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Erste Tätigkeitsstätte - Zuordnung des Arbeitnehmers im steuerlichen Reisekostenrecht


Der Arbeitgeber eines Bauleiters hat im Rahmen des Lohnsteuerabzugs einen geldwerten Vorteil aus der Nutzung eines Firmenwagens für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte angesetzt. Das Veranlagungsfinanzamt ist dem gefolgt. Nach Auffassung des Arbeitnehmers lag jedoch keine erste Tätigkeitsstätte vor. Er hat daher Rechtsbehelf eingelegt, um die Verringerung seines steuerpflichtigen Arbeitslohns um diesen Vorteil und den Abzug seiner Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten zu erreichen. Das Verfahren ging bis zum Bundesfinanzhof (BFH). Die Urteilsbegründung des BFH liefert einen guten Überblick über die maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte (Urteil vom 14.09.2023, VI R 27/21).

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Leitsatz

Eine (stillschweigende) Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ergibt sich nicht allein daraus, dass der Arbeitnehmer die Einrichtung (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) nur gelegentlich zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsuchen muss, im Übrigen aber seine Arbeitsleistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung erbringt (Anschluss an das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Abwandlung).

Urteilsfall: Arbeitgeber geht von erster Tätigkeitsstätte aus

Der Kläger war in den Streitjahren 2015 bis 2017 als Bauleiter bei einem international tätigen Bauunternehmen, einer AG, beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag war sein „Einstellungsort“ in der Stadt „Z“, in der die AG eine Niederlassung unterhielt. Dem Kläger stand ein Firmenwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. Sein Arbeitgeber versteuerte im Rahmen der Lohnsteuer-Anmeldungen einen geldwerten Vorteil aus der Nutzung für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nach der sogenannten 0,03%-Regelung. Der Sachbezug belief sich auf 216,63 Euro im Monat.

Kläger erklärt Verpflegungsmehraufwendungen

In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger unter anderem Werbungskosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte geltend. Als Ort der ersten Tätigkeitsstätte gab er „Z“ an. Außerdem setzte er Verpflegungsmehraufwendungen für eine Abwesenheit von mehr als acht Stunden am Tag an, und zwar im Jahr 2015 an 178 Tagen, im Jahr 2016 an 162 Tagen und im Jahr 2017 an 168 Tagen. Als Nachweis fügte er Bescheinigungen seines Arbeitgebers bei.

Finanzamt lehnt Ansatz ab

Das Finanzamt erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen nicht an. Der Kläger habe seine erste Tätigkeitsstätte in „Z“, da er dieser Stätte dauerhaft zugeordnet sei. Es entspreche regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet sei, in der er tatsächlich tätig werden solle. Der Kläger habe die Zeiten der Abwesenheit von seiner ersten Tätigkeitsstätte nicht glaubhaft gemacht oder nachgewiesen. Aus den eingereichten Abrechnungen sei lediglich die für die jeweilige Baustelle angerechnete Arbeitszeit ersichtlich.

Erfolgreiche Klage vor dem Finanzgericht

Der Kläger verfolgte sein Anliegen weiter und erhob Klage vor dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass „Z“ nicht seine erste Tätigkeitsstätte und der Bruttoarbeitslohn daher um 216,63 Euro im Monat zu kürzen ist. Außerdem begehrte er weiterhin den Abzug der Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG entschied, dass der Kläger in der Niederlassung der Y-AG in der X-Straße in Z nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte. Daher verringerte es den Arbeitslohn des Klägers um die sich aus der Anwendung der 0,03 %-Regelung ergebenden Beträge. Die Entfernungspauschale war somit nicht anzusetzen. Die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen erkannte das Gericht als Werbungskosten an. Die Finanzverwaltung legte gegen das Urteil Revision vor dem BFH ein.

BFH bestätigt finanzgerichtliche Entscheidung

Doch der BFH bestätigte die Entscheidung des Finanzgerichts aus den folgenden Gründen:

Keine Zuordnung durch den Arbeitsvertrag

Das FG war davon ausgegangen, dass die Angabe des Einstellungsorts Z im Arbeitsvertrag des Klägers durch den Charakter der Y-AG als international tätiges Unternehmen mit mehreren Niederlassungen in der Bundesrepublik Deutschland geschuldet ist. Dieser Passus ist laut FG so zu verstehen, dass der Kläger im Bereich der Niederlassung in Z eingesetzt werden soll. Die Zuordnung zu einer (bestimmten) ortsfesten Einrichtung sei damit aber nicht verbunden gewesen. Diese Auslegung des Anstellungsvertrags ist nach Auffassung des BFH möglich, wird durch die Aussage des Vorgesetzten des Klägers bestätigt und ist damit für den Senat im Ergebnis bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

Tätigkeit überwiegend außerhalb

Insbesondere waren die Tätigkeiten des Klägers als Bauleiter jedenfalls ganz überwiegend außerhalb des Gebäudes der Niederlassung in Z zu erledigen, führt der BFH weiter aus. Daher konnte nicht ohne weitere Anhaltspunkte (die im Streitfall fehlten) angenommen werden, eine Zuordnung des Klägers zum Bezirk der Niederlassung bedeute auch gleichzeitig eine Zuordnung zu dem Niederlassungsgebäude in Z.

