Gegenstand des Urteils des Finanzgerichts Hamburg vom 16. November 2021, 4 K 19/20 (Revision anhängig, BFH-Az. VII R 31/21) war die Steuerbefreiung zur Stromerzeugung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG beim Betrieb eines Steinkohlekraftwerks, in dem neben eigenen Mitarbeitern des Kraftwerksbetreibers auch Mitarbeiter eines fremden Dienstleistungsunternehmens tätig waren. Weiter fielen im Kraftwerk große Mengen Asche, Gips und Schlacke an, die anschließend vermarktet wurden. Das FG hat hier in zweierlei Hinsicht Neuland betreten. So kam es zu dem Ergebnis, dass die bisherige BFH-Rechtsprechung zum Verwenderbegriff nicht auf die Stromsteuerbefreiung zur Stromerzeugung übertragen werden könne. Ferner wurde die energiesteuerrechtliche Kuppelprodukte-Rechtsprechung von BFH und EuGH nun auch bei der Stromsteuerbefreiung angewendet.
Neuer Verwenderbegriff i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG
Der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG stand aus Sicht der Hamburger Richter nicht entgegen, dass bestimmte Stromentnahmen durch Personal eines anderen Dienstleistungsunternehmens auf dem Kraftwerksgelände erfolgten.
Im Bereich der Stromsteuerbegünstigung für Unternehmen nach § 9b StromStG werde nach der nationalen Regelungslage wesentlich darauf abgestellt, dass Begünstigter nur die kleinste rechtlich selbstständige Einheit im Sinne des § 2 Nr. 4 StromStG sein kann, die den Realakt der Stromentnahme durchführt. Nach den Wertungen des Gesetzgebers sei auf eine rein formale Betrachtungsweise und damit auf das prägende Merkmal der rechtlichen Selbständigkeit abzustellen.
Diese Sichtweise ist nach Auffassung der Hamburger Richter nicht auf die Stromsteuerbefreiung zur Stromerzeugung übertragbar, weil zwischen den Vorschriften des § 9b StromStG und des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG entscheidende systematische und dogmatische Unterschiede bestünden. § 9b StromStG beziehe sich auf den Produktionszweck eines bestimmten Unternehmens und das damit einhergehende Kriterium der kleinsten rechtlich selbstständigen Einheit nach § 2 Nr. 4 StromStG. Dahingegen seien der im vorliegenden Fall anwendbare § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG und dessen unionsrechtliche Grundlage nicht unternehmensbezogen, sondern vorgangsbezogen bzw. prozessbezogen ausgestaltet. Eine Zurechnung der Stromentnahme bei arbeitsteiliger betrieblicher Integration eines Subunternehmens sei demnach bei § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG grundsätzlich möglich, jedenfalls dann, wenn das Strom erzeugende Unternehmen die Sachherrschaft über die dem Stromerzeugungsprozess dienende Anlagen, Anlagenbestandteile und Entnahmevorgänge ausübe und die Betriebsvorgänge steuere.
Übertragung der Kuppelprodukte-Rechtsprechung auf die Stromsteuer
Nicht steuerbefreit waren aus Sicht des Finanzgerichts Hamburg die für Schlackeabzug, -trocknung und -lagerung, Gipstrocknung und -lagerung sowie für den Betrieb der Aschesilos im Kraftwerk entnommenen Strommengen. Aus Sicht des Finanzgerichts Hamburg sei hier die energiesteuerrechtliche Judikatur zum Herstellungsbetrieb anzuwenden. So könne die energiesteuerliche Steuerbefreiung nur für die Herstellung von Energieerzeugnissen in Anspruch genommen werden, nicht aber für die Herstellung anderer bei der Produktion anfallender Kuppelprodukte (BFH, Urteil vom 19. März 2019, VII R 13/18 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 6. Juni 2018, C-49/17,Koppers Denmark). Auch verwiesen die Richter auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Repsol Petroleo (EuGH, Urteil vom 3. Dezember 2020, C-44/19), wonach eine anteilige Besteuerung der Energieerzeugnisse im Hinblick auf die Notwendigkeit, einen unverfälschten Wettbewerb zu wahren, geboten sei.
Diese Grundsätze wendet das FG Hamburg nun auch auf die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG an. Würde man den hier verwendeten Strom ebenfalls stromsteuerfrei stellen, würde der Wettbewerb zwischen Anbietern von Gips, Asche und Schlacke verzerrt, die keinen Strom erzeugen. Der Einwand der Klägerin, sie habe mit der Abgabe der Schlacke keine Erlöse erzielt, sondern für die Abnahme der Schlacke ein Entgelt zahlen müssen, führte aus Sicht der Hamburger Richter zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Klägerin würde auch bei dieser Betrachtung bei einer Stromsteuerbefreiung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Betrieben genießen, die für ihre Schlackeproduktion keine Stromsteuerbefreiung in Anspruch nehmen könnten.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob der BFH der v.g. Auffassung des Finanzgerichts Hamburg folgen wird. Betroffene Unternehmen sollten in Bezug auf die Verwendereigenschaft i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG nun prüfen, ob es in vergleichbaren Fällen zu einem Wechsel der Person des Begünstigten kommen kann. Bei der Herstellung von Kuppelprodukten im Rahmen der Stromerzeugung empfiehlt es sich aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten, die entsprechenden Strommengen bei Anwendung der Steuerbefreiung im Rahmen der Steuerveranlagung offenzulegen, um eine abweichende Festsetzung der Zollverwaltung zu ermöglichen und das Verfahren bis zu einer endgültigen Entscheidung des BFH ruhend zu stellen.
Co-Autor: RA Ralf Reuter