1. Erneute Änderung des Temporary Crisis and Transition Framework – „TCTF“
Die EU-Kommission hat am 9. März 2023 zum dritten Mal ihren Befristeten Rahmen zur Krisenbewältigung (englisch kurz: „TCTF“) geändert. Der neue Rahmen dient inzwischen nicht mehr allein der akuten Krisenbewältigung. Mit dem TCTF verfolgt die EU-Kommission vor dem Hintergrund des sog. „Green Deal“ jetzt vor allem auch das Ziel, Investitionen für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern sowie die Dekarbonisierung der Industrie und die Herstellung der für den Übergang zur CO2-Neutralität erforderlichen Ausrüstung zu unterstützen.
Vorgesehen sind im TCTF Vereinfachungen für den Ausbau erneuerbarer Energien, für die Dekarbonisierung industrieller Produktionsprozesse sowie für Investitionen in Sektoren, die für den Übergang zu einer emissionsfreien Wirtschaft strategisch und technologisch bedeutsam sind (z. B. die Produktion von Batterien, Solarpanelen, Windturbinen, Wärmepumpen, Elektrolyseuren, Carbon Capture and Utilization (CCU) / Carbon Capture and Storage (CCS) und damit verbundene kritische Rohstoffe).
Zentrale Änderungen sind:
- Die Verlängerung der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft insbesondere über Regelungen zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Energiespeicherung, sowie Regelungen zur Dekarbonisierung von industriellen Produktionsprozessen zu unterstützen, die nun bis zum 31. Dezember 2025 verlängert werden bzw. bis dahin neu aufgelegt werden können.
- Der Anwendungsbereich der genannten Maßnahmen wird verändert, um die Ausgestaltung von Regelungen zur Förderung von erneuerbaren Energien und Energiespeicherung sowie zur Dekarbonisierung industrieller Produktionsprozesse zu vereinfachen und ihre Wirkung zu erhöhen. Zu diesem Zweck werden i) die Voraussetzungen für die Gewährung von Beihilfen für kleine Vorhaben und weniger ausgereifte Technologien wie erneuerbaren Wasserstoff vereinfacht, indem die Ausschreibungspflicht gestrichen wird, sofern bestimmte Vorkehrungen getroffen wurden, ii) die Möglichkeiten zur Förderung des Ausbaus aller Arten erneuerbarer Energien erweitert, iii) die Möglichkeiten zur Unterstützung der Dekarbonisierung industrieller Prozesse durch die Umstellung auf aus erneuerbarem Wasserstoff gewonnene Brennstoffe ausgeweitet und iv) höhere Beihilfehöchstintensitäten und vereinfachte Beihilfeberechnungen vorgesehen.
- Es werden neue, bis zum 31. Dezember 2025 anwendbarer Maßnahmen zur weiteren Beschleunigung von Investitionen (in Schlüsselsektoren für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft) eingeführt. Der TCTF ermöglicht für bestimmte Sektoren, die für den ökologischen Wandel von strategischer Bedeutung sind und bei denen ein Risiko besteht, dass sie ohne entsprechende Förderung in Drittländer abwandern, hohe befristete Beihilfen. Konkret können die Mitgliedstaaten einfache und wirksame Maßnahmen auflegen, um nach Maßgabe des Investitionsstandorts und der Größe des Beihilfeempfängers Unterstützung bis zu einem bestimmten Prozentsatz der Investitionskosten und bis zu bestimmten Nominalbeträgen bereitzustellen.
- Kleinen und mittleren Unternehmen sowie Unternehmen in benachteiligten Gebieten können mit Blick auf die Kohäsionsziele höhere Beihilfen gewährt werden. Wenn die Beihilfen in Form von Steuervorteilen, Darlehen oder Garantien gewährt werden, kann ein noch höherer Prozentsatz der Investitionskosten durch Beihilfen gedeckt werden. Vorher müssen die nationalen Behörden jedoch prüfen, welche Risiken konkret bestehen, dass die produktive Investition außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums („EWR“) getätigt wird, und ob das Risiko einer Verlagerung innerhalb des Binnenmarktes besteht.
