Nach Auffassung des BFH sind die Entlastungen nach § 9b und § 10 StromStG Beihilfen i.S.d. des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Für Unternehmen in Schwierigkeiten steht daher einer Entlastung das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen. Der BFH äußert sich dabei zu der Frage, wann ein Unternehmen als ein Unternehmen in Schwierigkeiten einzuordnen ist.
Nach den §§ 9a bis 10 StromStG können bestimmte Unternehmen, die Strom für begünstigte Zwecke entnommen haben, eine Entlastung von der Stromsteuer beim zuständigen Hauptzollamt beantragen. Diese Entlastung ist als Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren und unterliegt damit dem sog. Durchführungsverbot i.S.v. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV. Der BFH entschied mit Urteil vom 19.01.2022 (VII R 28/19) über einen Fall vor der Neuregelung des § 2a Abs. 2 Satz 1 StromStG (Grundsätzlich keine Entlastung, Ermäßigung oder Befreiung für Unternehmen in Schwierigkeiten). Im Streitfall beantragte eine überschuldete Gesellschaft eine Entlastung nach § 9b und § 10 StromStG, welche vom Hauptzollamt abgelehnt wurde. Der BFH entschied, dass der Gewährung der Entlastung unionsrechtliche Einschränkungen entgegenstehen. Mit der AGVO hat die Europäische Kommission für bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen mit Wirkung vom 01.07.2014 Regelungen geschaffen, die Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen allgemeingültig zulassen, ohne dass dafür im Einzelfall ein Beschluss i.S.v. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV erforderlich ist. Die AGVO gilt jedoch grundsätzlich nicht für Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten (Art. 1 Abs. 4 lit. c AGVO). Unternehmen in Schwierigkeiten sind nach Art. 2 Nr. 18 AGVO solche Unternehmen, auf die mindestens einer der dort genannten Umstände zutrifft. Dies ist bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (wie hier im Streitfall eine deutsche GmbH) dann der Fall, wenn mehr als die Hälfte des Stammkapitals durch aufgelaufene Verluste verloren gegangen ist Eine positive Fortführungsprognose steht der Qualifizierung als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ nicht entgegen und da die AGVO eine detaillierte Untersuchung hinfällig machen soll, ist auch kein Raum für Prognosen. Außerdem betont der BFH, dass die AGVO bei der Definition des Unternehmens in Schwierigkeiten konkret auf die einzelne GmbH abstellt, die die Beihilfe beantragt. Daher komme es nicht auf die wirtschaftliche Einheit – Konzernverbund – an, in die das einzelne Unternehmen eingebunden ist (Ausnahmen wie ein ggf. bestehender Ergebnisabführungsvertrag sind im Einzelfall zu prüfen). Eine Vorlage an den EuGH sah der BFH nicht als erforderlich an.
Bei der Inanspruchnahme von Entlastungen und anderen Begünstigungen ist daher zu ermitteln, ob die betroffene Unternehmung tatsächlich keine der Kriterien als sog. Unternehmen in Schwierigkeiten erfüllt. Seit einigen Jahren ist zusätzlich zur Bestätigung der wirtschaftlichen Situation bei Antragstellungen das zollamtliche Formular 1139 „Selbsterklärung zu staatlichen Beihilfen“ beizufügen. Das BFH Urteil zeigt erneut, dass vor Ausstellung dieser Selbsterklärung eine sorgfältige Prüfung stattzufinden hat.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.
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