Ob eine erste Tätigkeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 4 EStG vorliegt bzw. wo sich diese befindet, hat Auswirkungen auf den Abzug bestimmter Werbungskosten (wie etwa Reisekosten oder Entfernungspauschale), aber auch auf den Ansatz eines geldwerten Vorteils für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte, wenn für diese Fahrten ein Dienstwagen zur Verfügung steht. Das Finanzgericht (FG) Mecklenburg-Vorpommern ist in einem neu veröffentlichten Urteil im Fall eines Bauleiters zu dem Schluss gekommen, dass dieser keine erste Tätigkeitsstätte hatte (3 K 6/20). Gegen die Entscheidung ist die Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH) anhängig (VI R 27/21). Ebenfalls vor dem BFH anhängig ist eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz zur ersten Tätigkeitsstätte eines Feuerwehrmanns, der laut Arbeitsvertrag auf mehreren Wachen eingesetzt werden konnte (6 K 1475/18). Auch hier hat das FG verneint, dass eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt (Revision anhängig, BFH, VI R 48/20).
"Today, it takes more brains and effort to make out the income tax form than it does to make the income."
Alfred E. Neuman, fiktiver Charakter im US-amerikanischen Satiremagazin „Mad“
Erste Tätigkeitsstätte
Gesetzliche Regelung
Der Gesetzgeber hat seit 2014 den Begriff der ersten Tätigkeitsstätte gesetzlich definiert. Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist, § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG. Über die Frage, wann diese Kriterien erfüllt sind, hat der BFH bereits in mehreren Urteilen entschieden.
So kommt es für die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte nicht (mehr) auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen sind, die arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich geschuldet werden und die zu dem ausgeübten Berufsbild gehören (Urteil vom 04.04.2019, VI R 27/17). Im Urteilsfall hatte ein Polizeibeamter seinen ihm zugeordneten Dienstsitz an jedem Arbeitstag aufgesucht.
BFH-Rechtsprechung
Laut BFH wird die Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie durch Absprachen, die diese ausfüllen, bestimmt. Eine gesonderte Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke ist nicht erforderlich. Die Zuordnung muss auch nicht ausdrücklich erfolgen (Urteil vom 11.04.2019, VI R 40/16). Im Streitfall hatte eine Kopilotin am betreffenden Flughafen insbesondere vor jedem Abflug verschiedene vorbereitende Tätigkeiten zu erledigen. Sie hatte im Streitjahr 24 dienstliche Einsätze und war an 39 Arbeitstagen von ihrem Wohnort zum Flughafen und von dort zurückgereist. Diese Grundsätze sind auch für den neu vom FG Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall relevant.
Erste Tätigkeitsstätte eines Bauleiters
Sachverhalt
0,03 %-Regel angewendet
Der Kläger wohnt in Deutschland und ist bei einem international tätigen großen Bauunternehmen als Bauleiter tätig. Im Arbeitsvertrag wird lediglich der Einstellungsort genannt. Dort befindet sich auch eine Niederlassung des Arbeitgebers. Die Fahrten zwischen dem Wohnort und dieser Niederlassung wurden vom Arbeitgeber nach der sogenannten 0,03 %-Regel versteuert.
Laut Finanzamt keine Einsatzwechseltätigkeit
Im Rahmen der Veranlagung für das Streitjahr 2015 machte der Kläger geltend, die Niederlassung sei keine erste Tätigkeitsstätte. Er setzte für 178 Tage Verpflegungsmehraufwendungen und für 234 Tage die Entfernungspauschale an. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Verpflegungsaufwendungen ab. Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage verlangte der Kläger die Kürzung des Bruttolohns statt des Abzugs der Entfernungspauschale als Werbungskosten. Als Begründung führte er an, er habe keine erste Tätigkeitsstätte, sondern übe eine Einsatzwechseltätigkeit aus. Die Begrenzung der Abzugsfähigkeit dieser Aufwendungen auf drei Monate sei daher in seinem Fall nicht maßgeblich. Für den Ansatz von Mehraufwendungen für Verpflegung sei seine Abwesenheit von seiner Wohnung und nicht von einer ersten Tätigkeitsstätte maßgeblich.
Urteil
Das FG hat aus den folgenden Gründen das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte verneint:
Keine arbeitsrechtliche Zuordnung
Zum einen wurde keine arbeitsrechtliche Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte getroffen. Der Arbeitsvertrag bezeichnet den Ort der Niederlassung lediglich als Einstellungsort, nicht etwa als Tätigkeits- oder Arbeitsort. Damit sei der Kläger höchstens dem Bezirk der Niederlassung im betreffenden Ort zugeordnet worden, nicht aber der ortsfesten betrieblichen Einrichtung. Andere mündliche oder schriftliche Absprachen über die Zuweisung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung am Ort der Niederlassung seien nicht getroffen wurden.