Kein Vorrang des vereinfachten Ertragswertverfahrens bei Anteilswertermittlung

Nach Auffassung des BFH ist das FG verpflichtet, einen bislang unzureichend nach dem individuellen Ertragswertverfahren (IDW S1) ermittelten Anteilswert einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft unter Sachaufklärung nachträglich korrekt zu ermitteln. Ein Rückgriff auf das vereinfachte Ertragswertverfahren als Auffangmethode ist nicht gestattet.

Für die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft hat allein der Steuerpflichtige die Wahl zwischen einem individuellen Ertragswertverfahren nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG (z.B. IDW S 1) und der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG. Wenn sich der Steuerpflichtige für ein unter Beachtung des IDW S 1 erstelltes individuelles Gutachten entschieden hat, darf das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht als Auffangtatbestand nachträglich der Bewertung zugrunde gelegt werden, so der BFH mit Urteil vom 02.12.2020 (II R 5/19).

Bestehen Unstimmigkeiten über die Richtigkeit des ermittelten gemeinen Werts, bedürfe es vielmehr der Sachaufklärung durch das FG, da das FG zur Bewertung gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO verpflichtet sei. Auch wenn das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen entspreche – im Streitfall fehlten etwa notwendige Unterlagen (Planungsrechnung) – dürfe das Gutachten nicht insgesamt unberücksichtigt bleiben. Das FG hätte entweder der Klägerin die Möglichkeit geben müssen, das bzgl. der sonstigen Parameter nicht beanstandete Bewertungsgutachten in den kritisierten Punkten nachzubessern und zu ergänzen, oder selbst ein neues Gutachten in Auftrag geben müssen. Nach Auffassung des BFH dürfen weder das Finanzamt noch das FG stattdessen dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen.

Im Rahmen der vorinstanzlichen Entscheidung ging es außerdem insbesondere um die Frage, ob bzw. inwieweit im Hinblick auf das geltende Stichtagsprinzip (§ 11 ErbStG) bei der Bewertung von GmbH-Anteilen für Zwecke der Erbschaftsteuer Entwicklungen berücksichtigt werden können, die am Todestag noch nicht verwirklicht aber ggf. absehbar waren. Konkret, inwieweit bei einer Bewertung nach dem IDWS S1 dem Stichtagsprinzip Rechnung zu tragen ist. Hintergrund ist, dass sich das vereinfachte Ertragswertverfahren maßgeblich an der Vergangenheit orientiert, während dem individuellen Ertragswertverfahren (IDW S1) eine zukunftsorientierte Planung zugrunde liegt. Zu dieser Thematik führt der BFH aus, dass sich die gutachterliche Stellungnahme grundsätzlich auf den Stichtag und Bewertungszeitpunkt zu beziehen habe. Dabei dürften aber (evtl. wertmindernde) zukünftige Entwicklungen berücksichtigt werden, soweit mit ihnen am Stichtag bereits konkret zu rechnen ist.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

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