Die obersten Finanzbehörden der Länder haben sich in ihren gleichlautenden Ländererlassen zu Anwendungsfragen bei der Vereinigung von mindestens 90 Prozent der Anteile einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft bzw. den Übergang bereits vereinigter Anteile geäußert (sog. Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG). Auch wurden datiert auf denselben Tag die überarbeiteten Ländererlasse zur Anwendung des § 1 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 GrEStG auf Organschaftsfälle veröffentlicht.
Mit der Reform des Grunderwerbsteuersteuergesetzes im Jahr 2021 wurden u.a. die Haltefristen und Beteiligungsgrenzen der bis dato bestehenden Ergänzungstatbestände (§ 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG) auf 10 Jahre erweitert bzw. auf 90 Prozent abgesenkt sowie die Norm des § 1 Abs. 2b GrEStG unter Berücksichtigung der neuen Haltefristen und Beteiligungsgrenzen eingeführt.
Nachdem sich die obersten Finanzbehörden der Länder in Reaktion auf die Grunderwerbsteuerreform mit ihren Erlassen vom 10.05.2022 (BStBl. I, S. 801 bzw. S. 821, vgl. EY-Steuernachricht vom 02.06.2022) zu Anwendungsfragen bei Anteilseignerwechseln an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 2b GrEStG) bzw. Personengesellschaften (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und vom 04.10.2022 (BStBl. I, S. 1451, vgl. EY-Steuernachricht vom 27.10.2022) zur Anwendung der grunderwerbsteuerlichen Börsenklausel (§ 1 Abs. 2c GrEStG) geäußert haben, äußern sie sich nun in ihrem gleichlautenden Ländererlass vom 05.03.2024 zur Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG n.F. Nachfolgend sind die wesentlichen Aussagen des Ländererlasses dargestellt:
- Bestimmung der Anteile einer Gesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 GrEStG:
Mit Blick auf Anteile einer Kapitalgesellschaft – dazu zählen sowohl Geschäftsanteile nach § 5 und §§ 14 ff GmbH sowie Aktien gemäß §§ 8ff AktG – stellt der Erlass klar, dass es auf die mit dem Anteil verbundene Rechtsmacht nicht ankommen soll. Daher sind laut dem Erlass bspw. Vorzugsaktien i.S.d. § 12 AktG nicht anders zu behandeln als mit Stimmrecht ausgestattete Aktien (Tz. 3.1). Das Grunderwerbsteuerrecht folgt somit dem zivilrechtlichen Anteilsbegriff.
Bei grundbesitzenden Personengesellschaften ist für die Frage des Anteils i.S.d. § 1 Abs. 3 GrEStG weiterhin zwischen einem unmittelbaren und mittelbaren Anteilserwerb zu differenzieren. Während bei einem unmittelbaren Anteilserwerb als Anteil einer Personengesellschaft weiterhin die sachenrechtliche Mitberechtigung des Gesellschafters maßgebend ist und somit an der Pro-Kopf-Betrachtung festgehalten wird, entspricht laut dem Erlass im Falle eines mittelbaren Anteilserwerbs der Anteil einer Personengesellschaft – wie bei Kapitalgesellschaften – der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen (Tz. 3.2). - Berücksichtigung mittelbarer Anteilserwerbe:
Im Falle von mittelbaren Anteilserwerben, die zu einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG führen, hält der Erlass an der bisherigen Verwaltungsauffassung fest, wonach bei einem Anteilserwerb von min. 90 Prozent an der zwischengeschalteten Gesellschaft dem Erwerber 100 Prozent der von der zwischengeschalteten Gesellschaft gehaltenen Anteile zuzurechnen sind (Tz. 4). - Mehrfaches Inbetrachtkommen des § 1 Abs. 3 GrEStG:
Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen kann es laut dem Ländererlass aufgrund desselben Rechtsgeschäfts zu einem mehrfachen Auftreten des § 1 Abs. 3 GrEStG auf verschiedenen Ebenen kommen. In solchen Fällen des mehrfachen Inbetrachtkommens des § 1 Abs. 3 GrEStG soll die Anteilsvereinigung grundsätzlich bei demjenigen Rechtsträger verwirklicht werden, der unmittelbar Beteiligter des Rechtsgeschäfts oder des Übergangs ist, der zur Verwirklichung des Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 3 GrEStG führt. Nur sofern der unmittelbar beteiligte Rechtsträger den Vorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG selbst nicht verwirklicht, erfüllt der Rechtsträger – ausgehend von dem unmittelbar beteiligten Rechtsträger – in der Beteiligungskette am nächsten stehende (unterste) Rechtsträger den Vorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG (Tz. 5). Die Ausführungen entsprechen der bereits gängigen Verwaltungspraxis und verdeutlichen, dass die Verwaltung wohl eine Mehrfachbesteuerung ausschließen möchte. - Verstärkung einer bestehenden Anteilsvereinigung:
