Un- oder versteuerte Energieerzeugnisse: Unterschiedlicher Festsetzungsbeginn

Mit Urteil vom 19.10.2021 (VII R 26/20) stellt der BFH fest, dass beim Bezug von unversteuerten Energieerzeugnissen die Festsetzungsfrist im Rahmen einer Entlastungsnorm erst mit der Festsetzung der Energiesteuer beginnt. Damit weicht er von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, nach der auf den Zeitpunkt der Verwendung des Energieerzeugnisses abgestellt worden ist. 

Nimmt ein Unternehmen eine Entlastung von der Strom- oder Energiesteuer in Anspruch, ist nicht nur erforderlich, dass der Strom bzw. das Energieerzeugnis für entlastungsfähige Zwecke verwendet worden ist, sondern es ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Fristen zur Einreichung der Anträge eingehalten werden. Vor allem das Versäumen der Antragsfrist führt in der Praxis dazu, dass die Zollverwaltung einem Entlastungsantrag nicht stattgibt.

Ein solcher Fall wurde dem BFH nun zur Entscheidung vorgelegt. Die Klägerin reichte zum 31.12.2018 beim zuständigen Hauptzollamt einen Antrag auf Entlastung von der Energiesteuer für Zwecke der Schifffahrt nach § 52 Abs. 1 EnergieStG ein. Zuvor wurde im Rahmen einer Steueraufsichtsmaßnahme durch die Zollbehörden aufgedeckt, dass die Energieerzeugnisse zu Unrecht unversteuert bezogen worden sind. Daher wurde zum 21.12.2017 die entsprechende Energiesteuer festgesetzt. Der daraufhin eingereichte Entlastungsantrag wurde vom Hauptzollamt jedoch abgelehnt mit dem Hinweis, dass die einjährige Antragsfrist für diese im Jahr 2016 verwendeten Energieerzeugnisse nach § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV bereits zum 31.12.2017 abgelaufen sei. Außerdem habe auch die einjährige Festsetzungsverjährung bereits geendet, da ihr Lauf bereits mit Verwendung der Energieerzeugnisse im Jahre 2016 begann, so die Auffassung des Hauptzollamts.

Hierzu führt der BFH aus, dass die Antragsfrist erst mit Ablauf des 31.12.2018 abgelaufen sei, da die Energiesteuer im Streitfall erst am 21.12.2017 festgesetzt worden ist. Damit wäre die Antragsfrist mit dem Antrag am 31.12.2018 durch die Klägerin gewahrt worden. Allerdings würde selbst ein Versäumnis dieser Antragsfrist dem Entlastungsanspruch nicht entgegenstehen wegen der ständigen Rechtsprechung des EuGHs. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Maßnahmen, welche die Mitgliedstaaten erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Demnach verstößt es gegen Unionsrecht, wenn die Verletzung nationaler formeller Anforderungen dadurch sanktioniert wird, dass eine obligatorische Steuerbegünstigung i.S.d. Energiesteuerrechtlinie verweigert wird (insb. EuGH-Urteil „Petrotel-Lukoil“ vom 07.11.2019, Rs. C-68/18). Die obligatorischen Steuerbegünstigungen sind u.a. der Einsatz von Strom/Energieerzeugnissen zur Stromerzeugung sowie die Verwendung von Energieerzeugnissen für die Luft- und Schifffahrt.

Darüber hinaus ist nach Auffassung des BFH auch die Festsetzungsverjährung im vorliegenden Fall noch nicht eingetreten. Die Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Steuervergütungsanspruch infolge der Verwirklichung des Entlastungstatbestandes entstanden ist. Voraussetzung für die Entstehung des Entlastungsanspruchs wiederum ist in der Regel nach dem Gesetzeswortlaut u.a. die nachweisliche Versteuerung der verwendeten Energieerzeugnisse. Zu diesem Thema war für den BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung (siehe u.a. Urteil vom 20.09.2016, VII R 7/16) der Zeitpunkt der Verwendung des Energieerzeugnisses maßgeblich. Jetzt stellte der BFH allerdings fest, dass diese bisherige Rechtsprechung hierzu keine Anwendung findet, da – anders als in den bislang entschiedenen Fällen – die Energieerzeugnisse nicht unversteuert, sondern versteuert bezogen worden sind (was sich aus den Rechnungen bzw. Lieferscheinen ergab). In den hier betroffenen Fällen des versteuerten Bezugs entstehe der Entlastungsanspruch jedoch nicht bereits mit der Verwendung der Energieerzeugnisse, sondern frühestens mit der Festsetzung der entstandenen Energiesteuer. Vorher könne nicht von einer nachweislichen Versteuerung ausgegangen werden. Als denkbarer Anknüpfungspunkt kommt im streitgegenständlichen Fall die Festsetzung der Energiesteuer mit den Bescheiden vom 21.12.2017 in Frage, sodass die Festsetzungsverjährung erst am 31.12.2018 eingetreten ist. Der Entlastungsantrag der Klägerin war also rechtzeitig eingegangen (BFH-Urteil vom 19.10.2021, VII R 26/20).

In der Praxis könnte das aktuelle BFH-Urteil bedeuten, dass künftig unterschiedliche Festsetzungsfristen für versteuerte und unversteuerte Energieerzeugnisse zu berücksichtigen wären. Beim Bezug von versteuerten Energieerzeugnissen beginnt die einjährige Festsetzungsverjährung des etwaigen Entlastungsanspruchs offenbar in der Regel weiterhin mit der Verwendung der Energieerzeugnisse. In Abgrenzung dazu läuft die Festsetzungsfrist bei unversteuertem Bezug wohl erst mit der Festsetzung an (d.h. Versteuerung). Insbesondere für Versorger von Strom und Lieferer von unversteuerten Energieerzeugnissen kann dies neue Möglichkeiten bei der Durchsetzung von Entlastungsansprüchen schaffen.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.

 

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