Der BFH äußert sich in vier Urteilen (u.a.) zur finanziellen Eingliederung bei ertragsteuerlicher Organschaft im Zusammenhang mit Umwandlungen des Organträgers bzw. auf den Organträger. Zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung kam es jeweils zum Streit, weil der umwandlungssteuerliche Übertragungszeitpunkt mangels Rückwirkung vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft abwich. Für den Steuerpflichtigen positiv: Der BFH sieht eine breite Wirkung der sog. Fußstapfentheorie und widerspricht der Ansicht der Finanzverwaltung.
Für eine ertragsteuerliche Organschaft muss die Organgesellschaft in den Organträger finanziell eingegliedert sein (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG), mithin muss dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft ununterbrochen zustehen, und das vom Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft. Wenn ein Organträger nach den Vorschriften des UmwG auf ein anderes Unternehmen verschmolzen wird, tritt umwandlungsrechtlich Gesamtrechtsnachfolge ein. Ertragsteuerlich tritt der übernehmende Rechtsträger in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein. Dies gilt auch für die Organträgereigenschaft. Das bedeutet, dass die Organträgereigenschaft für ein bestehendes Organschaftsverhältnis auf das übernehmende Unternehmen übergeht. Die Wirkungen der Umwandlung erstrecken sich sowohl auf die Zurechnung der Beteiligung – und damit auf die finanzielle Eingliederung – als auch auf den Übergang des Ergebnisabführungsvertrags. Streitanfällig war dies u.a. in Fällen, in denen der steuerliche Übertragungszeitpunkt nicht mit dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zusammenfällt.
Zu der Frage, ob in diesen Fällen eine finanzielle Eingliederung besteht, äußert sich der BFH in vier Urteilen, in denen entweder der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag bei Verschmelzungen einer Kapitalgesellschaft als Organträger nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wurde (BFH, Urteil vom 11.07.2023, I R 45/20, I R 36/20 und I R 21/20) oder in einem Fall des Anteilstauschs nicht zurückbezogen werden konnte (BFH, Urteil v. 11.07.2023, I R 40/20). Der BFH entscheidet in allen Fällen, dass der übernehmende Rechtsträger als („neuer“) Organträger auch dann in die bereits beim übertragenden Rechtsträger (als „alter“ Organträger) erfüllte Voraussetzung einer finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft eintritt, wenn die Umwandlung steuerlich nicht bis zum Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird (oder werden konnte) und widerspricht damit der Auffassung der Finanzverwaltung im Umwandlungssteuererlass (BMF-Schreiben vom 11.11.2011, Rz. Org. 02; ebenso in Rz. Org. 02 des Umwandlungssteuererlass-Entwurfs vom 11.10.2023). Im Einzelnen ergeben sich folgende Aspekte:
Verschmelzung des „alten“ Organträgers auf den „neuen“ Organträger (I R 45/20):
Die Verschmelzung erfolgte im Jahr 2012; steuerlicher Übertragungsstichtag war der 30.12.2011, das Wirtschaftsjahr des Übertragers lief vom 01.12. bis zum 30.11. eines Jahres. Übertrager und Übernehmer waren jeweils Kapitalgesellschaften. Das Finanzamt nahm eine „Organschaftslücke“ an, da die Organgesellschaft vom 01.01.2011 bis zum 30.12.2011 in den übertragenden Rechtsträger (als „alten“ Organträger) und erst anschließend (ab dem Übertragungsstichtag) in den „neuen“ Organträger finanziell eingegliedert gewesen sei. Auch in diesem Fall hat der BFH aber die Auffassung der Finanzverwaltung verworfen und geurteilt, dass die übernehmende Körperschaft umfassend und vorbehaltlos in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintrete und dies auch für die körperschaftsteuerrechtlichen Organschaftsvoraussetzungen gelte (§ 12 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1995). Es sei daher ausreichend, wenn ab dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger bestehe.
Der BFH wendet damit die sog. Fußstapfentheorie an und entwickelt seine Rechtsprechung hierzu fort. Er führt dazu aus, dass der übernehmende Rechtsträger hinsichtlich der finanziellen Eingliederung nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers eintrete und es daher unerheblich sei, ob der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen werde oder nicht. Allein die Rechtsfolge der § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 führe zur finanziellen Eingliederung. Ebenfalls unerheblich sei es, ob der „neue“ Organträger zum Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft rechtlich bereits existiere. Denn die umwandlungssteuerliche Rechtsnachfolge beziehe sich nicht auf die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft als solche, sondern auf die einzelnen Merkmale einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft, soweit sie von § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG erfasst werden. Damit setze sie nicht voraus, dass beim übertragenden Rechtsträger sämtliche Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft erfüllt waren. Maßgebend sei allein die Stellung des übertragenden Rechtsträgers, in die der übernehmende Rechtsträger zum Zeitpunkt der Rechtsnachfolge eintritt.
Im Urteilsfall I R 36/20 zu einem Fall der Aufwärtsverschmelzung eines Organträgers äußert sich der BFH zudem zum Umfang der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG. Diese umfasse neben dem zuzurechnenden Einkommen zumindest „incidenter“ auch den Status des (Nicht-) Bestehens einer Organschaft. Außerdem führt der BFH in diesem Urteil aus, dass in Verschmelzungsfällen, in denen während der fünfjährigen Mindestvertragslaufzeit der Ergebnisabführungsvertrag (EAV) erlischt, dies in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG unschädlich sei. Die Konfusion stelle einen wichtigen Grund für die Nichteinhaltung der Mindestvertragslaufzeit dar.
Des Weiteren führt der BFH in den Urteilsfällen I R 36/20 u. I R 21/20 aus, dass das Merkmal der Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG) – wie die finanzielle Eingliederung – Gegenstand einer umwandlungssteuerlichen Rechtsnachfolge nach § 12 Abs. 3 (oder § 4 Abs. 2 Satz 1) i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG sein könne.
Im Urteilsfall I R 40/20 zum qualifizierten Anteilstausch, in dem der Übernehmer einen Antrag auf Ansatz der Anteile unter dem gemeinen Wert gestellt hatte, sei der Verweis in § 23 Abs. 1 UmwStG auf § 12 Abs. 3 und § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG für die Anwendung der Rechtsprechung zur sog. Fußstapfentheorie entscheidend.
Die Urteile stehen zum Teil im Widerspruch mit den Aussagen der Finanzverwaltung im Umwandlungssteuererlass und den Körperschaftsteuerrichtlinien. Der Umwandlungssteuererlass ist gerade Gegenstand eines „Updates“ durch die Finanzverwaltung. Ob sich die Finanzverwaltung dazu durchringen wird, die obigen Aspekte zur finanziellen Eingliederung und zum wichtigen Grund für die Nichteinhaltung der Mindestvertragslaufzeit des EAV aufzunehmen, bleibt abzuwarten.
Die Volltexte der Urteile stehen Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
Direkt zum BFH-Urteil I R 45/20 kommen Sie hier.
Direkt zum BFH-Urteil I R 36/20 kommen Sie hier.
Direkt zum BFH-Urteil I R 21/20 kommen Sie hier.
Direkt zum BFH-Urteil I R 40/20 kommen Sie hier.
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