Entsorgungspflicht des „unfreiwilligen“ Abfallbesitzers - OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. Juni 2021 – OVG 11 B 20.16

Das OVG Berlin-Brandenburg hat über die abfallrechtliche Verantwortung eines (Grundstücks-) Verpächters für Abfälle befunden, die auf dem Pachtgrundstück verblieben, nachdem über das Vermögen des Pächters das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Entscheidung ist interessant, weil sie Grundlegendes zur abfallrechtlichen Verantwortung betrifft. Die Ausführungen zur weitreichenden Entsorgungspflicht eines „unfreiwilligen“ Abfallbesitzers sowie zur Zumutbarkeit dieser Pflicht, sollten insbesondere Vermieter/Verpächter kennen. 

Sachverhalt 

Die Verpächterin hatte ihr Grundstück an den Betreiber einer Anlage zur Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen verpachtet. Der Pächter stellte in seiner Anlage Ersatzbrennstoffe her. Er verfügte über eine Genehmigung, die ihm die Behandlung und die Lagerung bestimmter Mengen an nicht gefährlichen Abfall erlaubte. Die genehmigte Lagerkapazität überschritt der Pächter. Zum Erlass einer abfallrechtlichen Ordnungsverfügung gegen den Pächter kam es nicht, da über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter führte den Betrieb nicht fort, zeigte die Stilllegung der Anlage an und gab die auf dem Grundstück lagernden Abfälle aus der Insolvenzmasse frei. Die zuständige Behörde räumte daraufhin einen Teil des gelagerten Abfalls aus einer Sicherheitsleistung. Für einen weiteren Teil nahm die Behörde Abfalllieferanten zur ordnungsgemäßen Entsorgung in Anspruch („Ewigkeitshaftung“; § 22 KrWG). Hinsichtlich des dann noch auf dem Grundstück verbleibenden Abfalls gab die zuständige Behörde der Verpächterin nach vorheriger Anhörung auf, diesen ordnungsgemäß zu entsorgen. Gegen diese Anordnung legte die Verpächterin zunächst erfolglos Widerspruch ein und erhob sodann Klage. 

Entscheidungsbegründung

Das erstinstanzliche Verwaltungsgericht hat der Klage zunächst stattgegeben. Das OVG Berlin-Brandenburg sah dies anders und hob das erstinstanzliche Urteil auf. Die Verpächterin muss die auf ihrem Grundstück verbliebenen Abfälle ihres insolventen Pächters ordnungsgemäß entsorgen.  
Das OVG Berlin-Brandenburg stellte zunächst in wenigen Sätzen fest, dass die Verpächterin als Grundstückseigentümerin Besitzerin der auf dem Grundstück verbliebenen Abfälle (§ 3 Abs. 9 KrWG) war. Abfallbesitzern obliegt grundsätzlich die abfallrechtliche Pflicht, „ihre“ Abfälle, die nicht verwertet werden, zu beseitigen, § 15 Abs. 1 S. 1 KrWG. Kommen Abfallbesitzer ihrer Verpflichtung nicht nach, kann die zuständige Behörde – wie vorliegend erfolgt – die erforderliche Anordnung zur Durchsetzung der abfallrechtlichen Regelungen treffen, § 62 KrWG. 
 
Deutlich umfangreicher hat sich das OVG Berlin-Brandenburg sodann mit der Frage auseinandergesetzt, ob anstelle der Verpächterin sonstige Verantwortliche vorrangig durch die zuständige Behörde in die Verantwortung zu nehmen gewesen wären („Störerauswahl“). Es kommt dabei zu dem zutreffenden Ergebnis, dass eine Inanspruchnahme der beim Pächter verantwortlich handelnden natürlichen Personen (Geschäftsführer, Betriebsleiters, Abfallbeauftragte) durch die Behörde nicht zu erwägen war. Diese Personen handeln in ihrer Funktion grundsätzlich im Namen des Pächters und üben auch den Abfallbesitz in dessen Namen aus. Eine Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters scheidet auch aus, da ihn sein Verhalten (Betrieb nicht fortgeführt, Stilllegung angezeigt, Abfall aus Insolvenzmasse freigegeben) von einer potentiellen Entsorgungspflicht befreit. Letztlich scheidet auch eine Verantwortlichkeit der Behörde selbst aus, da diese weder Erzeuger noch Besitzer des Abfalls ist. 
 
Weiter hat das OVG Berlin-Brandenburg ausgeführt, dass die Inanspruchnahme der Verpächterin auch zumutbar ist. In dem das OVG Berlin-Brandenburg eine Parallele ins Bodenschutzrecht zieht, deutet es allerdings an, dass Zumutbarkeitsgrenzen denkbar sind. Denn nach dem Bodenschutzrecht ist eine Kostenbelastung des Grundstückseigentümers, die den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigt, (nur) dann zumutbar, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen hat. Nach Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg hatte sich die Verpächterin bezüglich ihres Pächters entsprechend verhalten. Das Gericht konnte daher offenlassen, ob bzw. in welchem Umfang die Zumutbarkeitsgrenzen aus dem Bodenschutzrecht übertragbar sind.  

Einordnung

Der vorliegende Fall zeigt eindrucksvoll, welches Risiko für Vermieter/Verpächter von Grundstücken aus der Entsorgungspflicht als Abfallbesitzer folgt. Grundstückseigentümer sollten dies bei der Gestaltung der Verträge beachten und während der Vertragslaufzeit die tatsächliche Nutzung der vermieteten/verpachteten Flächen im Blick behalten, um ihr (wirtschaftliches) Risiko möglichst zu minimieren. 

 
Weiter ist zu beachten, dass die Entsorgungspflicht als Abfallbesitzer besteht, sobald der Abfall in den „Herrschaftsbereich“ einer Person gelangt ist. Dies ist auch dann erfüllt, wenn (über Nacht) auf dem Grundstück (z.B. dem Firmenparkplatz) illegal Abfälle abgeladen werden. Lassen sich die Verursacher auch mit polizeilicher Hilfe nicht finden, was meistens der Fall ist, bleibt der Grundstückseigentümer auf den Entsorgungskosten sitzen. 
 
Autoren: RA Dr. Simon Meyer, RA Dr. René Schmelting