BMF zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren

 

In einem aktuellen Merkblatt nimmt die Finanzverwaltung zu Streitbeilegungsverfahren nach DBA, nach der EU-Schiedskonvention und nach dem EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz Stellung. Zudem werden allgemeine, prozessuale Anwendungsfragen bzgl. aller Verfahren geklärt. Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender rechtlicher Unsicherheiten bei der Anwendung und Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist das aktualisierte Merkblatt von hoher praktischer Relevanz.

Mit Schreiben vom 27.08.2021 aktualisiert die Finanzverwaltung ihr „Merkblatt zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren (Streitbeilegungsverfahren)“, das zuletzt im Oktober 2018 angepasst wurde. Das Merkblatt enthält sowohl allgemeine, zum Teil verschärfende Ausführungen zur prozessualen Durchführung der Verfahren. Zum anderen erläutert das Schreiben detailliert die Durchführung der drei möglichen Streitbeilegungsverfahrensarten. Nicht behandelt werden Fälle der Vorab-Streitvermeidung (z.B. Advanced-Pricing-Agreements, APAs).

Das EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) eröffnet eine Alternative zu den Verfahren nach einem DBA oder nach der EU-Schiedskonvention. Die Details dieser neuen Option nach dem EU-DBA-SBG werden nun in das Merkblatt eingearbeitet (u.a. allgemeine Ausführungen wie zur Einleitung und Antragstellung eines Verständigungs- und Schiedsverfahrens). Das EU-DBA-SBG gilt für Steuerjahre, die am oder nach dem 01.01.2018 beginnen. In Abstimmung mit der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedsstaats will die Finanzverwaltung auf Wunsch des Steuerpflichtigen die Verfahren nach dem EU-DBA-SBG auch bereits früher anwenden. Dies soll aber keine Präzedenzwirkung über den Einzelfall hinaus haben (Rn. 146 f.). Des Weiteren sieht das Merkblatt entsprechend dem EU-DBA-SBG Verfahrenserleichterungen für natürliche Personen und kleinere Unternehmen vor. Diese müssen z.B. bestimmte Unterlagen lediglich beim BZSt und nicht auch bei der ausländischen Behörde einreichen (Rn. 150).

Neben dem Streitbeilegungsverfahren nach dem EU-DBA-SBG besteht weiterhin die Möglichkeit eines Streitbeilegungsverfahrens (Verständigungs- oder Schiedsverfahren) entweder nach den einzelnen DBA oder nach der EU-Schiedskonvention. Entsprechend EU-DBA-SBG soll es allerdings nicht möglich sein, ein EU-DBA-SBG Verfahren parallel zu einem Verständigungsverfahren nach DBA oder nach EU-Schiedskonvention zu führen (Rn. 9 ff.). Auch bezüglich des Konkurrenzverhältnisses zwischen Verfahren nach DBA und Schiedskonvention soll sich der Steuerpflichtige nach Auffassung der Finanzverwaltung für ein Verfahren entscheiden müssen. Zur Wahrung seiner Rechtspositionen und zur Verhinderung des Ablaufs von Antragsfristen ist Steuerpflichtigen unseres Erachtens weiterhin anzuraten, die Anträge nicht nur auf einen Verfahrensweg zu beschränken.  

Bevor das Merkblatt in die Details der drei verschiedenen Streitbeilegungsverfahrensarten eintaucht, werden allgemeine, prozessuale Ausführungen zu allen Verständigungsverfahren getroffen. Diese verschärfen zum Teil die bestehenden Regelungen bzw. die langjährig geübte Verfahrenspraxis.

Grundsätzlich soll der Antrag in deutscher Sprache gestellt werden. Zudem soll eine Übersetzung in der gemeinsamen Arbeitssprache der betroffenen Länder beizufügen sein. Nur nach vorheriger Zustimmung des BZSt und der zuständigen Landesfinanzbehörde soll es möglich sein, nur einen Antrag in gemeinsamer Arbeitssprache (i.d.R. englisch) zu stellen. Besondere Bedeutung hat dies für den Beginn von Fristen: Denn der Antrag gilt bei nachträglicher Zustimmung der Behörden erst ab diesem Zeitpunkt als gestellt. Für Zwecke der Wahrung der Antragsfrist wird aber auf den Eingang des Antrags abgestellt (Rn. 62). Kritisch ist die Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein Antrag nur dann fristwahrend eingereicht sei, wenn alle im Merkblatt als notwendig erachteten Unterlagen vorgelegt wurden (Rn. 58). Statt die notwendigen Unterlagen entsprechend den abgabenrechtlichen Regelungen für einen fristwahrenden Einspruch auf einige Kerninformationen zu beschränken, dehnt die Finanzverwaltung die Anforderung deutlich aus. Neben den allgemeinen Standardangaben wie Anschrift, Steuernummer und Ähnliches fordert sie auch eine umfassende Sachverhaltsdokumentation zu den Tatsachen und Umständen im Sinne einer Antragsbegründung. Die Verknüpfung dieser Anforderung mit der Antragsfrist kann eine deutliche Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen in ein Streitbeilegungsverfahren darstellen, insbesondere wenn die Finanzverwaltung übermäßige Anforderungen an den Umfang der Sachverhaltsdokumentation stellt. Fraglich ist unseres Erachtens, ob dies mit den allgemeinen abgabenrechtlichen Grundsätzen zu vereinbaren ist.

