Steuerliche Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen
Überarbeitetes BMF-Schreiben und Handlungsbedarf für Arbeitgeber
Am 12.12.2023 wurde das überarbeitete Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) veröffentlicht. Das mit 427 Randnummern (bisher 372) nun deutlich umfangreichere Schreiben enthält neben inhaltlichen Neuerungen auch zahlreiche redaktionelle Änderungen. Zudem wurden Erläuterungen aus anderen BMF-Schreiben integriert. Einige der materiellen Änderungen dürften betroffene Arbeitgeber und alle anderen Beteiligten vor nicht unwesentliche Herausforderungen stellen.
Bedeutung und zeitlicher Anwendungsbereich
In dem Schreiben erläutert die Finanzverwaltung ihre Auffassung zur steuerlichen Behandlung der Vergütungen aus unselbständiger Arbeit nach dem OECD-Musterabkommen. An einigen Stellen geht es auch konkret auf einzelne von Deutschland geschlossene DBA ein. Das neue BMF-Schreiben ersetzt die Schreiben vom 03.05.2018 und vom 22.04.2020 (vom Arbeitgeber übernommene Steuerberatungskosten). Es ist in allen offenen Fällen anzuwenden, also beispielsweise auch auf Sachverhalte des Jahres 2023.
Wesentliche Neuerungen
Die neu aufgenommenen Hinweise spiegeln teilweise die bereits gängige Verwaltungspraxis bzw. -auffassung wider. Eine Reihe von Punkten deutet allerdings auch auf neue Tendenzen hin und an einigen Stellen ist eine klare Kehrtwende (etwa aufgrund neuerer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs) erkennbar. Besonders erwähnenswert sind folgende Neuerungen:
- Das Schreiben enthält zusätzliche Ausführungen zur Bestimmung der Ansässigkeit, inklusive neuer Beispiele, die darauf hindeuten, dass die deutsche Finanzverwaltung seltener als international üblich eine Verlagerung der Ansässigkeit annehmen wird (Rn. 7 ff.). Dies wird in vielen Konstellationen zu einer Doppelbesteuerung führen. Zudem bilden die neuen Beispiele nicht die üblichen Praxisfälle ab und bieten daher wenig Hilfestellung zur geforderten Einzelfallprüfung bei der Bestimmung der Ansässigkeit.
- Das BMF stellt klar, dass die sogenannten Rückfallklauseln in den DBA bzw. nach § 50d Abs. 8 und 9 EStG auch dann greifen, wenn sich die Freistellung der Vergütung nicht aus dem Methodenartikel, sondern aus der Verteilungsnorm ergibt (Rn. 37, 60 und 84).
- Es wurden umfangreiche Ausführungen zum wirtschaftlichen Arbeitgeber mit einer beispielhaften Aufzählung geeigneter Nachweise (Rn. 151 ff.) ergänzt. Dabei ergibt sich teilweise eine Überschneidung mit den Erläuterungen im BMF-Schreiben vom 09.11.2001 (Verwaltungsgrundsätze – Arbeitnehmerentsendung).
- Die Kriterien zur Gewinnabgrenzung (Transfer Pricing) wurden weitreichend übernommen (Rn. 160 ff.). Dies lässt auf einen erheblich erhöhten Dokumentationsbedarf bis auf Mitarbeiterebene schließen.
- Es wurden Erläuterungen zur erforderlichen Aufgliederung und Zuordnung der weiterbelasteten Gehaltsbestandteile in Entsendefällen und die Verpflichtung, die entsprechende Dokumentation an die einzelnen Mitarbeitenden auszuhändigen, ergänzt (Rn. 165 ff.).
- Der Umfang für Lohnsteuereinbehaltungsverpflichtungen in grenzüberschreitenden Fällen wird klargestellt (Rn. 168 ff.).
- Es wurden Erläuterungen zur Arbeitgeberstellung bei Geschäftsführern, Vorständen und Prokuristen in Sonderfällen eingefügt (Rn. 178 ff.).
- Es wird darauf hingewiesen, dass für das Kriterium der Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) stets auf den Zeitpunkt des Zuflusses abzustellen ist (BFH-Urteil vom 21.12.2022, I R 11/20 zur Zuweisung des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus Stock Options bei Ansässigkeitswechsel) (Rn. 223).
- Es wird erläutert,
- dass ein Signing Bonus (Antrittsgeld) nach den voraussichtlich tatsächlichen Arbeitstagen während der Vertragslaufzeit bzw. bis zu seiner Unverfallbarkeit aufzuteilen ist (BFH-Urteil vom 11.04.2018, I R 5/16, Rn. 250 des Schreibens) und
- dass das Besteuerungsrecht grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat zusteht, wenn der Signing Bonus im Fall einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zurückzuzahlen ist (Rn. 251).
- Die Ausführungen zu Aktienvergütungsmodellen wurden insbesondere um Ausführungen zu virtuellen Aktienvergütungen und einen Hinweis, dass bei der Gewährung vinkulierter Aktien je nach den Umständen des Einzelfalls möglicherweise zunächst kein Lohnzufluss vorliegt, ergänzt.
- Das BMF hat ein Beispiel eingefügt, wonach insoweit, als die niederländische 30-Prozent-Regelung greift, die Subject-to-tax-Klausel des DBA-Niederlande (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1) anzuwenden sein soll.