Weiterhin gilt laut Verwaltungsauffassung, dass die Verstärkung einer schon bestehenden Anteilsvereinigung (z.B. die Verkürzung der Beteiligungskette, der Wechsel einer mittelbaren zu einer unmittelbaren Beteiligung oder die Aufstockung einer Beteiligung) von min. 90 Prozent keinen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG auslöst und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaften in der Beteiligungskette grunderwerbsteuerbar erworben wurden oder nicht (90 Prozent-Beteiligung ausreichend). Anders als für die Frage der Zurechnung von Grundstücken gemäß dem Erlass vom 16.10.2023 (BStBl. I, S. 1872) sollte es mithin nicht auf die Erwerbsreihenfolge (erst Anteilserwerb, dann Grundstückserwerb und umgekehrt) ankommen (Tz. 6). Zudem lassen die Ausführungen des Erlasses systematisch zutreffend darauf schließen, dass anders als in den Fällen des § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG auch die Verkürzung einer unmittelbaren Beteiligung an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft weiterhin nicht nach § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG steuerbar ist (ggf. aber nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG; vgl. Erlass vom 10.05.2022, Tz. 5.2.3.1). - Subsidiarität zu § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG:
§ 1 Abs. 3 GrEStG ist nur anzuwenden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG nicht in Betracht kommt. Damit sind die Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vorrangig anzuwenden. Die Finanzverwaltung bestätigt nun in ihrem Erlass ihre mehrfach geäußerte Auffassung, wonach der Tatbestand nach § 1 Abs. 3 GrEStG aufgrund des Vorrangs von § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG nur dann verdrängt wird, soweit § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 4 GrEStG (Signing) und § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG (Closing) zeitgleich verwirklicht werden. Fallen dagegen die Besteuerungszeitpunkte des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG (Signing) und § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG (Closing) auseinander, wird laut Verwaltungsauffassung das Vorrangverhältnis der Normen zueinander durch § 16 Abs. 4a i.V.m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG gelöst, wonach zunächst eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG beim Erwerber und dann ein Bewegungstatbestand an einer (ggf. auch nur fiktiv) grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG) vorliegt. Das bedeutet, der Vorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG gilt in diesen Fällen stets als verwirklicht. Dies soll laut des gleich lautenden Erlasses auch dann gelten, wenn die Steuer nach § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG aufgrund einer Befreiungsvorschrift nicht erhoben worden ist (Tz. 7.1). - Verfahrensrechtliche Abläufe:
Weiterhin hält die Verwaltung an ihrer Auffassung fest, wonach eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG geboten ist, sofern bis zu einem Jahr nach der Verwirklichung nach § 1 Abs. 3 GrEStG (Signing) eine Verwirklichung nach § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG (Closing) nicht mehr zu erwarten ist (vgl. auch Erlass vom 10.05.2022, Tz. 8.2). D.h. eine Festsetzung der Anteilsvereinigung beim Signing unterbleibt nur, wenn das Closing innerhalb von 12 Monaten nach dem Signing erfolgt („1-Jahresregelung“, Tz. 7.2). Dagegen sieht die Norm des § 16 Abs. 4a GrEStG eine Festsetzung der Steuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG stets vor; eine Aufhebung oder Änderung erfolgt sodann nur bei Erfüllen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG (insbesondere fristgerechte und vollständige Anzeige zum Zeitpunkt des Signing und zum Zeitpunkt des Closing). Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG nicht vorliegen und noch keine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG erfolgt ist, ist laut des gleich lautenden Erlasses die Festsetzung nachzuholen. - Anwendung der §§ 3, 4, und 6 GrEStG:
Zudem äußert sich der Erlass zu den bereits bekannten, für die Anwendung der Steuerbefreiungsvorschriften relevanten Grundsätze zu den Erwerbsfiktionen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 auf der einen und Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG auf der anderen Seite und enthält insbesondere weitergehende Ausführungen zum Umfang der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 GrEStG bei der gemischten Schenkung (Tz. 8).
Im Übrigen gibt der Erlass bekannte Grundsätze wieder, insbesondere zur Anrechnung nach § 1 Abs. 6 GrEStG (Tz. 9), zum Steuerschuldner (Tz. 12) und zu den Anzeigepflichten (Tz. 13). Er verweist zudem in Tz. 14 auf die gleich lautenden Erlasse zu Treuhandgeschäften (Erlass vom 19.09.2018, BStBl. I, S. 1074) und auf die redaktionell überarbeiteten Erlasse zur Anwendung des § 1 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 GrEStG auf Organschaftsfälle (Erlass vom 05.03.2024).
Die gleichlautenden Erlasse sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Erwerbsvorgänge, die vor dem 01.07.2021 verwirklicht werden, sowie für Erwerbsvorgänge, die in den Anwendungsbereich der Übergangsregelung des § 23 Abs. 21 GrEStG fallen, gelten die Erlasse mit der Maßgabe, dass die Beteiligungsgrenze von 95 Prozent anzuwenden ist.