Bedeutsam sind auch die allgemeinen Ausführungen zur Antragstellung von Personengesellschaften (Rn. 42 ff.). Personengesellschaften selbst sind keine ansässigen Personen i.S.v. Art. 4 Abs. 1 VerhGl. Allerdings sind die einzelnen Gesellschafter abkommens- und übereinkommensberechtigt, wenn sie in einem der Vertragsstaaten ansässig sind. Damit können die Gesellschafter die entsprechenden Anträge auf Streitbeilegungsverfahren stellen. Das BMF führt aus, dass dabei die Anträge von allen Gesellschaftern gestellt werden müssten, sodass die steuerlichen Konsequenzen aus einem (erfolgreichen) Verfahren auch für alle Gesellschafter gezogen werden können, sofern sie abkommens- bzw. übereinkommensberechtigt sind. Der Antrag ist i.d.R. bei der zuständigen Behörde des Ansässigkeitsstaats des jeweiligen Gesellschafters einzureichen. Offen lässt das Merkblatt das Vorgehen in Dreieckskonstellationen. So kann es z.B. so liegen, dass die Personengesellschafter zwar nicht in einem der Vertragsstaaten ansässig sind, zwischen denen eine Verrechnungspreiskorrektur zwischen Personengesellschaft und verbundenen Unternehmen stattfindet, sondern in einem anderen DBA-Staat. In diesem Fall ist betroffenen Steuerpflichtigen zu raten, die Anträge auf Verständigungsverfahren in allen betroffenen Staaten zu stellen.

Zum Verhältnis der Streitbeilegungsverfahren zu nationalen Rechtsbehelfsverfahren erhält das Merkblatt einige klarstellende Hinweise. So bestätigt die Finanzverwaltung, dass es zulässig ist, gleichzeitig ein innerstaatliches Rechtsbehelfsverfahren und ein internationales Streitbeilegungsverfahren über denselben Streitgegenstand zu führen. Offen bleibt allerdings weiterhin, ob die Finanzverwaltung auch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils eines deutschen Gerichts die Durchführung eines Verständigungsverfahrens oder eines Schiedsverfahrens mit möglichem anderem Ausgang als möglich erachtet (Rn. 14). Ausführlich nimmt die Finanzverwaltung auch zum Verhältnis von Verständigungsverfahren zu Erstattungsverfahren für einbehaltene Quellensteuer Stellung. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung die Antragsfrist für ein Verständigungsverfahren durch den ursprünglichen Quellensteuerabzug ausgelöst wird (Rn. 19). Da Entscheidungen über Erstattungsanträge in nicht wenigen Fällen erst nach Ablauf der Antragsfristen in den jeweiligen DBA bzw. des EU-DBA-SBG vorliegen werden, ist Steuerpflichtigen auch hier zu empfehlen, zur Wahrung ihrer Rechtsposition Anträge ggf. bereits vorsorglich zu stellen, d.h. noch bevor über den Erstattungsantrag entschieden wurde. Zudem soll auch in Fällen, in denen der Antragsteller die für das Erstattungsverfahren geltenden Voraussetzungen nicht beachtet hat, die Einleitung eines Verständigungsverfahrens hinsichtlich des Quellensteuerabzugs unbegründet sein (Rn. 17).

Das Merkblatt enthält auch einige verfahrensrechtliche Klarstellungen. So soll ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 AO nach den allgemeinen Regeln des Verfahrensrechts nur in Verbindung mit einem Einspruch beantragt werden können. Bei der strittigen Frage, ob die Verständigungsvereinbarung nach § 175a Satz 1 AO ungeachtet der Bestandskraft deutscher Bescheide umgesetzt werden kann bzw. ob § 175a Satz 2 AO eine aufschiebend bedingte Ablaufhemmung beinhaltet, positioniert sich die Finanzverwaltung erfreulicherweise in ihrem Merkblatt klar dafür. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist im möglichen Umfang der Bindungswirkung der Verständigungsvereinbarung solange gehemmt, wie nach den für die Durchführung und den Abschluss einer Verständigungsvereinbarung maßgeblichen völkerrechtlichen Vereinbarungen die Einleitung eines Verständigungsverfahrens ungeachtet der nach nationalem Recht maßgebenden Festsetzungsfrist möglich ist (Rn. 94).

Abschließend enthält das Merkblatt in der neuen Fassung eine Auflistung der deutschen DBA, in denen eine Schiedsklausel und ggf. eine Verständigungsvereinbarung über die Anwendung des Schiedsverfahrens enthalten ist (Rn. 110 und Anlage).

Der Volltext des Schreibens steht Ihnen auf der Internetseite des BMF zur Verfügung.

Direkt zum BMF-Schreiben kommen Sie hier.

 

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