FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 16.06.2022 - 16 K 4259/17; rechtskräftig
Ein Müllwerker hat auf dem Betriebshof des Entsorgers keine erste Tätigkeitsstätte. Bei einer arbeitstäglichen Abwesenheit von der Wohnung von mehr als acht Stunden kann er die gesetzlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen geltend machen.
Hintergrund
Werden Tätigkeiten außerhalb der Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt, kann für solche Arbeitstage, an denen der Arbeitnehmer mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist, der gesetzliche Pauschbetrag für Verpflegungsmehraufwendungen nach Maßgabe des § 9 Abs. 4a EStG als Werbungskosten geltend gemacht werden.
Nach § 9 Abs. 4 EStG ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegungen sowie die diese ausfüllende Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Nicht entscheidend ist, ob an der vom Arbeitgeber nach § 9 Abs. 4 EStG festgelegten Tätigkeitsstätte der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit liegt oder liegen soll. Erforderlich, aber ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (BFH, Urteil vom 04.04.2019, VI R 27/17, BStBl 2019 II, 536 und BFH, Urteil vom 11.04.2019, VI R 40/16, BStBl 2019 II, 546).
Fehlt hingegen eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung (oder ist sie nicht eindeutig), ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft entweder typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.
Sachverhalt
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang (Rückverweisung durch BFH, Urteil vom 02.09.2021, VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18).
Die Beteiligten streiten vorliegend über das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte nach Maßgabe des § 9 Abs. 4 EStG und dem folgend die Geltendmachung der gesetzlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen bei einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Jahres 2016 (Streitjahr).
Kläger ist ein bei einem kommunalen Entsorgungsbetrieb tätiger Müllwerker. Er stellt zusammen mit einem Kraftfahrer und einem weiteren Läufer die Besatzung eines Müllfahrzeugs dar und entleert die Mülltonnen der Kunden im Abfuhrgebiet. Zwischen Abfahrt von der Wohnung am Morgen und Rückkehr zu dieser am Nachmittag liegen – zwischen den Beteiligten unstreitig - regelmäßig mehr als acht Stunden. Die Fahrzeit auf dem Müllfahrzeug im Abfuhrgebiet (Abwesenheit vom Betriebshof) beträgt hingegen regelmäßig weniger als acht Stunden.
Voraussetzung für die Geltendmachung von Verpflegungsmehraufwendungen im Urteilsfall ist daher, dass der Betriebshof nicht die erste Tätigkeitsstätte des Müllwerkers darstellt.
Entscheidung und Begründung (des BFH und) des FG
Nach der Revisionsentscheidung des BFH ist der Betriebshof keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers, wenn er dort lediglich die Ansage der Tourenleitung abhört, das Tourenbuch, Fahrzeugpapiere und -schlüssel abholt sowie die Fahrzeugbeleuchtung kontrolliert. Zwar war der Müllwerker dieser ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers im Streitjahr dauerhaft zugeordnet. Diese geringfügigen und im ersten Rechtsgang durch das FG bereits festgestellten Tätigkeiten reichen jedoch allein nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. An diese Rechtsansicht ist das FG Berlin-Brandenburg in seinem Gerichtsbescheid vom 16.06.2022 gemäß § 126 Abs. 5 FGO gebunden.
Auch längere regelmäßige, durch den Stau ausrückender Müllfahrzeuge verursachten Wartezeiten oder nur gelegentliche Verrichtungen wie Veranlassung von Reparaturen bei Beschädigungen oder Defekten an Müllfahrzeugen, gelegentliche Reinigung von Fahrzeugen und Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen an der Gastankstelle auf dem Betriebshof begründen keine erste Tätigkeitsstätte.
Maßgebend im Urteilsfall ist daher die Dauer der Abwesenheit des Müllwerkers von der Wohnung - und nicht vom Betriebshof des Entsorgers. Diese beträgt arbeitstäglich regelmäßig mehr als acht Stunden. Daher kann der Kläger die gesetzlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen beanspruchen.
Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen; das Urteil ist daher rechtskräftig.
Fazit
Die Rechtsprechung des FG (und des BFH) stellt klar, dass die Arbeitgeberzuordnung als solche alleine nicht (mehr) für die Begründung einer ersten Tätigkeitsstätte ausreicht. Am Zuordnungsort muss auch eine „Tätigkeit“ erbracht werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang solche Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Die im Urteilsfall festgestellten geringfügigen Tätigkeiten begründen jedenfalls nicht den vom BFH geforderten erforderlichen Umfang, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte nach Maßgabe des § 9 Abs. 4 EStG einzuordnen.
Autor:innen: StB Thore Schmitz StB Annika Wölky