Route von weniger als 100 Kilometern zwischen Wohn- und Tätigkeitsort eine Einzelfallentscheidung erforderlich, ob ein Nichtrückkehrtag vorliege. Ob die Finanzverwaltungen und der BFH das auch so sehen, muss sich noch zeigen.

Teilzeitbeschäftigung und Nichtrückkehrtage

Das neue Protokoll zum DBA stellt nun klar, dass bei Teilzeitbeschäftigten, die stundenweise, aber an jedem betriebsüblichen Arbeitstag im anderen Staat beschäftigt sind, für die Frage der Grenzgängereigenschaft ebenfalls von 60 unschädlichen Nichtrückkehrtagen auszugehen ist.

Bei Teilzeitbeschäftigten, die nur tageweise im anderen Staat beschäftigt sind, ist diese Zahl wie schon bisher durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen.

Maßgeblich ist hier das Verhältnis von im jeweiligen Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitstagen zu den bei Vollzeitbeschäftigung im Betrieb üblichen Arbeitstagen. Gehen die Arbeitstage bei einer Vollzeitbeschäftigung nicht aus dem Arbeitsvertrag hervor, ist bei einer 5-Tage-Woche von 240 (bisher lt. KonsVerCHEV 250) Arbeitstagen, bei einer 6-Tage-Woche von 280 (bisher lt. KonsVerCHEV 300) Arbeitstagen auszugehen. Ferientage sind bei den Rechengrößen aus Vereinfachungsgründen nicht abzuziehen.

Beschäftigung als Grenzgänger nur während eines Teils des Jahres

Das Protokoll legt auch fest, wie die unschädlichen Nichtrückkehrtage berechnet werden, wenn jemand nur während eines Teils des betreffenden Jahres im anderen Vertragsstaat beschäftigt ist. In diesem Fall werden für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag angesetzt. Ob die Voraussetzungen für die Grenzgängereigenschaft vorliegen, ist anhand der Gesamtzahl der so errechneten Tage zu prüfen.

Arbeitgeberwechsel und mehrere Arbeitsverhältnisse im Tätigkeitsstaat

In der KonsVerCHEV ist geregelt, dass eine Kürzung bezogen auf das jeweilige Arbeitsverhältnis vorzunehmen ist, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb des Kalenderjahres seinen Arbeitgeber wechselt.

Künftig ist dagegen die Grenzgängereigenschaft für alle Arbeitsverhältnisse des Arbeitnehmers in diesem Jahr im Tätigkeitsstaat einheitlich zu beurteilen, falls ein Arbeitnehmer innerhalb eines Kalenderjahres seinen Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat wechselt oder gleichzeitig für mehrere Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat arbeitet. Bei der Überprüfung, ob die Grenze der Nichtrückkehrtage im betreffenden Jahr überschritten wurde, sind die Nichtrückkehrtage aus den jeweiligen Arbeitsverhältnissen zusammenzurechnen. Dies hat der BFH schon in seinem Urteil vom 30.05.2018 (I R 62/16) so entschieden.

Es kann also bei einem Arbeitgeberwechsel der Fall eintreten, dass sich erst im Rahmen des zweiten Arbeitsverhältnisses herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Behandlung als Grenzgänger nicht vorliegen, weil nach der Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses mehr Nichtrückkehrtage anfallen und die Grenze von 60 Tagen überschritten wird.

Auch die umgekehrte Konstellation ist denkbar. Beim ersten Arbeitsverhältnis ist möglicherweise zunächst nicht zu erwarten, dass die Grenzgängerregelung anzuwenden ist, und im Rahmen des zweiten Beschäftigungsverhältnisses stellt sich heraus, dass der Arbeitnehmer Grenzgänger ist.

Der zweite Arbeitgeber braucht wiederum die Angaben aus dem ersten Beschäftigungsverhältnis, um eine korrekte lohnsteuerliche Behandlung sicherstellen zu können. Das Protokoll sieht für den Fall des Arbeitgeberwechsels vor, dass der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer die Nichtrückkehrtage bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bescheinigen muss. Hierfür ist ein Vordruck nach einem zwischen den zuständigen Behörden abgestimmten Muster zu verwenden.

Es bleibt abzuwarten, ob noch Verlautbarungen zu der Frage veröffentlicht werden, unter welchen Voraussetzungen bzw. inwieweit der erste Arbeitgeber zudem eine Korrektur der lohnsteuerlichen Behandlung vorzunehmen hat. Das Protokoll weist lediglich darauf hin, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, den Arbeitgeber über die für eine korrekte Besteuerung erforderlichen Tatsachen zu informieren.

Besteuerung leitender Angestellter

Die Bestimmungen in der KonsVerCHEV zur Besteuerung leitender Angestellter (Art. 15 Abs. 4) sind bereits durch die Konsultationsvereinbarung vom 06.04.2023 überholt. Mit ihr hat die Finanzverwaltung die neuere BFH-Rechtsprechung berücksichtigt.

Rückfall des Besteuerungsrechts

An Art. 24 DBA wird laut Änderungsprotokoll ein neuer Absatz 3 angefügt. Er ordnet an, dass die Freistellungsmethode nicht anzuwenden ist, wenn der andere Vertragsstaat das DBA so anwendet, dass er die Einkünfte bzw. das Vermögen von der Besteuerung ausnimmt oder Art. 10 Abs. 2 auf sie anwendet. Für in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtige ergibt sich dies bereits aus § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG.

Handlungsempfehlung

Das Protokoll muss noch ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Die oben erläuterten Neuerungen sind ab dem 01.01. des Folgejahres anzuwenden.

Insbesondere Arbeitgeber von (potenziellen) Grenzgängern sollten die Regelungen des geänderten Protokolls zum DBA-Schweiz sorgfältig studieren und die Handhabung der entsprechenden Fälle ggf. anpassen. Das Änderungsprotokoll schafft jedenfalls in mehreren Punkten Rechtssicherheit, was grundsätzlich zu begrüßen ist.

Besondere Herausforderungen für Arbeitgeber sind künftig bei einem unterjährigen Arbeitgeberwechsel zu erwarten. Es empfiehlt sich, zeitnah zu klären, wie in diesem Fall zu verfahren ist. Das betrifft insbesondere die Frage, wie sichergestellt werden soll, dass die erforderlichen Informationen aus dem anderen Arbeitsverhältnis möglichst zeitnah vorliegen und ggf. die steuerlichen Konsequenzen rechtzeitig gezogen werden.

Außerdem sind die geänderten Vorgaben zur Aufteilung des Besteuerungsrechts bei Abfindungen künftig zu berücksichtigen.