Corona-bedingte Rückstellungen bei Vermietern von Gewerbeimmobilien?

Ausgangssituation

Für Gewerbemiet- und -pachtverhältnisse, die von staatlichen COVID-19-Maßnahmen betroffen sind (z. B. Beherbergungsverbot für Hotels, Schließung des Einzelhandels und der Gastronomie etc.), wird (widerlegbar) vermutet, dass die infolge der COVID-19-Pandemie eingetretenen erheblichen (Nutzungs-)​Beschränkungen der entsprechenden Gewerbeimmobilien eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage i. S. v. § 313 BGB darstellen können. Diese gesetzliche Vermutung ist durch Art. 10 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl. 2020 I, 3328) in Art. 240 § 7 EGBGB aufgenommen worden (vgl. kritisch hierzu Brinkmann/Thüsing, NZM 2021, S. 5 ff.). Sie kann z. B. widerlegt werden, wenn der Miet- oder Pachtvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem eine pandemieartige Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der breiten Öffentlichkeit und damit die wirtschaftlichen Folgen hieraus bereits absehbar waren (vgl. BT-Drs. 19/25322, S. 20).

Gewerbliche Vermieter müssen daher damit rechnen, dass Mieter, die aufgrund staatlicher COVID-19-Maßnahmen erhebliche Nutzungseinschränkungen ihrer Gewerbeimmobilien hinnehmen mussten bzw. müssen, unter Berufung auf § 313 BGB eine Anpassung des Mietvertrags fordern. Die begehrte Vertragsanpassung muss angemessen sein, sodass es vom jeweiligen Einzelfall abhängt, ob eine Stundung oder Anpassung der Miethöhe oder gar eine Aufhebung des Vertrags sachgerecht ist (vgl. BT-Drs. 19/25322, S. 21).

Die Anpassung von Art. 240 EGBGB trat am 31.12.2020 in Kraft und tritt am 30.09.2022 wieder außer Kraft. Letzteres ergibt sich aus der zeitlichen Befristung der Gültigkeit von Art. 240 EGBGB durch Art. 6 Abs. 6 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. I, S. 569). Die Anpassung ist auch auf Sachverhalte anwendbar, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits abgeschlossen, aber noch nicht rechtskräftig entschieden sind (vgl. BT-Drs. 19/25322, S. 24), und soll somit anscheinend auch eine Rückwirkung entfalten. Inwieweit dies rechtlich zulässig ist, muss juristisch geklärt werden.

Handlungsbedarf

Für Vermieter von Gewerbeimmobilien stellt sich daher zum Bilanzstichtag 31.12.2020 die Frage, ob aufgrund der bis zum Stichtag in Kraft getretenen Neuregelungen für ggf. zurückzuerstattende Mietzahlungen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden sind. Die gesetzliche Neuregelung als solche löst noch keine Pflicht zur Rückstellungsbildung aus. Für die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung kommt es vielmehr darauf an, ob der Mieter bis zum Ende der Wertaufhellungsphase seinen (berechtigten) Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB auf Anpassung der Miete für Monate des abgelaufenen Geschäftsjahres gegenüber dem Vermieter geltend macht (= Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme). In diesem Fall hat der Vermieter aus unserer Sicht zum Bilanzstichtag 31.12.2020 eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren und die Umsatzerlöse des Geschäftsjahrs 2020 entsprechend zu reduzieren.

Sofern die Mietminderung auch für die Zukunft gilt, hat der Vermieter zu prüfen, ob er zum 31.12.2020 eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Absatzgeschäften zu bilden hat oder ob eine außerplanmäßige Abschreibung seiner Gewerbeimmobilie erforderlich ist. Eine außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Wert nach § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB ist nur dann vorzunehmen, wenn es sich um eine voraussichtlich dauernde Wertminderung handelt. Sofern der Mieter lediglich für einen begrenzten Zeitraum, in dem beispielsweise sein Einzelhandelsgeschäft geschlossen bleiben muss, eine Mietminderung begehren kann, wird regelmäßig nicht von einer dauernden Wertminderung der Immobilie auszugehen sein (vgl. IDW RS HFA 4.23).

Sofern eine zukünftig noch zu gewährende Mietminderung infolge der Nutzungsbeschränkungen, die beim Mieter aufgrund staatlicher COVID-19-Maßnahmen eintreten, dazu führt, dass die künftigen Mieterlöse beim Vermieter niedriger sein werden als die voraussichtlich noch anfallenden Aufwendungen (Vollkosten) für die Erbringung der Vermietungsleistung (z. B. Abschreibung der Immobilie, Fremdfinanzierungskosten, laufender Unterhalt), droht dem Vermieter ein Verlust aus dem schwebenden Mietverhältnis, für den er zum Bilanzstichtag 31.12.2020 eine Drohverlustrückstellung passivieren muss (vgl. hierzu Schubert, in: Beck Bil-Komm., 12. Aufl. 2020, § 249 HGB, Anm. 78).

Ob und inwiefern für den jeweiligen Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB i. V. m. Art. 240 § 7 EGBGB – insbesondere im Fall einer Rückwirkung – erfüllt sind und damit ein berechtigter Anspruch des Mieters gegeben ist, sollte der Vermieter mit seinem Rechtsberater besprechen. Im Zweifel werden Gerichte über das Vorliegen einer Störung der Geschäftsgrundlage und etwaige Rechtsfolgen entscheiden müssen (ähnlich auch Brinkmann/Thüsing, NZM 2021, S. 12).

CO/KPH/ASU