Aktuelle Entwicklungen zu Kurbetrieben: BFH-Vorlage an den EuGH zur Unternehmereigenschaft von Kurgemeinden

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem aktuellen Vorabentscheidungsverfahren vom 15. Dezember 2021 - XI R 30/19 - (veröffentlicht am 27. Mai 2022) zwei Fragen zur Beurteilung der Unternehmereigenschaft von Gemeinden vorgelegt, die Kureinrichtungen unterhalten und hierfür auf Basis einer Kurtaxesatzung von Übernachtungsgästen eine Kurtaxe erheben.Einführungstext

Zum einen wird dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Gemeinde mit dem Kurbetrieb überhaupt eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 2 Abs. 1 c MwStSystRL ausübt, wenn die Kureinrichtungen auch uneingeschränkt durch die Öffentlichkeit genutzt werden können und nicht nur für die Kurtaxe zahlenden Gäste zur Verfügung stehen. Der BFH wirft zudem die Frage auf, wie im Falle einer Bejahung der wirtschaftlichen Tätigkeit bei der Prüfung von größeren Wettbewerbsverzerrungen der räumlich relevante Markt festzulegen ist. 
Hintergrund 
Eine Kurortgemeinde handelt nach derzeitiger Rechtslage (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.) als umsatzsteuerliche Unternehmerin, sofern ein Betrieb gewerblicher Art (BgA) vorliegt. Ein Vorsteuerabzug betreffend der dem BgA zugeordneten Aufwendungen bzw. Wirtschaftsgüter kann grundsätzlich geltend gemacht werden. 
Zukünftig (ab Anwendung des § 2b UStG spätestens im Jahr 2023) ist in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht für die Begründung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft kein ertragsteuerlicher BgA mehr erforderlich. Entscheidend ist unter § 2b UStG nur, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Bei einem Tätigwerden auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (z.B. Kurtaxesatzung) ist ferner zu prüfen, ob eine Nichtbesteuerung der öffentlichen Hand zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. 
Sachverhalt 
Im vorliegenden Streitfall unterhält ein staatlich anerkannter Luftkurort unter anderem einen Kurpark, ein Kurhaus und sonstige Anlagen und Wege. Auf Basis einer Kurtaxesatzung wurde von Kurgästen eine Kurtaxe erhoben, die für die Bereitstellung der Kureinrichtung verwendet wurde. Die Kureinrichtungen waren für jedermann frei zugänglich, eine Kurkarte wurde zum Eintritt nicht benötigt. Körperschaftsteuerrechtlich begründete die Gemeinde mit ihrer Tätigkeit einen BgA. Die Gemeinde hatte alle Kureinrichtungen dem BgA-Vermögen zugeordnet und begehrte aus der Unterhaltung der Kureinrichtungen den Vorsteuerabzug. 
Das Finanzamt (FA) nahm im Rahmen einer Außenprüfung eine unternehmerische Tätigkeit der Kurgemeinde aus der Erhebung der Kurtaxe an, kam allerdings zu einer umfangreichen Kürzung der Vorsteuerbeträge. Das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) wies die darauffolgende Klage der Gemeinde ab und bestätigte die Kürzung der Vorsteuer. 
Im Revisionsverfahren setzt der BFH das Verfahren nun aus und legt dem EuGH die zwei zentralen Fragen zur Vorabentscheidung vor. 
Erste Vorlagefrage – wirtschaftliche Tätigkeit 
Der BFH hält es für möglich, dass es im Streitfall bereits an einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Kur-Gemeinde fehlt, da möglicherweise gar kein Leistungsaustausch vorliegen könnte. Voraussetzung für einen Leistungsaustausch zwischen Gemeinde und Kurgast sei, dass ein verbrauchsfähiger Vorteil für das gezahlte Entgelt gewährt wird. Im vorliegenden Fall erlangen die Kurgäste durch die Zahlung der Kurtaxe aber keinen Vorteil gegenüber der Allgemeinbevölkerung, da diese die Kureinrichtungen ebenfalls und gerade auch ohne Entrichtung der Kurtaxe nutzen könnten. Diesbezüglich hatte der BFH in einem früheren Urteil bereits entschieden, dass mit der Widmung zum Allgemeingebrauch für die Einrichtung (z.B. ein Wanderweg) keine Kurbeiträge als Benutzungsentgelt erhoben werden können. Insofern wäre hiermit das Vorliegen einer Leistung gegen Entgelt grundsätzlich zu verneinen. Ob diese Sichtweise mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bezweifelt der BFH. 
Die Gemeinde argumentiert, dass bei einer isolierten Betrachtung die Zahlung der Kurtaxe durchaus eine Gegenleistung für die Möglichkeit zur Nutzung der Kureinrichtungen darstellt. Dass die Allgemeinheit darüber hinaus die Kureinrichtungen ebenfalls auch ohne Entrichtung eines Entgelts nutzen könne, lasse nicht zwingend den Schluss zu, dass kein Leistungsaustausch zwischen Kurgemeinde und Kurgast vorläge. Daher bittet der Senat des BFH um Klärung dieser Vorlagefrage durch den EuGH. 
Zweite Vorlagefrage – Prüfung Wettbewerb 
Für den Fall, dass nach Ansicht des EuGH eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, möchte der BFH geklärt wissen, inwieweit die Behandlung der Gemeinde, die auf öffentlich-rechtlicher Satzung tätig wird, als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Das FG hatte ausgeführt, dass die Leistungen der Gemeinde in ihrer Gesamtheit nicht von privaten Anbietern erbracht werden können, da diese nicht in der Lage seien, das gleiche Bedürfnis der Kurgäste zu befriedigen und daher keine Wettbewerbsverzerrung angenommen. Der BFH ist allerdings der Ansicht, dass das FG zur Beurteilung dieser Frage nur das Gemeindegebiet betrachtet und den Wettbewerb mit den Nachbargemeinden hierbei nicht ausreichend geprüft hat. Daher bittet der BFH den EuGH um eine Einschätzung, wie der lokale Markt bei der Prüfung größerer Wettbewerbsverzerrungen festzulegen ist. 
Ausblick 
Bereits in der jüngeren Vergangenheit war die Besteuerung von Kurgemeinden verstärkt im Fokus der Finanzverwaltung. Mit Erleichterung wurde beispielsweise das BMF-Schreiben vom 25. Mai 2022 aufgenommen, dass die Einschränkungen des Vorsteuerabzugs durch das BMF-Schreiben vom 18. Januar 2021 statt auf alle offenen Fälle erst für Leistungsbezüge nach dem 31. Dezember 2017 Anwendung finden. 
Die Erörterung der beiden grundlegenden Vorlagefragen des BFH zur Unternehmereigenschaft von Kurgemeinden ist nun Sache des EuGH. Die Entscheidung darf mit Spannung erwartet werden. Um eine langfristige Planungssicherheit für Kurgemeinden zu schaffen, wäre es wünschenswert, wenn der EuGH möglichst bald Klarheit in Sachen Unternehmereigenschaft von Kurgemeinden bringt. Zudem besteht die Chance, dass die Entscheidung des EuGH zur Frage, wie der lokale Markt bei der Wettbewerbsprüfung auszulegen ist, Anhaltspunkte liefert, die über die Beurteilung der Besteuerung von Kurbetrieben hinausgehen und auf andere Sachverhalte übertragen werden können. 
Autor:innen: RA StB Tobias Kreiter, RA StB Bianca Sparacio