- Zusätzlich wird als besondere Ausnahme für die genannten Sektoren eine „Matching Aid“- Klausel geschaffen. Sofern ein Unternehmen in einem Drittstaat für eine vergleichbare Investition höhere Förderbeträge angeboten bekommen würde, können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen ein finanzielles Gegenangebot in Form von Beihilfen bis zur Höhe von vergleichbaren Beihilfen in Drittstaaten machen. Konkret bedeutet das, dass die Mitgliedstaaten entweder den Betrag bereitstellen, den das Unternehmen für eine vergleichbare Investition an dem anderen Standort erhalten könnte („Matching Aid“), oder den Betrag, durch den das Unternehmen dazu bewegt werden könnte, die Investition im europäischen Binnenmarkt zu tätigen („Finanzierungslücke“) – je nachdem, welcher Betrag niedriger ist. Diese neue Möglichkeit ist aber an einige Vorrausetzungen knüpft. Erstens kann sie nur für Investitionen in Anspruch genommen werden, die in Fördergebieten im Sinne der geltenden Fördergebietskarte getätigt werden, oder für grenzübergreifende Investitionsvorhaben in mindestens drei Mitgliedstaaten, bei denen ein erheblicher Teil der Gesamtinvestition auf mindestens zwei Fördergebiete entfällt und eines davon ein A-Fördergebiet ist (d. h. ein Gebiet in äußerster Randlage oder ein Gebiet mit einem Pro-Kopf-BIP von höchstens 75 Prozent des EU-Durchschnitts). Zweitens sollten die Unternehmen Produktionstechnologien nutzen, die hinsichtlich der Umweltemissionen dem neuesten Stand entsprechen. Drittens darf die Beihilfe keine Verlagerung von Investitionen zwischen Mitgliedstaaten bewirken.
Die übrigen Bestimmungen des Befristeten Krisenrahmens (begrenzte Beihilfebeträge, Liquiditätshilfe in Form von staatlichen Garantien und zinsvergünstigten Darlehen, Beihilfen zum Ausgleich der hohen Energiepreise, Maßnahmen zur Senkung der Stromnachfrage), die enger mit der unmittelbaren Krisensituation zusammenhängen, bleiben bis zum 31. Dezember 2023 anwendbar. Um für Rechtssicherheit zu sorgen, wird die EU-Kommission zu einem späteren Zeitpunkt prüfen, ob eine Verlängerung erforderlich ist.
2. Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung („AGVO“)
Die Europäische Kommission hat am 9. März 2023 zugleich auch eine Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) beschlossen. Mit der Reform ist primär die Umsetzung der Ziele aus der im Februar veröffentlichten Kommissionsmitteilung „Ein Industrieplan zu Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“ verbunden. Hierin werden unter anderem die Bedingungen für die öffentliche Finanzierung von Wasserstoffprojekten, CO2 Abschneidung- und Speicherung und emissionsfreie Mobilität erleichtert.
Vorgeschichte der Reform
Eine weitreichende Reform der AGVO zur Erreichung der Ziele des EU Green Deals und zur Anpassung an Änderungen sonstiger Beihilfevorschriften (Leitlinien), war auf EU-Ebene schon länger geplant. So hatte die EU-Kommission bereits im Herbst 2021 den Überarbeitungsentwurf der AGVO im Hinblick auf den sog. „Green Deal“ veröffentlicht und diesbezüglich im Zeitraum vom Oktober bis Dezember 2021 eine Konsultation in den Mitgliedstaaten durchgeführt, bei der Interessierte zu den geplanten Änderungen Stellung beziehen konnten. Der weitere Reformprozess wurde dann aber zunächst durch den Ukraine-Krieg und die in dem Zusammenhang von der EU-Kommission zu treffenden Sofortmaßnahmen unterbrochen.
