Hintergrund
Das BVerfG hat mit seinem am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen aufgrund der als realitätsfremd erachteten hohen Zinssatzhöhe von 6 Prozent pro Jahr für verfassungswidrig erklärt. Die Anwendung von §§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 S.1 AO führe zu einer Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, deren Steuer nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird und solchen, bei denen die Festsetzung innerhalb der Karenzzeit erfolgt, so dass ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vorliege. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ist lt. BVerfG der monatliche Zinssatz von 0,5% aufgrund der sich fortlaufend verändernden tatsächlichen Rahmenbedingungen realitätsfern und damit verfassungswidrig. Gleichzeitig hat das BVerfG vorgegeben, dass für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018 das geltende Recht noch fortgelten darf. Der Gesetzgeber muss bis Ende Juli 2022 für alle offenen Fälle eine rückwirkende verfassungsgemäße Neuregelung des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach
§ 233a AO für Verzinsungszeiträume ab 1. Januar 2019 treffen. Die Neuregelung soll dann alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfassen. Andere Verzinsungstatbestände der AO wie bspw. Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen, der Einzelsteuergesetze und Säumniszuschläge sind von der Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG nicht erfasst.
Der Referentenentwurf
Mit dem Referentenentwurf vom 22. Februar 2022 hat das BMF ein Gesetzgebungsverfahren gestartet mit dem der Forderung des BVerfG nachgekommen wird, den Zinssatz für Steuerzinsen nach § 233a AO verfassungskonform auszugestalten. Der vorgeschlagene Zinssatz nach § 233a AO soll für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 rückwirkend auf 0,15% pro Monat (1,8% p.a.) gesenkt werden. Die Angemessenheit des Zinssatzes soll unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle drei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume evaluiert werden, erstmals zum 1. Januar 2026. Dieser Zinssatz soll sowohl für Steuernachforderungen als auch für Steuererstattungen gelten. Der Referentenentwurf führt weiter aus, dass sich der neue Zinssatz am aktuellen Basiszinssatz nach § 247 BGB (-0,88% p.a.) mit einem sachgerechten Zuschlag in Höhe von 2,7 Prozentpunkten orientiert. Er bleibe aber deutlich unterhalb des Zinssatzes für Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB und bilde damit einen angemessenen Mittelwert zwischen Guthabenzinsen und Verzugszinsen. Als Alternative führt der Referentenentwurf an, dass eine zumindest vorübergehende Abschaffung der Vollverzinsung oder die Anordnung eines am Basiszinssatz angelehnten, vollständig oder stufenweise flexiblen Zinssatzes für Zinsen nach § 233a AO denkbar wäre. Eine Evaluierungsklausel sei dann entbehrlich.
Das sich der neue Zinssatz am Basiszinssatz orientiert, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Auch der Zuschlag von 2,7% scheint, wenn auch in der Höhe hinterfragbar, im internationalen Vergleich nicht völlig unüblich. Daher ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mit einer Anpassung der beabsichtigten Zinssatzhöhe zu rechnen. Zur vorgesehenen Evaluierungsklausel gibt es bereits kritische Stimmen. Zudem stellt sich die Frage, wie die Umsetzung konkret erfolgen soll.
Aufgrund der Fortgeltungsanordnung des BVerfG ist der Zinssatz von 0,5% pro Monat nach § 238 Abs. 1 S.1 AO für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 weiter anzuwenden. Hiergegen eingelegte Einsprüche wurden per Allgemeinverfügung als unbegründet zurückgewiesen, wenn sie sich gegen die Zinshöhe aufgrund einer möglichen Verfassungswidrigkeit richteten.
Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 setzt die Finanzverwaltung erstmalige Zinsfestsetzungen aus und wird diese bei Beseitigung der Unsicherheit über die Höhe der Zinsen von Amts wegen nachholen (§ 165 Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz AO).
Die durch den Referentenentwurf geplante Neuregelung soll sowohl für Steuernachforderungen als auch für Steuererstattungen gelten und in allen am Tag nach der Verkündung des Änderungsgesetzes noch anhängigen Verfahren anzuwenden sein, aber vorbehaltlich des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Steuerpflichtige, die bereits Erstattungszinsen bis zum Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG mit 0,5% pro Monat erhalten haben, müssen keine Rückzahlungsverpflichtung fürchten.
Fazit
Vor dem Hintergrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus entspricht die Zinshöhe auch in Bezug auf weitere steuerliche Verzinsungstatbestände nicht den Marktbedingungen. Der Regierungsentwurf des Gesetzes für diese Anpassung soll durch das Bundeskabinett am 30. März 2022 auf den Weg gebracht werden.
Es bleibt die Frage, ob auch in anderen Bereichen angesichts des niedrigen Zinsniveaus eine Neuregelung aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist. Der BFH hatte in einem (vor der Entscheidung des BVerfG ergangenen) Beschluss erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Höhe der Säumniszuschläge geäußert, da diesen teilweise eine zinsähnliche Funktion zukommt. Auch hinsichtlich gewerbesteuerlicher Hinzurechnungsnormen mit inhärentem typisierenden Finanzierungsanteil sowie hinsichtlich mit zu 6% diskontierten Pensionsrückstellungen sind Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Vor diesem Hintergrund sollte im Einzelfall erwogen werden, entsprechende Bescheide nicht bestandskräftig werden zu lassen.
Autor:innen: RA StB Michael Pfundt, RA StB Simone Werbinsky