Keine weiteren zusätzlichen Absprachen

Zudem habe das FG keine weiteren ausdrücklichen (mündliche oder schriftliche) Absprachen über die Zuordnung des Klägers zum Gebäude des Arbeitgebers in Z festgestellt.

Keine stillschweigende Zuordnung

Nach den Feststellungen des FG musste der Kläger das Gebäude der Niederlassung in Z (ex ante) nur gelegentlich aufsuchen, um anfallende Büroarbeiten zu erledigen oder an Besprechungen teilzunehmen. Ansonsten erbrachte er seine Arbeitsleistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung.

Arbeitnehmer sind regelmäßig der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet, in der sie tatsächlich tätig sind oder werden sollen, Senatsurteile vom 10.04.2019 (VI R 6/17, Rz 21); vom 12.07.2021 (VI R 9/19, Rz 16) und vom 22.11.2022 (VI R 6/21, Rz 24)

Dieser Grundsatz gilt nach Auffassung des sechsten Senats jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer nicht nur an einer (bestimmten) betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers beruflich tätig werden soll, sondern zum Beispiel an unterschiedlichen betrieblichen Einrichtungen oder ganz überwiegend außerhalb solcher Einrichtungen. Für eine stillschweigende Zuordnung reiche es nicht aus, dass ein Arbeitnehmer eine (bestimmte) betriebliche Einrichtung zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gelegentlich aufsucht oder aufzusuchen hat (Senatsurteil vom 26.10.2022 – VI R 48/20, Rz 23, ebenso: BMF-Schreiben vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Abwandlung).

Anmerkung

Umgekehrt steht laut BFH der Zuordnung zu einer bestimmten betrieblichen Einrichtung nicht entgegen, dass ein Arbeitnehmer nach den Weisungen des Arbeitgebers nicht nur in dieser, sondern auch in anderen betrieblichen Einrichtungen tätig werden soll (Urteil vom 26.10.2022, VI R 48/20). Auch die Möglichkeit einer Versetzung an einen anderen Ort führt für sich betrachtet nicht etwa zu einer lediglich befristeten Zuordnung (Urteil vom 11.04.2019, VI R 40/16 und vom 04.04.2019, VI R 27/17).

Keine Zuordnung durch lohnsteuerliche Behandlung

Zwar könne der Anwendung der 0,03 %-Regelung im Einzelfall eine gewisse Indizwirkung für eine Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte zukommen. Doch grundsätzlich dokumentiere der Lohnsteuer-Abzug keine Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers, sondern lediglich die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten.

Anmerkung

Das sieht die Finanzverwaltung anders. Im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020 zur steuerlichen Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern bezeichnet das BMF die Besteuerung eines geldwerten Vorteils für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (mit einem Dienstwagen) als Indiz für eine Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers (Rn. 11 und 12).

Quantitative Kriterien nicht erfüllt

Schließlich sollte der Kläger auch nicht dauerhaft typischerweise arbeitstäglich (§ 9 Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 EStG) oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit (§ 9 Abs. 4 Satz 4 Nr. 2 EStG) im betrieblichen Gebäude in Z seine Tätigkeit ausüben.

Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass die Vorinstanz eine Zuordnung des Klägers zu der Niederlassung der Y-AG in Z rechtsfehlerfrei verneint hat.

Verpflegungsmehraufwand war zu gewähren

Da der Kläger nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte, sind die Abwesenheitszeiten des Klägers von seiner Wohnung maßgeblich. Substantiierte Einwendungen gegen die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigungen des Arbeitgebers habe das FA nicht erhoben.

Der Kläger sei in den Streitjahren auch nie mehr als drei Monate an derselben auswärtigen Tätigkeitsstätte beruflich tätig gewesen. Die Begrenzung des Abzugs der Verpflegungspauschalen auf die ersten drei Monate einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4a Satz 6 EStG) greife daher im Streitfall nicht.

Somit ist der Abzug des Verpflegungsmehraufwands als Werbungskosten zu gewähren. Auch insoweit sah der BFH keinen Anlass, das Urteil des FG zu beanstanden.

Handlungsempfehlung

Um zu gewährleisten, dass sie die Lohnsteuer korrekt ermitteln und abführen, sollten Arbeitgeber im Zweifelsfall prüfen (lassen), ob eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt bzw. wo sie sich jeweils befindet. So kann unter anderem geklärt werden, inwieweit die steuerfreie Erstattung von Verpflegungsmehraufwendungen möglich ist und ggf. Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit einem Firmenwagen zu berücksichtigen sind.