EU-Kommission: Notifizierungspflichten in Öffentlichen Vergaben zur Abwehr von Drittstaatsubventionen

Lokaler Ansprechpartner

Oliver Wittig

27 Oktober 2022
Bereich Vergaberecht

Schätzungsweise 100.000 Unternehmen in der Europäischen Union (EU) stehen im Eigentum von Investoren aus dem EU-Ausland. Viele dieser Unternehmen erhalten Subventionen von Nicht-EU-Ländern. Diese sog. Drittstaatsubventionen stellen für den Wettbewerb im EU- Binnenmarkt zunehmend ein massives Problem dar. Derartig subventionierte Unternehmen können bei großen Öffentlichen Vergaben „unschlagbar günstige“ Angebote abgeben und den Wettbewerb hierdurch erheblich verzerren. Umso ärgerlicher, wenn umgekehrt die Märkte in den Drittstaaten für europäische Unternehmen abgeschottet bzw. stark eingeschränkt bleiben. Diese Regelungslücke, die der EU-Kommissar für Handel Valdis Dombrovskis als „Plage im Wettbewerb“ bezeichnete, soll jetzt geschlossen werden.

Schließung der Regelungslücke

Die Gewährung staatlicher Subventionen durch EU-Mitgliedstaaten an Unternehmen wird durch das EU-Beihilfenrecht bereits seit langem umfassend reguliert. Staaten außerhalb der EU können aber bislang ohne spezifisch wettbewerbsrechtliche Kontrolle ihre in der Union ansässigen Unternehmen unterstützen. Diese Regelungslücke wird auf Initiative der EU- Kommission nunmehr durch eine Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen geschlossen. Hierauf haben sich der Rat der Europäischen Union und das EU- Parlament am 30. Juni 2022 geeinigt. Die neue Verordnung, die bereits in wenigen Monaten wirksam werden könnte, hat aufgrund eines neuen verpflichtenden Kontrollmechanismus erhebliche Auswirkungen auf die Transaktionspraxis in M&A-Prozessen und auch in Öffentlichen Vergabeverfahren.

Meldeschwellen und Meldepflichten

Durch die Verordnung wird die EU- Kommission in die Lage versetzt, die wettbewerbsverzerrende Wirkung von Subventionen aus Drittstaaten nach einer vorherigen Anmeldung beziehungsweise Meldung seitens des jeweiligen Unternehmens zu prüfen:

  • in öffentlichen Vergabeverfahren mit einem Auftragswert von mehr als 250 Mio.
  • bei Erwerbsvorgängen, Zusammenschlüssen und Gründungen von Gemeinschaftsunternehmen, wenn die Zielgesellschaft, eines der erwerbenden Unternehmen oder das zu gründende Gemeinschaftsunternehmen mehr als 500 Mio. Euro Umsatz erzielt haben und die finanziellen Zuwendungen aus Drittstaaten in den drei vorangegangenen Jahren 50 Mio. Euro übersteigen.

Außerhalb der meldepflichtigen Vorgänge kann die EU-Kommission zudem von Amts wegen prüfen, ob eine Drittstaatensubvention zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führt. Der Kontrollmechanismus ermöglicht eine rückwirkende Überprüfung von Subventionen, die bis zu fünf Jahre vor Inkrafttreten der Verordnung gewährt wurden.

Drittstaatliche Subventionen

Unter einer drittstaatlichen Subvention ist jede finanzielle Zuwendung zu verstehen, die

  • direkt oder indirekt von der Regierung/Behörde eines Drittstaats gewährt wird,
  • einem Unternehmen mit wirtschaftlicher Tätigkeit in der EU zugutekommt
  • und „selektiv“, also auf eines oder mehrere Unternehmen bzw. Einen Wirtschaftszweig oder mehrere Wirtschaftszweige beschränkt ist.

Der Subventionsbegriff im EU-Beihilferecht ist weit. Außer direkten Zuschüssen fallen beispielsweise auch zinslose Darlehen, unbegrenzte Garantien, Ausgleichsleistungen, steuerliche Vorzugsbehandlungen bzw. Steuergutschriften darunter.

Verzerrung des Binnenmarktes

Allerdings bleiben Subventionen durch Drittstaaten im Grundsatz erlaubt. Denn auch für Deutschland als Exportweltmeister sind Finanzierungen von Unternehmen im Ausland, die z.B. im Einklang mit dem OECD-Übereinkommen über öffentlich unterstützte Exportkredite erfolgen, von großer Bedeutung.

Liegt aber eine drittstaatliche Subvention vor, die zu Verzerrungen im EU-Binnenmarkt führt, deren negative Auswirkungen ihre positiven im Ergebnis einer Prüfung überwiegen, dann ist die EU-Kommission befugt, Abhilfemaßnahmen zu verhängen oder Verpflichtungszusagen (dazu unten) des betreffenden Unternehmens anzunehmen.

