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DBA Schweiz: Grenzgängerregelung

Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Zwei vom BFH am 24.11.2022 veröffentlichte Urteile beschäftigen sich mit der Frage, wann die Voraussetzung einer „regelmäßigen Rückkehr“ an den Wohnort für die Anwendung der Grenzgängerregelung im DBA Schweiz erfüllt sind. Laut BFH stehen die in § 7 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft hierzu festgelegten Kriterien im Widerspruch zum Wortlaut des DBA.

Grenzgängerregelung

Einige Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) enthalten Sonderregelungen für Grenzgänger. So auch das DBA mit der Schweiz (Art. 15a). Danach sind Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem er ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die im anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. 

  • Nichtrückkehrtage

    Kehrt die betreffende Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt ihre Eigenschaft als Grenzgänger nur dann, wenn sie an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Die Grenze von 60 Arbeitstagen gilt bei einer Beschäftigung in Vollzeit während des gesamten Kalenderjahres. Das Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 regelt die Berechnung der unschädlichen Rückkehrtage für die Fälle, in denen diese Voraussetzung nicht erfüllt ist.

    Danach sind für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag als nicht schädliche Nichtrückkehrtage anzusetzen, wenn Arbeitnehmer nicht während des gesamten Kalenderjahres im anderen Staat beschäftigt sind. Bei Teilzeit ist die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen der Nichtrückkehr proportional im Verhältnis der Arbeitstage zu verringern, wenn die betreffende Person nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist. Bei drei statt fünf Arbeitstagen pro Woche ergeben sich 36 unschädliche Nichtrückkehrtage im Jahr (60 Nichtrückkehrtage × 3 Tage ÷ 5 Tage).

Regelmäßige Rückkehr laut Konsultationsvereinbarung

In § 7 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 20.12.2010 haben Deutschland und die Schweiz festgelegt, an wie vielen Tagen eine Rückkehr erforderlich ist, damit diese als regelmäßig eingestuft werden kann. Danach soll eine regelmäßige Rückkehr auch dann vorliegen, wenn sich der Arbeitnehmer aufgrund eines oder mehrerer Arbeitsverträge mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt. Dem hat der BFH mit Urteil vom 01.06.2022 (I R 32/19) und vom 28.06.2022 (I R 24/21) entschieden widersprochen.

BFH: Grenzgängerbegriff 

Laut BFH setzt der Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz 1971/2010 keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus. Dies folge bereits aus dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA Schweiz 1971/2010. Denn die Voraussetzung „regelmäßig“ beziehe sich ausdrücklich nur auf das Verb „zurückkehrt“. Anhaltspunkte für eine absolute Mindestzahl der Einsatztage am Arbeitsort im anderen Vertragsstaat kann der BFH dem Wortlaut der Regelung nicht entnehmen.

Regelmäßige Rückkehr

Für die Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer regelmäßig an seinen Wohnort zurückgekehrt ist, kann laut BFH nur die Gesamtzahl der Tätigkeitstage maßgeblich sein. Demnach müsse (nur) bezogen auf diese Tätigkeitstage (und nicht bezogen auf das gesamte Jahr) eine regelmäßige und nicht nur gelegentliche Rückkehr vorliegen. Die anderslautende Regelung in § 7 KonsVerCHEV verstoße gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes.

Bindung an den Wohnsitzstaat 

Der BFH stellt in seiner Begründung auch auf den Zweck der Grenzgängerregelung ab. Sie habe zum Ziel, eine engere Bindung des Steuerpflichtigen zum Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigen. Jede tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz stärke – unabhängig von ihrem Ausgangspunkt – die Bindung zum Ansässigkeitsstaat. Die Bindung an den Ansässigkeitsstaat lockere sich nicht allein dadurch, dass der Arbeitsort im anderen Vertragsstaat nur selten aufgesucht wird. Daher kann dies nicht der Anwendung der Grenzgängerregelung entgegenstehen.

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Deutschland vermeidet die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der Schweizer Quellensteuer in Höhe von 4,5 Prozent (Art. 15a Abs. 1 Satz 3 DBA Schweiz 1971/2010) auf die inländische Einkommensteuer (Art. 15a Abs. 3 Buchst. a DBA Schweiz 1971/2010 i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG).

Eine zusätzliche Anwendung des § 34c EStG ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die Schweiz entgegen Art. 15a Abs. 1 Satz 3 DBA Schweiz 1971/2010 mehr als 4,5 Prozent Quellensteuer einbehalten haben sollte (Senatsurteil vom 02.03.2010, I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820). 

Behandlung in der Schweiz

Nach unseren Erfahrungen vertreten die Finanzbehörden in der Schweiz eine andere Auffassung als der BFH. Bereits bei Beschäftigten, die nur an fünf Tagen pendeln oder vermehrt im Homeoffice arbeiten, sehen sie die Anwendung der Grenzgängerregelung kritisch. Wir gehen davon aus, dass die Schweizer Finanzverwaltung bei Sachverhalten wie im Streitfall (lediglich drei Arbeitstage im Monat in der Schweiz) die Grenzgängerregelung nicht anwenden würde.

Handlungsempfehlung

Arbeitgeber sollten zeitnah nach den Vorgaben des BFH prüfen, welche Beschäftigten als Grenzgänger zwischen Deutschland und der Schweiz laut DBA zu behandeln sind, und die entsprechenden lohnsteuerlichen Konsequenzen ziehen. Deutsche Arbeitgeber sind auch unterjährig verpflichtet zur prüfen, ob die Grenzgängereigenschaft weiterhin vorliegt.

Besonders kritisch sind die Fälle, in denen deutsche Arbeitgeber (aus deutscher Sicht irrtümlich) davon ausgehen, dass die Grenzgängerregelung anzuwenden und daher keine Lohnsteuer einzubehalten ist. Hier ist im Zweifelsfall eine Lohnsteueranrufungsauskunft ratsam. Denn bisher ist noch nicht bekannt, ob die Finanzverwaltung die Auffassung des BFH so übernehmen wird. 

Außerdem empfiehlt es sich, die betreffenden Beschäftigten schnellstmöglich zu informieren. Schließlich sollte dringend geklärt werden, wie die Schweizer Finanzbehörden die betreffenden Fälle jeweils sehen. Gegebenenfalls kann die Einleitung eines Verständigungsverfahrens in Betracht kommen. Fallkonstellationen, in denen die deutsche und die Schweizer Auffassung zur Anwendung der Grenzgängerregelung auseinanderlaufen, sollten möglichst vermieden werden. Andernfalls droht (teilweise) eine endgültige doppelte Besteuerung.