Abkommensrechtliche Konflikte in Dreieckskonstellationen

Der BFH äußert sich zum Konkurrenzverhältnis von in Dreieckskonstellationen betroffenen DBA. Für den BFH stehen sie grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind unabhängig voneinander auszulegen. Der Steuerpflichtige könne sich daher grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen, die ihm eines dieser DBA gewährt. 

In grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen stellt sich bei der Beurteilung, ob Deutschland ein Besteuerungsrecht zusteht, insbesondere die Frage, in welchem Verhältnis die von den betroffenen Staaten abgeschlossenen (verschiedenen) DBA zueinanderstehen.

Der BFH hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitnehmer in der Schweiz (Quellenstaat) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und einen (weiteren) Wohnsitz in Frankreich hatte. Die zwischen allen drei Staaten abgeschlossenen DBA wiesen isoliert betrachtet jeweils unterschiedlichen Staaten das Besteuerungsrecht zu (DBA Deutschland/Schweiz: Schweiz, DBA Frankreich/Schweiz (Grenzgängerregelung): Frankreich und DBA Deutschland/Frankreich: Deutschland). Die tatsächliche Besteuerung erfolgte in Frankreich. Gegenüber dem deutschen Fiskus berief sich der Arbeitnehmer auf die Freistellung der Einkünfte aufgrund des DBA Deutschland/Schweiz. Laut BFH zu Recht.

Zwar stehe Deutschland in einem – wie hier vorliegenden Fall der Doppelansässigkeit – nach dem DBA-Frankreich aufgrund der sog. Tie-Breaker-Rule das Besteuerungsrecht am Arbeitslohn aus der Schweiz (Drittstaateneinkünfte) zu. Allerdings komme dieser Regelung keine abkommensübergreifende Wirkung zu, sondern sie betrifft nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen DBA (hier Deutschland und Frankreich). Gleiches gelte für die Verteilungsnormen der jeweiligen DBA, weshalb diese grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinanderstehen und jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen sind. Aus Sicht eines Steuerpflichtigen reiche es daher aus, wenn er nach einem der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen (hier DBA Schweiz 1971/2010) die Voraussetzungen einer Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung erfüllt. Diese Freistellung wiederum könne nicht durch die abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts in einem anderen DBA aufgehoben werden, soweit es sich um ein- und dieselben Einkünfte handelt. Hierfür bedürfe es weder einer Auflösung einer Konkurrenz im Sinne eines Vorrangverhältnisses eines DBA noch einer Beschränkung des zugewiesenen Besteuerungsrechts mit Rücksicht auf die Regelungen eines anderen DBA. Somit kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen, die ihm eines dieser Abkommen gewährt. Eine damit einhergehende Nichtbesteuerung kann laut BFH nur durch besondere abkommensrechtliche oder unilaterale Vorschriften vermieden werden.

Da weder das DBA Schweiz eine anwendbare Subject-to-Tax-Klausel enthielt noch die Voraussetzungen der Rückfallklauseln des § 50d Abs. 8 und Abs. 9 EStG erfüllt waren, bejahte der BFH im Ergebnis die Freistellung der Einkünfte (unter Progressionsvorbehalt) in Deutschland. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich auch nicht durch die Regelungen zu Rück- und Weiterverweisungen (Renvoi) im Internationalen Privatrecht. Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen können laut BFH nicht durch Art. 4 EGBGB (auch nicht analog) gelöst werden (BFH-Urteil vom 01.06.2022, I R 30/18).

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.

 

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