Fazit
Ansässigkeitsverlagerung wird seltener angenommen
Nach den im BMF-Schreiben erläuterten Grundsätzen wird die deutsche Finanzverwaltung in zahlreichen Fällen eine Verlagerung der Ansässigkeit verneinen, während sie der andere Vertragsstaat bejaht. Bei Entsendungen nach Deutschland würde dann keiner der Vertragsstaaten die anteilige Vergütung für Arbeitstage in Drittstaaten besteuern. Doch in diesem Fall greift § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG und Deutschland besteuert doch. Bei Entsendungen aus Deutschland heraus kommt es dagegen zu einer anteiligen Doppelbesteuerung.
Maßgebliche Ansässigkeit bei Stock Options
Die gleiche Problematik der Doppelbesteuerung ergibt sich, wenn Deutschland etwa bei Stock Options im Hinblick auf die Beurteilung der Ansässigkeit auf den Zuflusszeitpunkt abstellt und das Ausland auf die Ansässigkeit im Erdienungszeitraum und zwischenzeitlich ein Ansässigkeitswechsel eingetreten ist. Nach ersten Rückmeldungen unserer lokalen Steuerfachleute teilt ein wesentlicher Teil der anderen Länder (darunter solche mit bedeutenden Populationen) diese Betrachtungsweise nicht und kann ihr auch nicht folgen, sodass eine teilweise Doppelbesteuerung insoweit unvermeidbar ist bzw. nur durch ein in der Regel langwieriges Verständigungsverfahren beseitigt werden kann.
Gestiegene Dokumentationspflichten
Eine weitere (mögliche) Herausforderung für Arbeitgeber sind die offenbar gestiegenen Anforderungen der Finanzverwaltung an die Dokumentation im Zusammenhang mit der Bestimmung des wirtschaftlichen Arbeitgebers bzw. der Kostentragung. Bislang halten Arbeitgeber und Beschäftigte die entsprechenden Informationen und Nachweise in der Regel nicht in dieser Detailtiefe vor.
Zuflusszeitpunkt bei Gewährung vinkulierter Aktien
Schuldrechtliche Veräußerungsbeschränkungen stehen dem Zufluss weiterhin nicht entgegen. Wie die Finanzverwaltung damit umgehen wird, wenn die Gesellschaft der Veräußerung der Anteile durch den Mitarbeiter zustimmen muss, bleibt abzuwarten. Der Zuflusszeitpunkt bei vinkulierten Anteilen wurde schon bisher kontrovers diskutiert (BFH-Urteile vom 30.06.2011, VI R 37/09 und vom 01.09.2016, VI R 16/15). Zivilrechtlich geht das Eigentum einschließlich der Beteiligungsrechte grundsätzlich bereits bei Erwerb auf den Mitarbeiter über; zudem liegt die Zustimmung der Gesellschaft für die Übertragung auf den Mitarbeiter jedenfalls implizit vor, was unseres Erachtens für einen Zufluss bereits bei der Gewährung der Anteile spricht. Die Versagung bzw. Verlagerung des Zuflusses durch den deutschen Fiskus könnte international zu Verwerfungen führen und die abkommensrechtlichen Normen zur Beseitigung einer doppelten Besteuerung aushebeln.
Niederländisches Expat-Tax-Regime
Das niederländische Expat-Tax-Regime (30-Prozent-Regel) soll die Niederlande als Tätigkeitsstaat attraktiver machen. Doch die im BMF-Schreiben vom 12.12.2023 beschriebene Rechtsauffassung lässt diese Regelung weitgehend ins Leere laufen, sofern der Wohnsitz in Deutschland beibehalten wird.
Insgesamt führen die Vorgaben des BMF in weiten Teilen zu einem erheblichen Mehraufwand für die Arbeitgeber und alle anderen Beteiligten (inklusive Finanzverwaltung) und erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer teilweise doppelten Besteuerung bestimmter Vergütungsbestandteile.
Praxishinweis
Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten grenzüberschreitend einsetzen, sollten prüfen (lassen), inwieweit das neue Schreiben Anpassungsbedarf auslöst, und diesen möglichst zeitnah umsetzen. Dies betrifft etwa die steuerliche Behandlung von Abfindungszahlungen und Aktienvergütungen, aber auch ggf. die Umsetzung der erweiterten Dokumentationspflichten zur Bestimmung des wirtschaftlichen Arbeitgebers. Zudem empfiehlt es sich zu klären, inwieweit in den Fällen, in denen davon auszugehen ist, dass der andere Vertragsstaat den Mitarbeiter als im Ausland ansässig und Deutschland ihn als im Inland ansässig behandeln wird, das Risiko einer doppelten Besteuerung verringert werden kann.
Wenn die Finanzverwaltung aufgrund des niederländischen Expat-Tax-Regimes Vergütungsbestandteile in Deutschland der Steuer unterwirft, sollte das Einlegen eines Rechtsbehelfs geprüft werden. Ob hier tatsächlich ein Rückfall des Besteuerungsrechts eintritt, ist noch vom Bundesfinanzhof zu klären. Unter dem Aktenzeichen I R 51/22 ist dort ein entsprechendes Verfahren anhängig. Als mögliche Alternative empfiehlt es sich, den Ansatz der tatsächlichen Werbungskosten zu prüfen, denn dies löst keine Nachversteuerung in Deutschland aus.
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