Allerdings hat der russische Angriffskrieg dem bereits im Dezember 2019 verkündeten „Green Deal“ nochmal eine neue Motivation verliehen. Das ursprüngliche Anliegen des „Green Deal“, nämlich die weitreichende Absenkung der Treibhausgasemissionen in der EU aus umweltpolitischen Gesichtspunkten, wurde nun auch unterfüttert durch die Notwendigkeit die immense Abhängigkeit der EU von fossilen Energieträgern, nämlich Gas und Öl, aus Russland zu beenden. Dadurch motiviert hat die EU-Kommission im Februar 2023 durch ihre Mitteilung „Ein Industrieplan zu Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“ nochmal „nachgelegt“. Hierin enthalten sind die neuen Vorstellungen der EU-Kommission zur Erreichung des Ziels einer weitreichenden Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Die EU-Kommission beschäftigt sich insbesondere damit, wie die EU-Mitgliedstaaten die Transformation der Wirtschaft hin zu einer CO2-neutralen Industrie unterstützen können. Nach Auffassung der EU-Kommission ist dafür eine Erleichterung des EU-Beihilferechts erforderlich. Nach einer neuerlichen Konsultation der Mitgliedstaaten Anfang 2023 hat dann die EU-Kommission die Änderungsverordnung zur Änderung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung am 9. März 2023 gebilligt.
Inhalt der Reform
Beihilfen sind nach dem EU-Beihilferecht grundsätzlich bei der EU-Kommission vorab anzumelden (sog. Notifizierungspflicht, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Solange eine anmeldepflichtige Beihilfe nicht von der EU-Kommission genehmigt wurde, darf sie nicht gewährt werden (sog. Durchführungsverbot, Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV).
Durch die AGVO wird aber für einige Beihilfenarten (sog. „Gruppen“) eine Freistellung von dieser grundsätzlich geltenden Notifizierungspflicht vorgesehen. Bezüglich dieser Gruppen sieht die EU-Kommission keine gravierende Gefahr der Beeinträchtigung des Binnenmarkts und hält daher auch eine Überprüfung der Beihilfen im Einzelfall für unnötig. Im Rahmen der Gewährung dieser freigestellten Beihilfen obliegen den Behörden der Mitgliedstaaten nur allgemeine Melde- und Berichtspflichten. Angesichts der zeit- und kostenintensiven förmlichen Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission bedeutet das eine nicht unbeträchtliche Vereinfachung und Beschleunigung des Beihilfeverfahrens.
Mit der nun vorliegenden Reform der AGVO setzt die EU-Kommission zunächst Änderungen um, die erforderlich waren, um die AGVO mit geänderten beihilferechtlich relevanten Leitlinien, wie den Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (sog. KUEBLL) in Übereinstimmung zu bringen. Dazu werden in der AGVO bereits bestehende Freistellungstatbestände angepasst. Es werden aber auch neue wichtige Freistellungen eingeführt, so dass in Zukunft umweltfreundliche Mobilität und auch Wasserstoffvorhaben umfangreicher und effizienter als bisher gefördert werden können.
Ferner wurden bei vielen bereits existierenden Freistellungstatbeständen die sog. Anmeldeschwellenwerte und die sog. Beihilfeintensitäten deutlich angehoben. Auch dies bringt ein deutliches Mehr an Flexibilität bei der Förderung von neuen umweltfreundlichen Technologien mit sich.
Gleichzeitig wird durch die neue AGVO aber auch der administrative Aufwand erhöht, indem z.B. bei einigen Einzelbeihilfen nunmehr eine gesonderte Veröffentlichungspflicht besteht. Während der Schwellenwert bisher bei EUR 500.000 lag, müssen künftig in der Regel bereits Beihilfen in Höhe von EUR 100.000 veröffentlicht werden. Diese Verschärfung soll der Erhöhung der Transparenz dienen. Von den Mitgliedstaaten wird diese Neuerung in der AGVO aber wegen der zusätzlichen Bürokratie als sehr kritisch angesehen.
Einige Änderungen der AGVO sind zudem direkt durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise motiviert, dazu zählt z.B. die Freistellung von Beihilfemaßnahmen der Mitgliedstaaten zur Regulierung der Energiepreise (z.B. Preisobergrenzen für Strom, Gas und aus Erdgas oder Strom erzeugte Wärme).
Schließlich hat die EU-Kommission mit ihrer Reform die Laufzeit der AGVO, die ursprünglich zum Ende dieses Jahres ausgelaufen wäre, bis zum 31. Dezember 2026 verlängert. Jedenfalls bis dahin haben die Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten der EU nun eine sichere Grundlage für Ihre Fördervorhaben.
Autor/innen: RA Susanne Müller-Kabisch, RA Oliver Wittig