Meldepflichten und Prüfung bei Öffentlichen Vergaben

Eine meldepflichtige drittstaatliche Zuwendung im Rahmen eines Öffentlichen EU-Vergabeverfahrens kann vorliegen, wenn der geschätzte Auftragswert mindestens 250 Mio. EUR beträgt. Ab dieser Schwelle müssen Unternehmen bei der Einreichung eines Angebots oder eines Antrags auf Teilnahme an einem öffentlichen Vergabeverfahren dem öffentlichen Auftraggeber

  • entweder alle drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen, die sie in den drei Jahren vor dieser Meldung erhalten haben, nennen,
  • oder erklären, dass sie in den letzten drei Jahren keine drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen erhalten haben.

Die Meldepflicht gilt auch für wichtige Unterauftragnehmer und Lieferanten. Als „wichtig″ gelten Unterauftragnehmer und Lieferanten, wenn der Anteil ihres Beitrags wesentlich ist bzw. 30 % des geschätzten Auftragswerts übersteigt.

Der Auftraggeber soll die Meldung der Unternehmen unverzüglich zur Prüfung an die Kommission weiterleiten. Versäumen Unternehmen die Meldung oder unterbleibt die Weiterleitung, kann die EU-Kommission auf eigene Initiative eine Prüfung einleiten.

Nach Eingang der Meldung führt die EU-Kommission zunächst eine Vorprüfung durch. Diese Vorprüfung hat spätestens 60 Tage nach Eingang der Meldung zu erfolgen. Vor Ablauf dieser Frist darf der Auftraggeber zwar das Vergabeverfahren (z.B. die Angebotswertung) fortsetzen, er darf das Verfahren aber nicht durch Zuschlagserteilung beenden. Innerhalb der Frist für die Vorprüfung entscheidet die EU-Kommission über die Einleitung einer eingehenden Prüfung. Hält sie eine eingehende Prüfung für erforderlich, hat sie diese zweite Stufe des Prüfverfahrens regelmäßig innerhalb von 200 Tagen nach Eingang der Meldung abzuschließen. Vor Ablauf dieser Frist bzw. dem Erlass eines Beschlusses durch die Kommission, keine Einwände zu erheben, da das Unternehmen nicht durch eine wettbewerbsverzerrende Subvention profitiert hat, darf der Auftraggeber eine Zuschlagserteilung an ein Unternehmen, das drittstaatliche Subventionen gemeldet hat, regelmäßig nicht vornehmen.

Am Ende der eingehenden Prüfung kann die EU-Kommission

  • einen Verpflichtungsbeschluss erlassen, wenn ein Unternehmen von wettbewerbsverzerrenden drittstaatlichen Subventionen profitiert, aber Verpflichtungen anbietet, die diese Verzerrungen beseitigen (Verpflichtungszusage);
  • die Vergabe des Auftrags an ein Unternehmen untersagen, wenn dieses keine Verpflichtungen anbietet oder die Verzerrung dadurch nicht beseitigt werden kann;
  • beschließen, keine Einwände zu erheben.

Nach Abschluss der Prüfung kann der Auftrag auch an ein Unternehmen vergeben werden, das den Erhalt drittstaatlicher Subventionen gemeldet hatte, sofern die Vergabe nicht untersagt wurde.

Bei Verstößen gegen die Meldepflicht drohen den betroffenen Unternehmen Geldbußen. Im Fall unrichtiger oder irreführender Angaben kann sich die Geldbuße auf bis zu 1 % des Gesamtumsatzes belaufen, bei Nichtangabe von Subventionen sogar auf bis zu 10 % des Gesamtumsatzes.

Fazit

Mit der Verordnung steht der EU-Kommission in Zukunft bei Auftragsvergaben ein scharfes Schwert zur Verhinderung des Zuschlags an Bieter, die wettbewerbsverzerrende Drittstaatsubventionen erhalten, zur Verfügung. Die hohe Aufgreifschwelle ist mit Blick auf große Infrastrukturprojekte und langlaufende Konzessionsvergaben gerechtfertigt. Dennoch wird hier ein schwerfälliges und zeitraubendes Notifizierungsverfahren etabliert, was den Ablauf bedeutender Vergaben verzögern kann. Angesichts des erwartungsgemäß erheblichen Kontrollaufwands ist es richtig, dass die EU-Kommission und nicht etwa der Auftraggeber das Vorliegen wettbewerbsverzerrender Drittstaatsubventionen prüfen soll. Die EU-Kommission müsste aber ihre vorhandenen und bereits mehr als beanspruchten Ressourcen erheblich aufstocken, wenn sie vermeiden will, dass die neue Verordnung in Vergabeverfahren zukünftig der „bottleneck“ wird. Schließlich bleibt auch abzuwarten, wie Drittstaaten, allen voran China, auf die neue EU-Verordnung reagieren werden. Es legt nahe, dass sie diese als Angriff auf die eigene Wirtschaft verstehen und mit Gegenmaßnahmen für europäische Unternehmen reagieren werden.

Autor:innen: RA Dr. Oliver Wittig, RA Susanne Müller-Kabisch