Mit Beschluss vom 06.11.2019 (I R 32/18) legte der BFH dem EuGH einige Zweifelsfragen hinsichtlich des Abzugs sogenannter „finaler“ Verluste einer EU-Freistellungsbetriebsstätte vor.
Mit seiner ersten Vorlagefrage wollte der BFH wissen, ob sich aus der Niederlassungsfreiheit eine Pflicht zur Berücksichtigung finaler Verluste der ausländischen Freistellungsbetriebsstätte beim deutschen Stammhaus ergibt. Generalanwalt Collins kommt in seinen Schlussanträgen vom 10.03.2022 (C‑538/20) zu dem Ergebnis, dass die Niederlassungsfreiheit die Berücksichtigung der finalen Verluste nicht gebietet. Denn mangels objektiv vergleichbarer Sachverhalte liege keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor. Die Situation einer Freistellungsbetriebsstätte sei grundsätzlich mit derjenigen von gebietsansässigen Betriebsstätten objektiv nicht vergleichbar. Der Generalanwalt beruft sich hierbei auf die sog. Symmetriethese, nach der die DBA-Freistellung sowohl Gewinne als auch Verluste umfasse.
Laut dem Generalanwalt sei deshalb auch die EuGH-Rechtsprechung Bevola/Trock (Urteil vom 12.06.2018, C-650/16) mit der Rechtsprechung Timac Agro (17.12.2015, C-388/14) vereinbar, da beiden unterschiedliche Konstellationen zugrunde lägen. Während im ersteren Fall sich die Nichtberücksichtigung aus unilateralen Vorschriften ergäbe, habe die Nichtberücksichtigung im zweiten Fall ihren Grund im DBA.
Sollte der EuGH in seinem nun noch abzuwartenden Urteil entgegen den Schlussanträgen eine Pflicht zur Berücksichtigung finaler Verluste dennoch bejahen, ist der Generalanwalt der Auffassung, dass sich diese dann auch auf die Gewerbesteuer erstrecken sollte (zweite Vorlagefrage). Dabei stützt sich der Generalanwalt u.a. auf die Ausführungen des BFH, wonach die Gewerbesteuer trotz gewisser Unterschiede einer Einkommensteuer gleichkomme. Dagegen solle dem „strukturellen Inlandsbezug (Territorialitätsprinzip)“ keine Bedeutung im Hinblick auf die Berücksichtigung der finalen Verluste zukommen.
Ebenfalls für den Fall, dass der EuGH im Urteil eine grundsätzliche Berücksichtigung bejahen würde, äußerte sich der Generalanwalt auch zur dritten und vierten Frage des BFH zu den Anforderungen an die Finalität der Verluste.
In seiner dritten Vorlagefrage wollte der BFH wissen, ob im Falle der Schließung der in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte "finale" Verluste zu verrechnen sind, obwohl die zumindest theoretische Möglichkeit besteht, dass die Gesellschaft erneut eine Betriebsstätte in dem betreffenden Mitgliedstaat eröffnet, mit deren Gewinnen die früheren Verluste ggf. verrechnet werden könnten. Der Generalanwalt verneint diese Frage zwar, jedoch scheint hier eine sprachliche Ungenauigkeit vorzuliegen, da er zuvor ausdrücklich darauf verweist, dass eine rein hypothetische Nutzung von Verlusten durch eine irgendwann in der Zukunft neu eröffnete Betriebsstätte der Finalität der Verluste nicht entgegenstehen könne.
Ferner kommen nach der Auffassung des Generalanwalts mindestens einmal in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragene Verluste der Betriebsstätte als zu berücksichtigende finale Verluste nicht mehr in Betracht (vierte Vorlagefrage).
Die fünfte Vorlagefrage betreffend die Höhe der finalen Verluste beantwortet der Generalanwalt derart, dass die Berücksichtigung der finalen Verluste der Höhe nach durch diejenigen Verlustbeträge begrenzt sei, die die Gesellschaft in dem betreffenden Belegenheitsstaat der Betriebsstätte hätte ansetzen können, wenn nicht die Verlustberücksichtigung dort ausgeschlossen wäre.
Es bleibt nun abzuwarten, ob der EuGH der Einschätzung des Generalanwalts folgt und den Untergang der finalen grenzüberschreitenden Verluste als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar beurteilt.
Der Volltext der Schlussanträge steht Ihnen auf der Internetseite des EuGH zur Verfügung.
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